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Aus: Ausgabe vom 04.08.2025, Seite 16 / Sport
Boxen

Die Frau mit den Eisenfäusten

Die argentinische Boxerin Locomotora Oliveras ist tot
Von André Dahlmeyer
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Alejandra Marina »Locomotora« Oliveras (20.3.1978–28.7.2025)

Ihre Arme sahen aus wie die Oberschenkel eines Fußballers. Die fünffache Boxweltmeisterin Alejandra Marina »Locomotora« Oliveras (»Ich bin kein Zug, ich bin die Lok!«) wurde 1978 in einem Dorf im Süden der Provinz Jujuy geboren, im Nordwesten Argentiniens, nahe Bolivien. Als sie ein Jahr alt war, zog die Familie in die Nähe von Río Cuarto (Provinz Córdoba), Alejandro Roca hieß das Städtchen. Der Vater betrieb eine Autowerkstatt, die sieben Geschwister halfen mit, schweißten, ölten die Motoren, wechselten Lkw-Reifen. Als der Vater sich zwischenzeitlich dem Dreschen von Erdnüssen widmete, mussten auch hier wieder die drei Mädchen (zwischen zehn und 14) mit ran, erst um drei Uhr nachts war Schicht auf dem Acker. So kam die Familie gerade so durch.

Die Boxerin sieht es pragmatisch: »Es ist das alte Denken, das uns an die Leine legt. Wir Frauen haben die gleiche Kraft, den gleichen Widerstand und gleiche Intelligenz wie Männer. Manchmal mehr.« Mit 14 war sie schwanger. Ihr Freund, zehn Jahre älter und arbeitsfaul, schlug sie. Heimlich begann sie zu Hause zu trainieren. Eines Tages wehrte sie sich. Der Pechvogel flog drei Meter durch den Raum. Oliveras kehrte ins Haus ihrer Eltern zurück, wo sie den Vater ihres zweiten Sohnes kennenlernte. Auch von dem trennte sie sich unkonventionell. Ging zum örtlichen Radio, wo sie fast alles machte. Am Tag, als Mike Tyson aus dem Knast kam, schickte sie in den Äther: »Wie der will ich auch sein!« Ein Boxtrainer auf der Durchreise hörte das und fuhr sofort zum Kanal: »Wer ist die, die kämpfen will? Bist du das?« Ad hoc organisierte er einen Kampf gegen eine Straßenboxerin. Die Leute kamen von überall her. Im Radio riefen sie an und sagten so Sachen wie: »Hab’ ne Kiste Bier auf dich gesetzt, besser, du gewinnst!« Die Chose wurde zur Geburtsstunde einer außergewöhnlichen Boxerin, die Gegnerin akkurat verdroschen. Der Wille wollte, dass die Glückstreffer saßen. Oliveras war 20, jetzt legte sie los. Zwei Jahre darauf folgte der erste Amateurkampf. Sie erhielt 60 Pesos pro Runde (damals 60 US-Dollar). Mieser ging’s nicht.

Nach 44 Amateurkämpfen zog Oliveras 2005 nach Córdoba, wurde mit 27 noch Profiboxerin. Im Mai 2006 schlug sie in Tijuana, Baja California, in der achten Runde die große Jackie Nava K. o., wurde Weltmeisterin (WBC) im Superbantamgewicht in ihrem erst achten Profifight. Fünf Runden hatte sie mit einer dreifach gebrochenen Hand gegen das »Fuck you!« und »Viva Mexico!« angepuncht. »Sie haben mich geholt, damit Jackie gewinnt, sie war der Star, die beste Boxerin der Welt, sie und Laila Ali. Ich hab sie plattgemacht, der einzige K. o. ihrer Karriere.« In der Folge sollte Oliveras noch vier weitere WM-Gürtel gewinnen, drei davon (WBO/WBA/WBC) »offiziell«. Sie gewann 33 Kämpfe (16 K. o), verlor drei. Ihre WM-Titel schafften es auf keine Titelseite. Es gab nicht mal Würdigungen in Alejandro Roca. Und viel Geld gab es natürlich auch nicht.

Ihr Idol war Mike Tyson, jener Mann, der mit einem einzigen Fausthieb Kämpfe beendete, für die man stundenlang vorgeglüht hatte. Klar, dass sie das mit dem legendären Biss Tysons in Holyfields Ohr versteht. Ich hätte auch zugeschnappt, bei einer so unfairen Drecksau. Oliveras leierte den ersten Boxkampf einer Frau (sie selbst) an, der über zwölf Runden von je drei Minuten ging, wie bei den Männchen. »Sie schwätzen, was sie wollen. Erst hieß es, das männliche Gehirn wiege mehr als unseres, dann, dass wir eine Rippe weniger hätten. Was für Scheißmachos. Sie zwingen uns, den Eierschutz der Männer zu benutzen! Sollen sie Röcke im Ring tragen!«

Nach ihrer aktiven Karriere widmete sich Oliveras ausschließlich den sozial Schwachen. Sie gab kostenlosen Boxunterricht, vorausgesetzt, ihre Schülerinnen und Schüler gingen regelmäßig zur Schule, sie sammelte und verteilte Essen für die Volksküchen der Armen.

Nach einem ischämischen Schlaganfall (ACV) am 14. Juli starb sie zwei Wochen darauf an einer schweren Lungenembolie in einem Hospital in Santa Fe im Alter von 47 Jahren. Ob anabole Steroide eine Rolle spielten, kann nur gemutmaßt werden. Zuletzt sah die 1,55 m große Frau aus wie eine unglückliche Kampfmaschine. Die Provinz Santa Fe erklärte eine offizielle Staatstrauer von 72 Stunden, wobei die Flaggen auf Halbmast gesetzt wurden.

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