Gute Geschäfte
Von Burkhard Ilschner
Es ist keine neue Erkenntnis, dass das jahrhundertelang gepflegte Etikett vom »ehrbaren Kaufmann« nicht nur in Nordwestdeutschland ziemlich verlogen war und ist: Seit dem Mittelalter und den Zeiten der Hanse und sowieso später waren die bei Ausbeutung zunehmend auch fremder Völker angewandten Praktiken alles andere als »moralisch« vertretbar. Trotzdem gelingt es einzelnen Forschenden immer wieder, das auch heute noch häufig gepflegte Image der Rechtschaffenheit aus einer neuen Perspektive in Frage zu stellen. Einer davon ist Jasper Henning Hagedorn, der in seiner 2023 angenommenen Dissertation am Beispiel Bremen die Verflechtung lokaler und nationaler Kaufleute mit der atlantischen Sklaverei untersucht und dabei zugleich zeigt, wie dieses Treiben von eben jener Obrigkeit politisch gestützt wurde, die sich in internationalen Verträgen zur Unterdrückung des Sklavenhandels verpflichtet hatte.
Hagedorn fokussiert sich in seiner aufwändigen Untersuchung auf die Zeit zwischen 1780 und 1860 und dabei neben Südamerika und den damals noch jungen USA vor allem auf die Karibik. Der Handel mit den fälschlich »westindisch« genannten Inseln sei, betont er, in jener Zeit erheblich profitabler gewesen als der mit anderen Regionen: Es war die dort eingeführte Plantagenwirtschaft, die gute Geschäfte bescherte – neben Luxusgütern und alltäglichen Annehmlichkeiten für die europäische »Kolonialelite« waren es vor allem Bedarfsartikel für eben die Plantagen. Das reichte von grobem Leinen für die Sklavenbekleidung bis zu »meist im deutschen Binnenland hergestelltem« Arbeitsgerät wie etwa qualitativ hochwertigen Zuckerrohrmessern.
An mehreren Beispielen namhafter Kaufleute von der Weser verdeutlicht Hagedorn, dass und in welchem Ausmaß Bremen ein sehr aktiver Teil der atlantischen Sklaverei gewesen ist. Teilweise handelt es sich bei den von ihm vorgestellten Akteuren um Angehörige von Dynastien, die über Jahrhunderte, vereinzelt bis heute, im bremischen Geschäftsleben aktiv und prominent waren oder sind.
Er beschreibt unter anderem, wie zahlreiche dieser Händler in ihrem Verhältnis zur Sklaverei geradezu ein Empfinden von Normalität entwickelten; sie sei ihnen »als alltäglicher Bestandteil ihres überseeischen Lebens« erschienen. Das ging soweit, dass etliche dieser Handelsfamilien sich Haussklaven in die Heimat holten – was einerseits in Bremen und Bremerhaven eine Debatte nicht nur über Sklaverei, sondern auch über Migration und den Status dieser Migrantengruppe auslöste. Andererseits skizziert Hagedorn detailliert, wie die lokale Presse unter dem Druck von Zensurbestimmungen, aber auch in redaktionell-persönlicher Verflechtung mit beteiligten Handelsfamilien unerwünschte Informationen zum Thema Sklaverei schlicht unterdrückte oder deren Praktiken schönredete. Und nicht zuletzt weist er nach, wie eng etliche bremische Kaufleute über den reinen Warenhandel hinaus an Sklavereigeschäften beteiligt waren, beispielsweise durch Betrieb eigener Plantagen in Übersee, unter anderem auf Kuba oder der damals dänischen (1917 an die USA verkauften) Kolonie St. Thomas: »Die Anzahl der versklavten Arbeitskräfte reichte dabei von wenigen Individuen bis in die Hunderte.«
Als aufschlussreich erweisen sich Hagedorns Ausführungen über die eingangs bereits angerissene Haltung des Bremer Senats, dessen besagte Verflechtung mit der Kaufmannschaft sich direkt auf die eigene Positionierung auswirkte. Anfänglich sei es nur um gute Beziehungen zu den USA gegangen. Aber nach dem 1815 beim Wiener Kongress beschlossenen offiziellen Sklavereiverbot wurde es etwas komplizierter: keine aktive Befürwortung des Sklavenhandels oder der Sklaverei, »aber doch eine Bereitschaft, über ihre Existenz hinwegzusehen, um von ihnen profitieren zu können«. Daraus folgten unter anderem nach 1815 diverse Konflikte mit der maritimen Großmacht Großbritannien: Deren Versuche, das besagte Verbot des Sklavenhandels auf den Weltmeeren durchzusetzen, führten verschiedentlich zur Aufbringung bremischer Schiffe unter dem Verdacht der Missachtung dieses Verbots mit der Folge langer juristischer Streitigkeiten. Aber während sich der Bremer Senat dabei um ein Arrangement mit der Seemacht bemühte, intrigierte er gleichzeitig mit den Senaten von Hamburg und Lübeck, um international eine Aufweichung des Verbots zu erreichen. An sich ist eine Dissertation, zumal eine derart quellenreiche, kein Lesebuch. Dies hier ist eine Ausnahme: ein komplexer, aber auf seine Art fesselnder Geschichts- und Wirtschaftskrimi.
Jasper Henning Hagedorn: Bremen und die atlantische Sklaverei. Waren, Wissen und Personen 1780–1860. Nomos, Baden-Baden 2023, 540 Seiten, 114 Euro
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von R.Brand (18. August 2025 um 10:38 Uhr)114 Euro – das werden sicher »viele« Leser kaufen.
- Antworten
-
Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (18. August 2025 um 12:48 Uhr)Kann man sich kostenlos runterladen unter: https://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783748942047.pdf
- Antworten
Regio:
Mehr aus: Politisches Buch
-
Der einfachste Weg
vom 18.08.2025 -
Neu erschienen
vom 18.08.2025