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Aus: Ausgabe vom 08.08.2025, Seite 8 / Ansichten

Autoritärer Pfusch

Urteil zu Überwachungssoftware
Von Arnold Schölzel
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Gespräch am Mobiltelefon – der Trojaner lauscht mit

Der Artikel 10, Absatz 1 des Grundgesetzes lautet: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.« Absatz 2 erlaubt aber die Verletzung des Unverletzlichen in Gesetzesform und gestattet zudem für den »Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung« die »Beschränkung« dem Betroffenen zu verheimlichen und den Rechtsweg auszuschließen. Absatz zwei macht die Aussage »unverletzlich« zur Lüge und ermöglicht, an die Stelle des Rechts oder wenigstens der Rechtsförmigkeit Willkür, also Unrecht zu setzen.

Wahrhaftiger und exakt formuliert wäre: Die Geheimnisse sollen unverletzlich sein. Da aber das Grundgesetz bereits mit der Lüge beginnt – »(d)ie Würde des Menschen ist unantastbar«, wo allein wegen millionenfacher täglicher Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft richtig wäre: »soll unantastbar sein« –, handelt es sich offensichtlich um generelle Methode: Der Schein einer Grundrechtsrealität wird gewahrt, deren Auflösung aber gleichzeitig gebilligt. Eine liberale Verfassung wie das Grundgesetz trägt den Keim ihrer eigenen Aufhebung ins Antiliberale und Autoritäre in sich. Es gibt keinen Liberalismus ohne Unterdrückung – von Arbeiterbewegung, Frauen, Ausländern, Kolonisierten, Sklaven, von allen, die nicht »dazugehören«.

Gerät zudem die Bundesrepublik in eine Krise oder muss sie wieder einmal besonders kriegstüchtig werden – Aufstellung eines Heeres war ihre politische Bestimmung bei ihrer Gründung 1949 –, kennt der Erfindungsreichtum für »Beschränkung« von Grundrechten kaum Grenzen, wird der reaktionär-militaristische Staatsumbau Richtung ständigem Notstand vorangetrieben. Dabei hat juristischer Pfusch stets die Oberhand: Der Begriff »Extremismus« ist keine definierte Rechtskategorie, wird aber zum Beispiel gegen diese Zeitung seit Jahrzehnten so verwendet. Der in den 2000er Jahren von Polizeibehörden aufgebrachte Begriff »Gefährder« ist noch schwammiger, wurde aber rechtsstaatswidrig mit Erfolg in Ländergesetze eingeschleust: Daher gibt es wieder Schutzhaft in Deutschland. 2007 wollte Wolfgang Schäuble, damals Innenminister, »Gefährder« sogar als Kriegskombattanten behandeln und internieren. Bei Nachfolger Dobrindt ist das heute jeder Asylsuchende.

Im Vergleich dazu ist die Polizeiüberwachung mittels Trojaner ein lässlicher, weil vom Grundgesetz vorgesehener Grundrechtsbruch. Das sieht das Bundesverfassungsgericht auch so und richtet aus: Übertreibt nicht so, überwacht nicht jeden Hühnerdieb komplett und gebt wenigstens an, welches Grundrecht ihr gerade verletzt (»Zitiergebot«). Ihr habt mal wieder Pfusch geliefert.

Das macht aber nichts: Hierzulande legen 69 Millionen Smartphonenutzer freiwillig diese Fußfesseln an und liefern ihre Daten dem Überwachungskapitalismus. Konzernchefs, die Trump hofieren, müssen sich ums Recht nicht kümmern.

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