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Aus: Ausgabe vom 28.10.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Archäologie

Das verschollene Bistum

Archäologische Ausgrabungen bei Zeitz werfen ein neues Licht auf die Geschichte der Ottonen
Von Philipp Baumgarten
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Bestattungen aus verschiedenen Jahrhunderten der Klosterzeit im Ostflügel des Kreuzgangs

Am südlichen Ende der Leipziger Tieflandsbucht gibt der Posaer Berg ein archäologisches Kapitel seiner Geschichte frei, das die Schriftquellen nur schemenhaft andeuten: der ursprüngliche Sitz des Bistums Zeitz, von dem man bis heute dachte, dass er an einem 1,5 Kilometer entfernten Standort lag. Unter den Fundamenten des späteren Benediktinerklosters haben sich Reste monumentaler Bauwerke erhalten, die sogar in das zehnte Jahrhundert datiert wurden. Ihre Wiederentdeckung verändert nicht nur das Verständnis der Geschichte der Stadt und des Burgenlandkreises, sondern berührt die Grundlinien der ottonischen Kirchen- und Herrschaftspolitik.

Als Zeitz im Jahr 967 erstmals in einer Urkunde Kaiser Ottos I. erwähnt wird, steht der Herrscher auf dem Höhepunkt seiner Macht. Auf einer Synode in Ravenna werden die drei Suffraganbistümer Meißen, Merseburg und Zeitz dem ebenfalls neu errichteten Erzbistum Magdeburg zugeordnet. Die Urkunden bezeichnen den Ort als »Cici«, doch deckungsgleich mit der heutigen Stadt ist er nicht. Hinter dieser Erstnennung verbirgt sich ganz wesentlich die territoriale Organisation des östlichen Reichsgebiets. Zeitz lag damals im Orient. Noch heute zeugen Flur- und Ortsnamen wie Osterfeld oder Osterland von dieser Randlage. Bereits einige Jahre vor der formalen Bistumsgründung hatte Otto I. den Regensburger Mönch Boso aus St. Emmeram mit dem Zeitzer Kirchenlehn betraut und ihn beauftragt, den künftigen Bischofssitz vorzubereiten. Diese Belehnung belegt, dass in Zeitz bereits eine kirchliche Einrichtung bestand, vermutlich eine frühe Missionskirche oder eine königliche Eigenkirche.

Realpolitisches Gewicht

Die zweite Hälfte des zehnten Jahrhunderts gilt als Epoche der ottonischen Ostexpansion. Unter dem Zeichen des Kreuzes wurde das Reich wie nie zuvor in den Osten Europas erweitert – eine Bewegung, die religiöse Legitimation und militärische Gewalt miteinander verband. Was spätere Chronisten als »Christianisierung« beschrieben, war in seiner Funktion ein kolonialer Prozess der Aneignung und Neuordnung von Raum. Die kirchliche Organisation unterstützte dabei maßgeblich die Stabilisierung politischer Kontrolle. Kloster- und Bistumsgründungen markierten keine Grenzen des Glaubens, sondern des Einflussraumes.

In dieser Logik ist auch die Gründung des Bistums Zeitz zu verstehen. Eine Urkunde Ottos II. nennt Altenburg und Memleben, die Grablege Ottos des Großen, als Besitzungen der Zeitzer Kirche. Selbst wenn diese Übertragung späteren Ursprungs sein sollte, verweist sie auf den Anspruch, den man mit diesem Bistum verband: Es sollte nicht nur religiös, sondern auch realpolitisch Gewicht haben.

Bereits 1028 wurde der Bistumssitz schließlich ins 30 Kilometer entfernte Naumburg verlegt, angeblich wegen wiederholter böhmischer Überfälle. Entscheidender dürften jedoch die Interessen der Ekkehardiner gewesen sein, jener Markgrafenfamilie aus Meißen, die in Naumburg ihre Machtbasis ausbauen wollte. Die Verlegung eines Bistums bleibt ein ungewöhnlicher Vorgang und zeigt doch, wie eng kirchliche und weltliche Strukturen miteinander verflochten waren. Zeitz verschwand dadurch nicht aus den Quellen. Die Stadt blieb bischöfliche Residenz, Kollegiatsstift und ein geistlicher Verwaltungssitz bis in die Frühe Neuzeit. Verschwiegen blieb allein der erste Standort des Bistums auf dem Posaer Berg östlich vor den Toren der Stadt.

In der klösterlichen Überlieferung heißt es, Bischof Dietrich I. habe im Jahr 1114 auf dem »seit Alters her Bosowe genannten Berg« ein Benediktinerkloster gegründet und den Platz von Büschen und Gestrüpp reinigen lassen. Der Text verweist auf eine Vision, in der ein slawischer Bauer den Bischof im Auftrag Gottes zur Stiftung des Klosters aufgefordert habe. Diese Erzählung folgt dabei einem typischen Muster hochmittelalterlicher Gründungslegenden, in denen religiöse Überlegenheit und kulturelle Mission zu einem ideologischen Narrativ verschmelzen. Der »bekehrte Heide« fungiert darin als Projektionsfigur einer Ordnung, die christliche Zivilisation über »slawische Fremdheit« stellt. Bemerkenswerterweise kehrt sich das Motiv in der Überlieferung um: Wenige Jahre nach der Gründung wird Bischof Dietrich von einem slawischen Laienbruder erstochen, während er vor dem Altar der Klosterkirche in Posa betete. Die Überlieferung schweigt darüber, dass der Ort, an dem das Kloster errichtet wurde, bereits eine befestigte Anlage beheimatete, die die Hirsauer Mönche lediglich umbauen mussten. Die großflächige Wallburg auf dem Posaer Berg, rund 22 Hektar umfassend, galt lange als slawisch, doch Befunde und topographische Merkmale deuten auf eine Entstehung unter ostfränkischer Herrschaft im 9. Jahrhundert hin.

Ungewöhnliche Funde

Die jüngsten Grabungen haben nun gezeigt, dass unter dem Klosterkomplex die Reste älterer Sakral- und Profanbauten liegen. Eine dieser Kirchen wurde auf das zehnte Jahrhundert datiert. Sie wurde mehrfach überformt und bestand lange, bevor die Benediktiner den Ort übernahmen. Unmittelbar darüber lag die private Mönchskapelle des späteren Klosters, in der sich ein außergewöhnlicher Befund verbarg: die Bestattung einer etwa dreißigjährigen Frau, direkt vor dem Altar. In einem Männerkloster des 12. Jahrhunderts ist eine solche Bestattung nahezu ohne Parallele. Sie verstößt gegen kirchenrechtliche Vorschriften und widerspricht der bekannten liturgischen Praxis. Ob es sich um eine Stifterin, eine Wohltäterin oder eine Person von besonderem Rang handelte, bleibt offen. Ihre Präsenz im Zentrum des monastischen Raums kann jedoch auch auf Spannungen zwischen Norm und gelebter Wirklichkeit verweisen.

Die freigelegten Mauerzüge unter dem Südflügel der Klausur geben ein Bild von der Größe und Qualität der ursprünglichen Anlage. Ein Fundamentzug mit bis zu 1,8 Metern Stärke konnte bisher auf rund 28 Meter Länge verfolgt werden und lässt auf einen Palastbau schließen, der in etwa 40 mal 16 Meter Grundfläche einnehmen könnte. Seine Bauweise zeugt von überregionaler Bautradition und repräsentativem Anspruch – so wurde bereits im Erdgeschoss mit Bruchsteinen römisches Ziegelmauerwerk imitiert. Zusammen mit weiteren Fundamenten im Süden ergibt sich das Schema eines weitläufigen Komplexes mit Sakral- und Wohnbauten. Diese Anlage kann nur im Kontext einer bischöflichen oder königlichen Pfalz entstanden sein.

Überformung des Alten

Damit erhält die Frage nach der architektonischen Gestalt des frühen Bistums eine neue Grundlage. Unter dem späteren Kloster sind offenbar Reste des ersten Doms von Zeitz erhalten geblieben, vermutlich eine dreischiffige, querhauslose Basilika, die im Ensemble der benachbarten Bauten mit dem frühen Bistum von Prag vergleichbar war und nach den bisherigen Erkenntnissen als architektonische Blaupause für die Neugründung des Bistums in Naumburg diente. Zeitz war in dieser Phase kein Randphänomen, sondern ein Zentrum, vielleicht sogar ein Modell für nachfolgende Bischofssitze. Dass diese Rolle in der späteren Geschichtsschreibung verschwand, dürfte kein Zufall sein. Die Verlegung des Bistums schuf nicht nur eine neue Residenz, sondern auch ein neues Narrativ, das den älteren Ort zugunsten der Bedeutung des Neuen überblendete.

Die Grabung in Posa bestätigt exemplarisch, was für mittelalterliche Bistumsgründungen generell gilt: dass sie bestehende Zentren kirchlicher und administrativer Ordnung aufgriffen und institutionell verdichteten. Neu ist dabei nicht die Erkenntnis, dass solche Strukturen existierten, sondern ihr materieller Nachweis an genau diesem Ort. In Posa lässt sich erstmals archäologisch zeigen, dass das frühe Zeitz kein Zufallsprodukt ottonischer Kirchenpolitik war, sondern auf einer gewachsenen lokalen Organisation aufbaute, die in die Reichskirche eingegliedert wurde.

Bemerkenswert ist, dass Zeitz bis zur Reformation bischöfliche Residenz blieb. Dort, wo heute die Moritzburg steht, befand sich das Schloss der Zeitzer Bischöfe. Julius Pflug, der letzte katholische Bischof und Humanist, residierte hier, während in Naumburg bereits die Reformation vollzogen war. Die Stadt war nie vergessen, wohl aber ihre Bedeutung unter den Ottonen. Die archäologischen Befunde auf dem Posaer Berg machen diese Tragweite wieder sichtbar. Sie eröffnen ein neues Verständnis der Frühzeit der Elb-Saale-Region als Grenzraum und zeigen, wie eng Religion, Politik und Topographie in der Entstehung des Reiches verwoben waren. Das »verschollene Bistum« war kein Nebenschauplatz, sondern Teil eines groß angelegten Projekts von Herrschaft und Ordnung.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. Oktober 2025 um 10:01 Uhr)
    Als interessierter Hobbygeschichtler möchte ich den lesenswerten Beitrag um einen bislang oft übersehenen Aspekt ergänzen: Die Entwicklung des frühen Bistums Zeitz und der ottonischen Ostexpansion fällt in das mittelalterliche Klimaoptimum (ca. 800–1300). Diese klimatisch begünstigte Phase mit milderen Temperaturen und besseren Erntebedingungen führte europaweit zu Bevölkerungswachstum, Siedlungsausweitung und wirtschaftlicher Stabilität. Solche Rahmenbedingungen bildeten die Voraussetzung für großangelegte Herrschafts- und Missionsprojekte, wie sie der Artikel beschreibt. Der politische und kirchliche Ausbau des Ostens war also nicht nur Folge machtpolitischer Strategien, sondern wurde auch durch günstige Umweltbedingungen ermöglicht. Neuere Forschungen – etwa zu Baumringen und Moorablagerungen – belegen diesen Zusammenhang klar. Ohne die Ertragssteigerungen jener Jahrhunderte wären viele der beschriebenen Entwicklungen, darunter prächtige Bauten wie in Zeitz, kaum denkbar gewesen. Ich würde mir wünschen, dass historische und archäologische Darstellungen künftig klimatische und ökologische Faktoren stärker berücksichtigen. Sie liefern oft die stillen, aber entscheidenden Grundlagen geschichtlicher Umbrüche!