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Aus: Ausgabe vom 23.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Volksrepublik

Strategisch auf Kurs

ZK der KP Ch tagt: Neuer Fünfjahresplan setzt weiter auf Hightechentwicklung – und höheren Lebensstandard der Bevölkerung
Von Jörg Kronauer
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Infrastrukturelle Meisterleistung: Huajiang Grand Canyon Bridge in der südwestchinesischen Provinz Guizhou

Die Erwartungen an den neuen Fünfjahresplan, der Chinas Entwicklung von 2026 bis 2030 steuern soll, sind hoch. Seit Montag diskutiert das Vierte Plenum des 20. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas das Dokument; am heutigen Donnerstag soll die Debatte beendet werden. Zwar wird der Plan – wie üblich – erst im März kommenden Jahres offiziell präsentiert, wenn der Nationale Volkskongress ihn in aller Form verabschieden wird. Doch schon längst machen Berichte über zentrale Themen und zentrale Weichenstellungen die Runde, die der Plan mutmaßlich enthält. Es zeichnet sich deutlich ab, dass er einen strategischen Kurswechsel festklopft, der bereits mit dem vergangenen Fünfjahresplan eingeleitet wurde und seit geraumer Zeit mit dem Begriff »Produktivkräfte neuer Qualität« verbunden ist.

Hohe Wachstumsraten

Lange Zeit hatte Beijing in seiner Wirtschaftsplanung stark auf quantitatives Wachstum gesetzt. Im Mittelpunkt standen der Auf- und der Ausbau der Infrastruktur und der Industrie; Wachstumskennziffern spielten eine bedeutende Rolle. Das führte zu beeindruckenden Resultaten. Noch in den ersten vier Jahren des aktuellen Fünfjahresplans, von 2021 bis 2024, wuchs die chinesische Wirtschaft durchschnittlich um 5,5 Prozent; wenn die fünf Jahre Ende 2025 ablaufen, dürfte die chinesische Wirtschaftsleistung im Planzeitraum um rund 4,9 Billionen US-Dollar gewachsen sein. Chinesische Medien weisen darauf hin, dass allein das die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands übertrifft, die im Jahr 2024 bei knapp 4,7 Billionen US-Dollar lag und bekanntlich stagniert. Pro Kopf lag das Bruttoinlandsprodukt in China im vergangenen Jahr bei fast 13.500 US-Dollar; das ist immer noch etwas weniger als der globale Durchschnitt, die Volksrepublik liegt damit bei den Ländern mit mittlerem Einkommen bereits im oberen Bereich – noch hinter Russland zum Beispiel, doch schon vor Brasilien.

Bereits mit dem 14. Fünfjahresplan deutete sich allerdings eine Abkehr von dem stark auf quantitative Aspekte orientierten Wachstum an. Erstmals nannte das Dokument keine festen Wachstumsraten. Das mochte auch darin begründet sein, dass die Covid-Pandemie, die zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Plans grassierte, sowie der eskalierende Wirtschaftskrieg der Vereinigten Staaten gegen China allzu große Ungewissheiten mit sich brachten. Es lag aber auch daran, dass Beijing vorrangig auf ein Wachstum zu setzen begann, das sich noch stärker als zuvor auf »grüne« Technologien und auf Hightechinnovation gründete. Die vergangenen fünf Jahre brachten Durchbrüche bei der Elektromobilität und der Nutzung von Wind- und Solarenergie, bei der Robotik, bei der künstlichen Intelligenz (KI). Die Entwicklung und der Einsatz humanoider Roboter, der Erfolg von Deep Seek – das waren Elemente, mit denen die Hightechentwicklung ins allgemeine Bewusstsein der Bevölkerung Chinas und der Welt vordrang.

Quantitatives Wachstum wird auch weiterhin für die Volksrepublik eine wichtige Rolle spielen – schon allein deshalb, weil das Land und seine Bevölkerung wohlhabender werden und nicht auf Dauer auf dem Niveau eines mittleren Einkommens verharren sollen. Präsident Xi Jinping hat das Ziel ausgegeben, die Wirtschaftsleistung im Jahr 2035 solle doppelt so hoch sein wie diejenige von 2020. Dafür muss auch weiterhin ein Wachstum von mindestens 4,5 Prozent erzielt werden. Der Schwerpunkt aber wird sich weiter auf die Förderung der avanciertesten Technologien verschieben: auf KI, auf Biotechnologie, auf Quantenforschung, Halbleiter und dergleichen mehr. Eins der Hauptmotive besteht darin, bei der internationalen Technologiekonkurrenz die Führung zu erlangen und zu halten. Ein weiteres ist China von außen aufgezwungen worden: Das Land muss, will es sich gegen Sanktionen, Zölle und andere Repressalien von Seiten der westlichen Staaten behaupten, weitestgehend unabhängig werden – ganz besonders auch auf dem Feld der Technologie.

Auswärtige Unternehmen

Treffen Informationen zu, die sich der Global Times entnehmen lassen, dann wird im 15. Fünfjahresplan auch Wert darauf gelegt, Chinas Öffnung für auswärtige Unternehmen weiter voranzutreiben – unter anderem bei Finanz- und Gesundheitsdienstleistungen. Damit setzt Beijing die Strategie fort, spezialisierte Unternehmen ins Land zu holen, um von ihnen zu lernen. Zugleich bindet es auswärtige, auch westliche Kapitalinteressen an gute Beziehungen zur Volksrepublik als einem nach wie vor hochprofitablen Standort; das hilft womöglich, politischen Druck aus dem Westen zumindest ein wenig abzufedern.

Nicht zuletzt zieht sich durch Berichte auch staatlicher chinesischer Medien die Vermutung, im neuen Fünfjahresplan werde zudem auf eine spürbare Stärkung des Konsums gezielt. Trifft das zu, dann wäre es einerseits auch eine Reaktion auf äußeren Druck: Wenn China damit rechnen muss, dass seine Exporte künftig nicht mehr nur in den USA, sondern auch in der EU mit hohen Zöllen abgeblockt werden, dann wird es sein Wachstum weniger durch Ausfuhren erzielen können und mehr auf den Inlandsmarkt und dessen Konsum angewiesen sein. Andererseits erlaubt ein gesteigerter Konsum die weitere Hebung des Lebensniveaus. Freilich setzt das eine größere staatliche Unterstützung für die Bevölkerung voraus. Denn nur wer sich auf ein tragfähiges soziales Netz verlassen kann, wird weniger Geld für Notlagen sparen und mehr Geld ausgeben. Die Global Times berichtete, man könne künftig nicht bloß mit höheren Löhnen, sondern auch mit einem besseren Zugang zu Gesundheitsversorgung und zu Pflege im Alter rechnen.

Bleibt noch die Frage, inwieweit der Fünfjahresplan dazu beitragen kann, bestehende Überkapazitäten abzubauen, die nicht nur in den Export drängen – im Hinblick auf die rasch steigenden westlichen Zölle ein riskantes Unterfangen –, sondern die auch im Inland einen gefährlichen Preiskrieg ausgelöst haben. Beijing hat mittlerweile begonnen, die Problematik offen anzugehen. Das spricht dafür, dass das im Fünfjahresplan weitergeführt wird.

Hintergrund: Langer Atem

Die Tatsache, dass China langfristig plant und seine Pläne in der Regel auch umsetzt, beginnt sich im Westen herumzusprechen. Mehrfach haben westliche Medien in den vergangenen Jahren die Aussage von Deng Xiaoping aus dem Jahr 1987 zitiert, der Mittlere Osten habe Öl, China aber habe seltene Erden. Als Beijing auf letztere Exportkontrollen verhängte, da dämmerte so manchem, dass das chinesische Quasimonopol auf die hochwichtigen Rohstoffe nicht vom Himmel gefallen war.

Anlässlich des Vierten Plenums des 20. Zentralkomitees der KP Chinas wies der China-Korrespondent der FAZ darauf hin, dass man auch andere Dinge hätte vorher wissen und sich entsprechend darauf einstellen können. Dass »Deutschlands Kernbranchen Auto, Chemie und Maschinenbau« mittlerweile auch »chinesische Kernbranchen« seien, dass die Volksrepublik in ihnen Konkurrenz sehen würde, hätte man schon der vor zehn Jahren verabschiedeten Strategie »Made in China 2025« entnehmen können, hielt der Journalist fest. Deutsche Manager aber hätten Chinas Pläne allzu lange nur »belächelt«.

Die Feststellung ist wichtig. Immer wieder stolpern Politik und Wirtschaft in Deutschland darüber, dass sie Konkurrenten unterschätzen: Ihre über Jahrzehnte gewohnte Spitzenstellung in Weltwirtschaft und -politik hat ihnen das – heute völlig verfehlte – Gefühl eingebrannt, mit der Bundesrepublik mithalten könne jenseits Europas und Nordamerikas niemand. »Das sich deindustrialisierende Deutschland täte gut daran«, riet denn auch der FAZ-Korrespondent, Beijings Planungspapiere und vor allem den nächsten Fünfjahresplan möglichst »genau zu studieren«. Doch selbst wenn sie das täten, blieben deutsche Politiker und Unternehmer mit einem strategischen Nachteil zurück: Sie selbst können, anders als China, nicht kollektiv planen. Und schon gar nicht in den Zeiträumen, in denen jahrtausendealte Mächte denken. »Unser Verständnis von Zeit«, hat Präsident Xi einmal konstatiert, »bemisst sich in Jahrhunderten und Jahrtausenden.« Beijing plant mit wirklich langem Atem. (jk)

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