Eine zweite Renaissance?
Von Marc Püschel
Es könnte ein bahnbrechendes Projekt werden: In Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek von Neapel arbeiten Forscher der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) an der Entzifferung der berühmten Papyri aus Herculaneum. Das Gemeinschaftsprojekt »Unlost« wird vom Europäischen Forschungsrat mit 11,5 Millionen Euro gefördert.
Herculaneum war eine antike Stadt am Golf von Neapel, die zusammen mit Pompeji und anderen Orten in der Umgebung im Jahre 79 u. Z. durch den Ausbruch des Vesuvs zerstört wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dort bei Ausgrabungen des Schweizer Militäringenieurs Karl Weber die »Villa der Papyri« entdeckt. Die dortige Sammlung von Schriftrollen gehört zu den wichtigsten archäologischen Funden aus der Antike. Rund 1.800 Papyrusrollen mit zumeist griechischen Schriften wurden aus der einzigen vollständig erhaltenen antiken Bibliothek geborgen.
Da die Papyri unter Asche begraben und karbonisiert wurden, trat kein Zerfall des organischen Materials ein. Allerdings sind sie schlecht erhalten und viele Rollen kleben aneinander, so dass die meisten von ihnen sich mit herkömmlichen Mitteln nicht entrollen und lesen lassen. »Bisher wurde etwa die Hälfte der rund 1.800 in der Sammlung inventarisierten Schriftrollen und Schriftfragmente mehr oder weniger erfolgreich entrollt«, wird Vincent Christlein von der FAU auf Archäologie Online zitiert. Doch selbst von deren Texten sind nicht alle zu entziffern. Nun sollen alle Papyri mit einem Mikro-CT-Scan untersucht werden. Mit dem Röntgenverfahren werden hochaufgelöste dreidimensionale Bilder produziert, aus denen am Computer eine zweidimensionale, lesbare Ansicht generiert wird. Mit einer KI-Software soll es gelingen, die Schrift auch dort vom Hintergrund und von bloßen Verschmutzungen zu unterscheiden, wo es mit bloßem Auge nicht mehr möglich ist.
Im Rahmen des Projekts hoffen die beteiligten Forscher, dass von den analysierten Papyri rund 300 zum ersten Mal lesbar werden. Insgesamt umfassen die erhaltenen Rollen aus Herculaneum mindestens 4,5 Millionen Wörter. Unter den Schriften befinden sich zahlreiche Werke von antiken Philosophen wie Epikur und Philodemos von Gadara. Die vollständige Entzifferung der verbliebenen Papyri könnte den Altertumswissenschaften unschätzbare neue Erkenntnisse vermitteln. Der am Projekt beteiligte Papyrologe Kilian Fleischer hofft sogar auf eine »zweite Renaissance«.
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