US-Zerstörer kapert Fischerboot
Von Volker Hermsdorf
Die militärischen Drohungen der USA gegen Venezuela haben eine neue Eskalationsstufe erreicht. Nur eine Woche nachdem US-Militärs vor der Küste ein Schnellboot mit elf angeblichen Drogenschmugglern versenkten, enterte der Zerstörer »USS Jason Dunham« am Freitag den venezolanischen Thunfischkutter »Carmen Rosa«. Neun einfache Fischer wurden von 18 US-Marines mit Langwaffen bedroht, ihr Boot acht Stunden lang besetzt. Parallel dazu landeten F-35-Tarnkappen-Kampfjets der US Air Force im kolonial verwalteten Puerto Rico. Caracas warnte vor einer gezielten Provokation, die den Vorwand für eine weitere Verschärfung liefern solle, und mobilisierte Bevölkerung, Milizen und Streitkräfte zur Verteidigung der eigenen Souveränität.
Venezuelas Außenminister Yván Gil verurteilte die Aktion der USA als »illegal, feindselig und illegitim«. Es handele sich um eine »inszenierte Provokation Washingtons, um eine militärische Eskalation in der Karibik zu rechtfertigen«. Der Vorfall diene offenbar der Vorbereitung weiterer Aggressionen. Seit August hatte das US-Südkommando Kriegsschiffe vor Venezuelas Küste verlegt, angeblich zum »Kampf gegen Drogen« – tatsächlich wohl eher ein Versuch, die Regierung des gewählten Präsidenten Nicolás Maduro zu destabilisieren und einen Regime-Change zu befördern. Dieser verglich die Drogenvorwürfe gegen sein Land mit den »Lügen über Massenvernichtungswaffen im Irak« und verwies auf UN-Daten, wonach die Kokainproduktion hauptsächlich in Kolumbien stattfindet. Zugleich warf er den USA vor, Puerto Rico als Ausgangsbasis einer »Militäroperation gegen Venezuela« zu missbrauchen. Der jüngste Vorfall folgte auf eine drastische Verschärfung der Rhetorik: US-Präsident Donald Trump hatte in den vergangenen Tagen gedroht, venezolanische Aufklärungsflugzeuge abzuschießen, sollten sie US-Schiffe »gefährden«. Experten sehen in der Verlegung von F-35-Jets eine Drohgebärde und ein klares Signal militärischer Überlegenheit: Die venezolanische Luftwaffe verfügt über veraltete F-16-Maschinen und könnte einem modernen Luftkrieg kaum standhalten.
Caracas bereitet das Land deshalb mit einer Art Generalmobilmachung auf den Ernstfall vor. Die venezolanische Führung setzt dabei nicht auf einen konventionellen Schlagabtausch, sondern auf einen »guerra de todo el pueblo« – den Krieg des gesamten Volkes. Die Verschmelzung von Militär, Polizei und Bevölkerung soll nicht nur die militärische, sondern auch eine gesellschaftliche Verteidigung garantieren: Versorgung, Logistik und zivile Strukturen könnten so – selbst im Fall einer Invasion – aufrechterhalten bleiben. In der vergangenen Woche aktivierte Maduro den »Plan Independencia 200«, der den Aufbau von 284 »Frentes de batalla« (Volksverteidigungsfronten) im gesamten Land umfasst. Ziel des Konzepts ist es, alle strategisch wichtigen Punkte – darunter Küsten, Grenzen, Verkehrswege, Häfen, Flughäfen sowie Infrastrukturen wie Elektrizitäts- und Petrochemieanlagen – militärisch abzusichern und auf eine mögliche Konfrontation vorzubereiten. Einheiten der Fuerza Armada Nacional Bolivariana – unterstützt von der Miliz und sogenannten »Cuerpos Combatientes« (bewaffnete Betriebskampfgruppen) – wurden entlang der gesamten Karibik- und Atlantikküste sowie im Landesinneren in Stellung gebracht.
Caracas sieht hinter der militärischen Eskalation den Versuch Washingtons, die reichen Ressourcen Venezuelas zu plündern. Laut Verteidigungsminister Vladimir Padrino López werden deshalb »alle Formen des Widerstands vorbereitet, inklusive Guerillataktiken«. Am Wochenende strömten bereits Zehntausende Venezolaner in die Kasernen, um sich in der Miliz ausbilden zu lassen. »Sollten sie es wagen, einen Fuß auf unser Land zu setzen, werden sie einen Hundertjährigen Krieg erleben«, warnte Innenminister Diosdado Cabello. Die Losung der Stunde laute: »El Pueblo va a los Cuarteles« – das Volk geht in die Kasernen. Trotz der Drohgebärden des Weißen Hauses hält Maduro eine diplomatische Lösung noch für möglich – allerdings nur, wenn Washington von seiner »Kanonenbootpolitik« ablasse.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf Gerkan aus Hannover (16. September 2025 um 12:34 Uhr)Was die Amerikaner tatsächlich mit ihren aggressiven Militäraktionen gegen venezolanische Schiffe beabsichtigen, ist für mich unklar. Dass es gegen Drogen geht, scheint mir unwahrscheinlich zu sein, wo nur vergleichsweise wenig Drogen über Venezuela in die USA gelangen. Es könnte vielleicht um die militärische Absicherung der amerikanischen Ölbohrungen vor dem umstrittenen Essequibo-Gebiet gehen. Venezuela hat seine Hoheitsansprüche da ja in jüngster Vergangenheit wahrnehmbarer konkretisiert. Ein Regime-Change könnte natürlich ebenfalls amerikanisches Ziel sein. Da muss ich allerdings auch an die amerikanische Regime-Change-Operation in Afghanistan denken, die nicht nur in puncto Drogenbekämpfung ein kolossaler Reinfall war. Während die Taliban vor und ebenso nach den 2 Jahrzehnten US-betreuten Regierens in Afghanistan den Mohnanbau radikal reduziert hatten und haben, explodierte die Drogenproduktion dagegen unter den amerikanischen Militärs. Auch in Sachen Sicherheit waren die US-Soldaten dort ganz offensichtlich wenig erfolgreich. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) meldete ja gerade, dass die Sicherheitslage in Afghanistan heute »insgesamt deutlich besser als noch vor fünf Jahren« sei, wie selbst Qualitätsmedien berichten und damit ganz nebenbei im Interesse des Abschiebewahns den NATO-Truppen qualifiziert Unfähigkeit attestieren. Gleichwohl dürfte die amerikanische Vorherrschaft Trumps Ziel bleiben. Einen Frieden in der Ukraine braucht er vielleicht nur, um im Fall eines US-Krieges gegen China nicht auch gleichzeitig gegen Russland kämpfen zu müssen. Ebensowenig dürfen offenbar Kuba oder Venezuela in der Lage sein, als Sprungbrett des chinesischen Gegners zu fungieren. Die sich darin zeigende Präferenz militärischer vor diplomatischen Lösungskonzepten ist aus der westlichen Missachtung der Minsker Vereinbarungen im Ukraine-Konflikt ja hinlänglich bekannt.
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