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Aus: Ausgabe vom 11.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Venezuela

»Die Völker müssen ihre Kräfte vereinen«

Venezuela: Kommunale Selbstorganisation stärkt Widerstand gegen US-Aggression. Ein Gespräch mit Natalia Molina
Von Julieta Daza, Caracas
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In Venezuela als Nationalheld verehrt: Hugo Chávez, Begründer der Bolivarischen Revolution (Caracas, 29.7.2024)

Das Kulturzentrum »Ksa La Minka«, das zur »Sozialistischen Kommune Miraflores Comandante Chávez« gehört, befindet sich in direkter Nähe zum Präsidentenpalast Miraflores. Was bedeutet diese Nähe angesichts der aktuellen imperialistischen Bedrohung Venezuelas durch den US-Militäreinsatz in der Karibik?

Für uns ist der Miraflores-Palast in die Kommune eingebettet, er ist Teil von ihr. Da er das Zentrum der politischen Macht des venezolanischen Staates ist, müssen wir uns als angrenzende Gemeinde als erster Sicherheitsring verstehen. In diesem Sinne entwickeln wir nicht erst angesichts der aktuellen Entwicklung, sondern seit langer Zeit Strategien zum Schutz der Umgebung und setzen sie um. Der Aufbau der Kommune ist an sich schon eine entsprechende Maßnahme. Sie ermöglicht uns, in Zukunft autonom zu regieren und die Grundversorgung zu gewährleisten. Gleichzeitig schafft sie Schutz- und Kontrollmechanismen, die genau auf die Umgebung und die hier lebenden Menschen zugeschnitten sind. Auch wurden natürlich direkte Kommunikationskanäle eingerichtet und gemeinsame Strukturen mit den Sicherheitskräften wie der Guardia del Pueblo, die den Miraflores-Palast schützt, geschaffen.

Das Kulturzentrum hat einen gemeinschaftlichen »Notfallplan«. Worin besteht er?

Für uns ist der Notfallplan ein wichtiger und äußerst notwendiger Mechanismus, wenn wir uns als ganzheitliches Gemeinschaftsprojekt verstehen. Er definiert die wichtigsten Bedürfnisse der Gemeinschaft. So deckt er etwa die Bereiche Verkehr und Transport, Gesundheit, Dienstleistungen und die Lebensmittelversorgung ab. Für jeden dieser Bereiche wird zusammen mit den Menschen aus der Gemeinde in regelmäßigen Abständen eine Bedarfsanalyse erstellt. Der Plan ist einerseits so konzipiert, dass die Gemeinde auf jeden Notfall schnell reagieren kann. Andererseits ermöglicht er, über die aktuelle Entwicklung hinauszugehen und entsprechend den prognostizierten Bedürfnissen voranzukommen. Zudem sieht er vor, Menschen dafür zu gewinnen, sich aktiv und militant für die Bedürfnisse der Bewohner und Lebewesen ihrer Umgebung einzusetzen. Der Notfallplan ist eine der wichtigsten Hinterlassenschaften aus dem Vermächtnis des Lehrers und Aktivisten Carlos Lanz, der uns und andere Einrichtungen dabei begleitet hat, den Aufbau neuer Organisationsformen anzugehen.

Haben sich das Kulturzentrum »Minka« und die Kommune auch den Übungen der Bolivarischen Miliz angeschlossen?

Wir haben an den jüngsten Übungen der Miliz teilgenommen, zu denen die Regierung aufgerufen hat. Allerdings erhielten wir eine tiefergehende, konkretere Ausbildung, die auf uns zugeschnitten war, da wir bereits eine Vorausbildung hatten. Diese war uns von Compañero Carlos Lanz vermittelt worden. Wir erhielten also eine Schulung in der »Taktischen Methode des Revolutionären Widerstands«, bekannt unter der Abkürzung MTRR. Auch gab es eine theoretische Unterweisung zu Stellvertreterkriegen und weiteren Themen. Als Gemeinde bereiten wir uns schon seit langem auf die aktuelle Situation vor – auf diesen Krieg, der heute eine neue Dimension annimmt, aber unserer Ansicht nach schon seit Jahren geführt wird. Dazu zählen auch die Ermordung unseres Comandante Hugo Chávez (sein früher Tod durch eine seltene Krankheit gilt in Venezuela als Indiz dafür, dass er ermordet worden ist, jW) und alle Angriffe und Sanktionen, die dem venezolanischen Volk auferlegt wurden. Aufgrund der Organisation, die von Chávez initiiert wurde und von Präsident Nicolás Maduro fortgeführt wird, zeigt die Bevölkerung eine große Widerständigkeit.

Wie ist denn die Stimmung angesichts einer möglichen militärischen US-Aggression?

Das kommt ganz darauf an. Natürlich gibt es Menschen, die Angst haben. Der Notfallplan weist hier Möglichkeiten auf, wie wir uns gegenseitig unterstützen und gemeinsam Widerstand leisten können. Meiner persönlichen Wahrnehmung nach ermöglicht dies, die Sorgen aufzugreifen und zu regulieren. Andererseits gibt es Menschen, vor allem ältere, die keine Angst haben. Sie sind zu allem bereit. Ich denke auch, dass wir aus vergangenen Herausforderungen gelernt haben: dem asymmetrischen Krieg, der uns seit langem aufgezwungen wird, und auch aus globalen Ereignissen wie der Pandemie oder der Krise des Kapitalismus. Das war nicht einfach. Aber wir müssen uns weiterhin gegen jede mögliche Aggression organisieren. Nicht nur als venezolanisches Volk, sondern als bolivarisches, lateinamerikanisches Volk, als Volk von Abya Yala (Name der indigenen Guna für Amerika, jW). Nur durch Organisation können wir Widerstand leisten und Veränderung herbeiführen. Das Imperium probiert schreckliche Dinge aus, wie das, was derzeit in Palästina geschieht. Etwas ähnliches kann jedem Volk der Welt passieren. Es ist ein Experiment, das sie unverhohlen durchführen, und es ist kein Zufall, dass alles live übertragen wird. Es ist eine Botschaft, die an die Menschheit gerichtet ist, und als Menschheit müssen wir sie auch verstehen und die Kräfte aller Völker vereinen, um uns zu schützen.

Natalia Molina ist Aktivistin des Kulturzentrums »Ksa La Minka« (Haus der Gemeinschaftsarbeit) der »Sozialistischen Kommune Miraflores Comandante Chávez« in der venezolanischen Hauptstadt Caracas

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