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Aus: Ausgabe vom 14.08.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ankaras Afrikapolitik

Souveränität ade

Die Türkei engagiert sich verstärkt in Afrika. Vor allem in Somalia ist der Staat präsent. Es geht um Ressourcenraub und politische wie militärische Einflussnahme
Von Emre Şahin
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Support von, Support für Erdoğan. Proteste in Mogadischu gegen den versuchten Putsch in der Türkei 2016

Um die Ausbeutung der Ressourcen des afrikanischen Kontinents tobt ein Wettbewerb. Zweifellos kein neuer, aber von Zeit zu Zeit mit neuen Akteuren. Zu den »neueren« Akteuren zählt auch die Türkei, die sich – meist unter dem Deckmantel der Religion und einer geheuchelten antikolonialen Rhetorik – selbst bereichert. Dabei entsprechen die von der Türkei für ihre Aktivitäten bevorzugten Länder meist demselben Muster: sogenannte Pariastaaten, versunken in Bürgerkriegen mit schwierigen Zugängen zu internationalen Finanzmitteln, wie zum Beispiel Libyen und Somalia. Doch während die Türkei in Libyen dank Proxymilizen nur einer von vielen internationalen Akteuren ist, geht ihr Einfluss in Somalia am Horn von Afrika weit darüber hinaus.

Es ist eher ungewöhnlich, dass Staaten die Kosten für den Bau der Botschaft eines anderen Landes tragen, doch genau das tut die Türkei aktuell bei der sechs Millionen US-Dollar schweren neuen somalischen Vertretung in Ankara. Zudem erhielt Somalia das Grundstück in einer Größe von 4.918 Quadratmetern als Geschenk. Die Türkei ging dabei allerdings nicht leer aus. Sie erhielt im Gegenzug für ihre Botschaft in Mogadischu 61.000 Quadratmeter Land – in Toplage direkt an der Küste. Der Deal ist seit Juli dieses Jahres fix. Die diplomatische Vertretung in Mogadischu ist weltweit die größte der Türkei. Gleichzeitig betreibt sie in Somalia mit der Basis Turksom auch ihre größte internationale Militärbasis.

Makler Erdoğan

Wie kam es dazu? Generell gilt als Beginn der türkischen Einflussnahme in dem ostafrikanischen Land der Besuch des damaligen Premiers und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2011. Den Grundstein für Ankaras Präsenz in Somalia und weiteren afrikanischen Staaten hatte aber wohl die islamistische Fethullah-Gülen-Sekte gelegt, die seit den frühen 1990er Jahren auf dem Kontinent präsent war. Ihre Netzwerke wie etwa Schulen konnte die Türkei nach dem Bruch mit Gülen 2013 und dem mutmaßlichen Putschversuch 2016 Schritt für Schritt übernehmen. Trotz allem war Erdoğans Reise gut inszeniert. Es war der erste internationale Staatsbesuch in Somalia seit 20 Jahren und fand im islamischen Fastenmonat Ramadan statt, während Somalia und seine Nachbarländer mit einer Hungerkrise zu kämpfen hatten. Die somalische Bevölkerung fühlte sich von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, Erdoğan lenkte die Aufmerksamkeit auf ein Land in Not. Infolge seines Besuchs in Mogadischu floss mehr türkisches Geld ins Land: Schuldentilgung, Investitionen in die Infrastruktur, militärische Hilfe im Kampf gegen die dschihadistische Al-Schabab-Miliz – bei weitem keine selbstlose Hilfe. Die Türkei machte Somalia mit der Zeit von sich abhängig und weiß diese Abhängigkeit zu nutzen. Dabei konnte Ankara gleich mehrere Coups verbuchen, die man offen als neokolonialen Ressourcenraub benennen darf.

Etwa ein maritimes Abkommen aus dem vergangenen Jahr, das der Türkei zehn Jahre lang den Zugang zur ausschließlichen Wirtschaftszone Somalias garantiert. Die türkische Marine soll Trawler von der somalischen Küste fernhalten, darf gleichzeitig aber selbst ohne ausländische Konkurrenz auf die Meeresressourcen des Landes zugreifen. Ebenfalls 2024 haben die beiden Staaten ein Kohlenwasserstoffabkommen unterzeichnet, das Ankara die Kontrolle über somalisches Öl und Gas überlässt. Der Vertrag sichert der Turkish Petroleum Corporation bis zu 90 Prozent der Einnahmen durch die fossilen Brennstoffe zu, die aus somalischen Hoheitsgewässern gewonnen werden, während Somalias Gewinn zunächst auf etwa fünf Prozent begrenzt ist. Das Land verfügt schätzungsweise über rund sechs Milliarden Kubikmeter nachgewiesene Erdgasreserven und bis zu 30 Milliarden Barrel an Kohlenwasserstoffpotential. Nur einen Monat nach Unterzeichnung des Abkommens entdeckte die Türkei 20 Milliarden Barrel Rohöl vor der somalischen Küste.

Dass weiterhin Vereinbarungen mit der Türkei geschlossen werden, könnte allerdings überraschen, denn nicht zuletzt zwei türkische Unternehmen in Somalia haben ihr Bestes gegeben, dass dies nicht mehr so leicht vorkommt: die Albayrak Group und Favori LLC. Sie erhielten ohne Ausschreibungen die Genehmigungen für den Betrieb des Hafens beziehungsweise des Flughafens in Mogadischu und landeten 2016 in einem UN-Sicherheitsratsbericht, demzufolge sie in Bestechung und Geldwäsche involviert sind.

Die Albayrak Group fiel mit nicht gezahlten Löhnen, Übergriffen auf Mitarbeiterinnen, Bestechung von Ministern und durch eine künstliche Aufblähung der Betriebskosten auf, um weniger Geld an den somalischen Staat abgeben zu müssen und mehr für sich behalten zu können. Nicht anders die Favori LLC, deren gesamte Aktivitäten in Somalia ein Skandal für sich sind. 2005 gegründet von regierungsnahem Personal, war dieses Kleinunternehmen mit dem Verkauf von Baumaterialien beschäftigt. Obwohl es nicht mal im entferntesten mit dem Betrieb von Flughäfen zu tun hatte und das offizielle Handelsregister Favori zu einer solchen Tätigkeit nicht berechtigte, gewährte die somalische Regierung 2013 dem türkischen Unternehmen die Renovierung und den Betrieb des Flughafens Aden Adde. Ein Deal mit einem von Erdoğan ausgewählten Unternehmen, ausgehandelt hinter verschlossenen Türen.

Obwohl das Unternehmen illegale Passagiergebühren erhob, die Beschäftigtenrechte durchweg verletzt und seine Gewinne nicht wie vorgesehen über die somalische Zentralbank in die Türkei zurückführt, genießt es Straffreiheit. Es gibt Berichte, wonach das Unternehmen hochrangigen Beamten Schmiergelder und Business-Class-Tickets anbietet. Die Straflosigkeit wurde zuletzt besonders deutlich, als der türkische Favori-Personalmanager Ertuğrul Karaferiyeli am 17. September vergangenen Jahres festgenommen wurde. Vorgeworfen wurden ihm sexuelle Übergriffe, Drohungen, Machtmissbrauch und Verstöße gegen das Arbeitsrecht gegenüber somalischen Beschäftigten. Obwohl es einen Haftbefehl gab, wurde Kafaferiyeli bereits am 2. Oktober freigelassen, erneut dank eines Deals hinter verschlossenen Türen.

Militär vor Ort

Die Türkei ist auch militärisch im Land aktiv. Somalias geographische Lage bietet die Möglichkeit, im Arabischen Meer und am Indischen Ozean Fuß zu fassen sowie dort ihren Weltraumbahnhof zu errichten. Im Ausbildungscamp der Turksom, den Anatolia Barracks, wurden bisher 15.000 bis 16.000 somalische Soldaten ausgebildet. Parallel dazu bildet Ankara auch somalische Diplomaten in der Türkei aus, mehr als 80 sollen es in den vergangenen 15 Jahren gewesen sein. Dass Diplomaten wie auch Soldaten dabei vom türkischen Staat indoktriniert werden, lässt sich nicht ausschließen, ist sogar wahrscheinlich.

Die Ausbildung von Einsatzkräften konzentriert sich vor allem auf die paramilitärische Polizeieinheit Haramcad (Gepard) sowie die Kommandobrigade Gorgor (Adler), eine der beiden großen Eliteeinheiten der Somalischen Nationalarmee (SNA). Die andere Einheit, die Danab-Brigade, wird von den USA ausgebildet. Als es 2021 zu Protesten gegen die Verlängerung der Amtszeit des damaligen Präsidenten Mohamed Abdullahi Mohamed, genannt Farmajo, kam, schossen Gorgor-Einheiten auf die Demonstranten. Die »Haramcad« durchsuchten 2021 den unabhängigen Radiosender Mustaqbal und beschlagnahmten dessen Equipment.

Als die Türkei 2020 mit dem Plan vorstellig wurde, die Spezialkräfte mit 1.000 Sturmgewehren und 150.000 Stück Munition zu beliefern, wandten sich somalische Oppositionelle in einem Brief an die Türkei, wenigstens während der laufenden Wahlstreitigkeiten von weiteren Waffenlieferungen an Somalia abzusehen. 2022 erklärten Ermittler der UNO, die Türkei habe gegen das Waffenembargo gegen Somalia verstoßen, indem sie bewaffnete Drohnen geliefert habe. Problematisch ist auch die Präsenz der Sadat, ein türkisch-islamistisches Militärunternehmen, das Söldner anwirbt und in Konflikten weltweit für türkische Interessen kämpfen lässt.

Heute ist Somalia der sichtbarste Partner der Türkei und ein Staat, in dem Ankara freie Hand genießt. Die Gelder, die nach Somalia fließen, landen in den Taschen türkischer Unternehmer. Unter dem Deckmantel der »Entwicklungshilfe« werden Erdoğan nahestehende Personen finanziert. Somalia ist eine Art Musterfall für die Türkei, ein Beispiel für Länder mit schwachen staatlichen Strukturen, in denen Krieg herrscht, die Folgen der Klimakrise schon deutlich zu spüren sind und die Kredite nur unter äußerst harten Bedingungen erhalten. Die Botschaft ist: »Wendet euch an uns, wir helfen und stellen keine Fragen.« Der Preis: Souveränität ade.

Hintergrund: Die Türkei in Afrika

Als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches hat die Türkei eine koloniale Vergangenheit in Nord- und Ostafrika, muss aber weniger mit diesem Image kämpfen als beispielsweise Frankreich. Seit der Einführung der Afrika-Initiative im Jahr 1998 verfolgt das Land das Ziel, seinen Einfluss auf dem Kontinent zu vergrößern, doch erst als Ankara 2005 das »Jahr Afrikas« ausrief, wurden konkrete Schritte sichtbar. So erhielt die Türkei im selben Jahr den Beobachterstatus in der Afrikanischen Union, bevor sie 2008 zum »strategischen Partner« aufgewertet wurde. 2005 organisierte das Land seinen ersten Afrikagipfel in Istanbul, der 2014 und 2021 wiederholt wurde. 2026 soll das vierte Gipfeltreffen stattfinden. Von zwölf Botschaften im Jahr 2002 ist die Zahl mittlerweile auf 44 gestiegen. Die türkische Fluggesellschaft Turkish Airlines fliegt 62 afrikanische Städte an, Istanbul ist mittlerweile zu einem wichtigen Zwischenstopp für Flugreisen nach Afrika geworden. Der Kontinent besitzt riesige Ressourcen, seine Bevölkerung wächst, ebenfalls die Mittelschicht. Viele afrikanische Staaten entfernen sich von ihren ehemaligen Kolonialmächten und suchen nach neuen Partnern. Die Türkei legt sich ins Zeug: So hat der ehemalige Premier und heutige Präsident Erdoğan seit 2003 immerhin 31 afrikanische Länder besucht. Ankara hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Generation von ausländischen Diplomaten heranzuziehen, die dem Land gegenüber wohlgesinnt sind, weshalb es jedes Jahr mehrere Dutzend Diplomaten im Land ausbildet.

In Afrika gründete die Türkei zahlreiche Yunus-Emre-Institute zur Verbreitung der türkischen Kultur und eröffnete zudem mehrere Dependancen der Maarif-Stiftung, die für eine türkeinahe und islamistische Schulbildung bekannt ist und eine Fortsetzung der Ausbildung in der Türkei ermöglicht. Aktiv ist auch die staatliche Religionsbehörde Diyanet. Sie baut Moscheen und Koranschulen und bildet afrikanische Imame aus. Im Jahr 2021 wurde in Ghanas mehrheitlich von Christlichen bewohnte Hauptstadt Accra die zweitgrößte Moschee Westafrikas eingeweiht. Die gebauten Moscheen tragen zumeist Namen, die auf die türkische Kultur verweisen. Die rapide fortschreitende Urbanisierung in Afrika hat regierungsnahe türkische Bauunternehmen auf den Plan gerufen. Was Waffenexporte angeht, stellt die Türkei im Gegensatz zu westlichen Ländern keine Bedingungen für den Verkauf ihrer Ausrüstung auf, zeigt sich sogar relativ gleichgültig. So berichtete die Washington Post kürzlich, dass die Türkei sowohl die sudanesische Armee als auch die mit ihr kämpfende Miliz der Rapid Support Forces mit Waffen beliefert habe. (es)

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