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Aus: Ausgabe vom 15.09.2025, Seite 16 / Sport
Fußball

Astralleib im Abseits

Raus aus dem Grab, rauf auf den Platz: Edgar Külow knipst noch für Pankow. Zu Besuch bei einem Ehrenspiel der »Einheit« zum Hundersten des »Eckenbrüller«
Von Ronald Kohl
Als wäre er selbst am Ball: Szene aus dem Edgar-Külow-Gedächtnisspiel (Berlin, 12.9.2025)
In bester Erinnerung: Die alten Herren des VfB Einheit zu Pankow 1983 und die Autorennationalmannschaft feiern Edgar Külow (Berlin, 12.9.2025)
Wo läuft der »rote Blitz«? Neulich in Pankow (Berlin, 12.9.2025)

Ich bin glücklicherweise gut vorbereitet. Aber nicht gut genug. Volker Külow ließ mir schon vor einiger Zeit ausreichend Material über seinen Vater zukommen, den Schauspieler, Kabarettisten, Kolumnisten und bekanntesten Einheit-Pankow-Fan der Welt, Edgar Külow. Besonders hat es mir die kleine Geschichte »Ein letztes Wort« angetan, in der Külow beschreibt, wie er nach seinem Ableben den VfB Einheit zu Pankow weiter unterstützen will: Sonntags wird er bei der Friedhofsleitung Ausgang beantragen und dann auf dem Rasen seines Vereins als Astralleib aus unerkennbarer Abseitsposition den einen oder anderen Ball in Richtung gegnerisches Tor abfälschen, um sich danach wieder in sein nur wenige hundert Meter entfernt liegendes Grab zu verkrümeln. Anlässlich seines 100. Geburtstags am 10. September kickten nun am Freitag, natürlich in Berlin-Schönholz, die alten Herren der Einheit gegen die Autorennationalmannschaft.

Vor dem Spiel besuche ich den an der Hermann-Hesse-Straße gelegenen Friedhof, um ein Foto von Külows Grabstein zu schießen. Doch das Grab ist so unsichtbar wie der sargflüchtige Külow auf dem Platz. In dem gemütlichen Sportlerheim von Einheit Pankow erklärt mir Sohn Volker, der bald eine Biographie seines alten Herrn veröffentlicht, dass dieser in Weißensee beerdigt wurde. Jetzt, knapp drei Stunden vor dem Anpfiff um 18 Uhr, ist außer ihm nur Peter Deutschmann anwesend, Schiedsrichterobmann und Leiter der Geschäftsstelle des Vereins. Er zeigt mir auf dem Handy die neue Grabstätte für Vereinsmitglieder, ein riesiger Stein auf dem schon etliche Tafeln mit den Namen und Lebensdaten verstorbener Mitglieder angebracht wurden. »Wenn die Sonntags alle mitspielen wollen«, sage ich, »braucht ihr eine extra Auswechselbank. Wird Edgar Külow denn auch in das Gemeinschaftsgrab verlegt?« »Nein, das geht ja nicht. Der wurde ja im Sarg beerdigt. Det Ding hat gepoltert, war sagenhaft.«

Auf dem Tisch liegt eine Ausgabe der Neuen Fußballwoche vom Januar 1970, mit einer Kolumne Külows. Sohn Volker erzählt, wie es war, als sie die Manuskripte in der Druckerei abgegeben und die Drucker die Sachen sofort eins zu eins in den Kasten gesetzt haben. Im Dezember 1970 erschien die Kolumne dann zum letzten Mal – auf Druck von oben eingestellt. Ab 1997 schrieb Edgar Külow dann bis zu seinem Tod 2012 für jW den »Eckenbrüller«. Ich erzähle, dass ich als Schüler auch ein Fuwo-Abo hatte. »Ich bin da rangekommen, weil Mutter bei der Post gearbeitet hat.« »Ja, so ging es«, sagt Deutschmann. »Anders war das nicht möglich. Das ND konntest du abonnieren. Und die Junge Welt

Jetzt erscheint Dirk Weißbach, der Vereinsvorsitzende, und macht sich sofort an der Technik zu schaffen, die für die abendliche Buchvorstellung benötigt wird. Ganz der große Strippenzieher. »Wie kam es denn zu der Idee für das Spiel?« Deutschmann: »Erst gab es gemeinsame Kabarettbesuche. Dann haben wir zwei Jahre nach seinem Tod die Edgar-Külow-Kurve eingeweiht. Und jetzt das Spiel. Es wurde immer größer.«

Draußen zeigt er mir die Kurve. Ich schieße ein paar Fotos mit ihm. Zu uns gesellt sich Leo Weixelbaum. Er war 19 und stand als Stürmer auf dem Platz, als am 24. August 1969 Edgar Külow das erste Mal ein Spiel von Einheit Pankow besuchte. Die Saison hatte gerade begonnen und Pankow war Neuling in der Berliner Bezirksliga. Einheit schlug sich wacker. Nach dem Spiel wurde plötzlich von außen die Tür von Kabine zwei geöffnet. »Jungs, habt ihr gut gemacht, woll!« Mit dem Fuß schob Edgar Külow, der ja aus dem Pott stammte, einen Kasten Bier durch den offenen Spalt.

»Ich glaube er hat sich für Einheit Pankow entschieden, weil unser Trägerbetrieb die Bezirksverwaltung war. Da gab es kein Geld«, sagt Deutschmann. Ich frage: »Und da ist er gewissermaßen als Sponsor in die Bresche gesprungen?« Er nickt. »Ja, so kann man es sagen.«

Die Anlage füllt sich allmählich. Als Trainer für die heutige Mannschaft von Einheit Pankow wurde Jörg Milack reaktiviert. »Die Junge Welt hat früher immer geschrieben: ›der ehemalige Stabhochspringer Jörg Milack‹«, sagt er zu mir. Ich erwidere: »Dann müssen wir es dieses Mal wohl genauso machen.«

Dann erfahre ich, dass eine andere Größe des DDR-Sports anwesend sein soll: Fußballegende Lothar Kurbjuweit. Niemand weiß, wo er steckt. Mit dem Mikrophon in der Hand ruft ihn Vereinsvorsitzender Dirk Weißbach mehrmals aus. »Da kommt er.«

Ich gehe ihm entgegen. Überraschenderweise strahlt die Sonne jetzt doch noch ordentlich und Kurbjuweit bevorzugt es, für unser Gespräch auf einer Bank im Schatten zu sitzen. Offenkundig will er auch etwas von dem Spiel sehen, das gerade angepfiffen wird. Seit er vor ein paar Jahren nach Pankow zog, ist er Vereinsmitglied.

Er erzählt von Nationaltrainer Georg Buschner, einem Asketen, der gerne wochenlange Trainingslager veranstaltete. »Kein Alkohol und keine Frauen?« »Nein, Frauen hatten wir nicht. Aber immer, wenn Buschner gemerkt hat, dass die Stimmung nachlässt, hat er Edgar Külow geholt. Das waren schöne Abende, weil es auch politisch von der vorgegebenen Linie abwich.« Nach dem Halbzeitpfiff mischt sich Lothar Kurbjuweit unter seine Vereinskameraden, die ihn Lotte nennen und sich freuen, ihn zu sehen.

Das Spiel der Pankower gegen die Autorennationalmannschaft endet übrigens 4:2. Der Mond steht da schon hoch am Himmel. Doch das Flutlicht bleibt eingeschaltet. Eine Mannschaft aus dem Nachwuchsbereich läuft zum Training auf den Platz.

Subskription »Der rote Blitz. Das unerhörte Leben des Edgar Külow. Erzählt von Jürgen Klammer und Volker Külow« zum Preis von 99,90 Euro, mit einem QR-Code zum Download jeder Menge Videos mit Edgar Külow: kurzlinks.de/RoterBlitz

Preisverleihung »Der Eddi 2025« an Reiner Kröhnert, Laudatio: Gesine Lötzsch, 4. Oktober 2025, Kulturhaus Karlshorst, Berlin, 19.30 Uhr, Eintritt: 15 Euro: kurzlinks.de/DerEddi2025

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