Wien, Wien, nur du allein
Von René Hamann
Im Grunde ist Wien mittlerweile eine bedeutungslose Stadt. Als ehemalige Kapitale eines untergegangenen Weltreichs fehlt ihr, neben der Meernähe, die Melancholie Lissabons, statt dessen setzt Wien in seinem Zentrum auf Verkäuflichkeit, auf Prunk und Kitsch, was einigermaßen erstaunt und fast albern ist, bedenkt man, was Österreich heute ist: ein größeres Luxemburg mit komischer Volkstümelei und einem immanenten Rechtsdrall.
Auch sportlich gesehen spielt Wien schon lange der Musik hinterher. Während die Reputation des passdeutschen österreichischen Fußballbundestrainers Ralf Rangnick im Sterben liegt (oder auch nicht; von hier aus gute Besserung), bleibt der Traum einer allumfassenden Großarena im Herzen der Stadt noch lange ein Traum. Bis dahin spielen Rapid und Austria das x-te Derby ohne Auswärtsfans, und am Ende werden wieder Sturm Graz oder RB Salzburg Meister.
Außerdem hat Wien außer Fußball nicht viel zu bieten. Österreich ist eben eine Skifahrnation, und die Alpen fangen erst am Stadtrand an, und da auch nur als Ausläufer. Manchmal sieht man in seltsamen Dressen gewandte Fans in der Stadt, die zu Eishockeyspielen pilgern, immerhin. Aller halbwegs relevante Sport findet draußen in der Provinz statt oder, schlimmer noch, im Ausland, und da auch eher im Fernen als im Nahen. Da nützt nicht einmal die Balkannähe was.
So sieht man in Hütteldorf und Penzing natürlich viele in Grün gekleidete Rapid-Fans, ansonsten aber die üblichen Bayern-, PSG- und Real-Trikots. Sieht man jemanden in Schwarz-Gelb, kann man sicher davon ausgehen, einen Deutschen vor sich zu haben. Außer beim Eishockeyteam weiß niemand in der Stadt, wie der lokale Basketball-, Handball- oder Volleyballklub heißt oder gar, wo er spielt. Man kennt einen oder zwei österreichische Tennisspieler (beide ehemalig), einen Radfahrer, das war’s.
Warum diese Tirade? Bald stehen wieder Vergabeentscheidungen über Olympia an. Nicht, dass ich wirklich in einer Stadt wohnen wollte, über die die Plage der IOC-Ausbeuterfestspiele zieht. Aber interessant ist schon, dass hier der Gedanke Olympia so fern ist wie Istanbul. Dabei haben die Spiele durchaus schon in vergleichbaren Städten stattgefunden: Auch Athen, Helsinki, Stockholm, Amsterdam, wenn man so will auch Barcelona, sind Hauptstädte eher kleiner Nationen und haben dennoch schon das Feuer beheimatet.
Vielleicht macht das ja den Charme dieser Stadt aus: Sportliche Großereignisse interessieren uns net. Nächstes Jahr kommt der ESC, das reicht dann wieder für ein, zwei Jahrzehnte.
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