Beten für Hitler
Von Bernd LangerHorst Mahler, erst APO-Anwalt, dann Mitbegründer der RAF, später Maoist und letztlich aktiver Neonazi, ist am 27. Juli 2025 gestorben. Sein Lebensweg erscheint sehr widersprüchlich. Doch war er es wirklich?
Am 23. Januar 1936 wurde Horst Mahler im niederschlesischen Haynau in eine gläubige Nazifamilie geboren. Er soll nach Horst Wessel benannt worden sein. Mahler beschrieb in einem Interview, dass bei den täglichen familiären Gebeten stets Gott angerufen wurde, Adolf Hitler zu beschützen. Ihm selbst sei seit frühester Kindheit klar gewesen, dass er Politiker werden wolle, weshalb er sich Hitlers Haarschnitt zulegte und dessen Reden einstudierte.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges endeten diese Kinderspiele. Nach ihrer Vertreibung lebte die Familie in Roßlau, innerhalb der sowjetischen Besatzungszone. Dort wurde Mahler Mitglied der FDJ, wovon er sich einen Studienplatz erhoffte. Alles schien auf dem Weg, als eines Sonntags im Jahr 1949 Vater Willy nach dem Frühstück erklärte, dass es sinnlos sei, in einer Welt ohne Adolf Hitler zu leben. Nach diesen Worten ging er in den Garten und erschoss sich.
Nach dem Suizid zog die Mutter mit ihren drei Kindern nach Westberlin. Dort legte Mahler 1955 sein Abitur als Jahrgangsbester ab und begann, mit Unterstützung einer Begabtenförderung, an der Freien Universität Berlin ein Jurastudium. Als Anwalt spezialisierte sich Mahler auf Wirtschaftsfälle und war damit sehr erfolgreich. Er trat in SPD und SDS ein. 1961 beschlossen die Sozialdemokraten die Unvereinbarkeit der Mitgliedschaft in beiden Organisationen. Für Mahler, der sich als Leninist verstand, war es keine Frage, dass er sich für den SDS entschied.
Dann kam der 2. Juni 1967. Bei einer Anti-Schah-Demonstration in Westberlin erschoss der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten Benno Ohnesorg. Mahler, als Anwalt der linksradikalen Szene bekannt, vertrat die Familie Ohnesorg als Nebenkläger. Zu seinen Mandanten zählten auch die Mitglieder der Kommune I oder Beate Klarsfeld, die Bundeskanzler Kurt Kiesinger wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft ohrfeigte.
Mehr und mehr geriet Mahler auch selbst mit dem Gesetz in Konflikt. Nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke 1968 in Westberlin kam es zu den Osterunruhen, die sich vor allem gegen den Springer-Verlag richteten. Anschließend wurde Horst Mahler wegen Rädelsführerschaft zu Schadenersatz verurteilt. Angeblich war Springer ein Schaden von 506.996,71 D-Mark entstanden.
Mahlers Weg führte weiter. Im Jahr 1968 verteidigte er Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Frankfurt am Main wegen Brandanschlägen auf zwei Kaufhäuser. Die beiden Angeklagten tauchten in Italien unter, bis sie Mahler 1970 zurück nach Deutschland lotste und die Gründung der RAF initiierte. Nach einer militärischen Ausbildung bei der Fatah in Jordanien beging die RAF unter Ensslin, Baader und Mahler dann in der Bundesrepublik erste Banküberfälle. Baader, im April 1970 verhaftet, wurde noch im selben Jahr u. a. von Mahler befreit. Dafür und für die Banküberfälle erhielt Mahler 14 Jahre Haft. Seine Verteidiger waren Otto Schily und Hans-Christian Ströbele.
Im Jahr 1977 saßen bereits einige, die den bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik aufgenommen hatten, in den Knästen. Um sechs von ihnen zu befreien, entführte die Bewegung 2. Juni am 27. Februar Peter Lorenz, den Spitzenkandidaten der CDU für die Senatswahlen in Westberlin. Auch Horst Mahler sollte freikommen. Der hatte sich jedoch ins Studium von Hegel vertieft, was bei ihm nach Eigenauskunft zu einem Umdenken führte.
Mahler erklärte öffentlich: »Die Entführung des Volksfeindes Peter Lorenz als Mittel zur Befreiung von politischen Gefangenen ist Ausdruck einer von den Kämpfen der Arbeiterklasse losgelösten Politik, die notwendig in einer Sackgasse enden muss. Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse. (…) Weshalb ich es ablehne, mich auf diese Weise außer Landes bringen zu lassen.« Mahler brach mit der RAF und schloss sich der maoistischen KPD/AO an. Von den Volksmassen wurde er aber nicht befreit, sondern 1980, nachdem er zehn Jahre abgesessen hatte, vorzeitig aus der Haft entlassen.
Wieder in Freiheit wurde es zunächst ruhig um den Anwalt, der 1988, dank seines Rechtsbeistandes, dem späteren Kanzler Gerhard Schröder, seine Zulassung zurückerhielt. Mahler war jedoch auf dem Weg zum bekennenden Nazi und trat im Jahr 2000 der NPD bei. Ein Jahr später verteidigte er die »Nationaldemokraten« im Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Otto Schily, mittlerweile Bundesinnenminister. Es sollte Mahlers letzter Erfolg werden. Nachdem er das Verbot abgewendet hatte, kehrte er der NPD den Rücken, da sie ihm »am Parlamentarismus ausgerichtet« nicht mehr radikal genug schien.
Mahler trat nun immer rücksichtsloser auf, stand etliche Male wegen Holocaustleugnung, Volksverhetzung etc. vor Gericht. Zudem hing er den Verschwörungstheorien der Reichsbürger an.
Nachdem er sich bei einem Prozess erneut mehrfach antisemitisch geäußert hatte und Richtern, Schöffen sowie dem Staatsanwalt die Todesstrafe nach dem Reichsstrafgesetzbuch angedroht hatte, verhängte das Amtsgericht Tiergarten am 8. April 2004 gegen Mahler ein vorläufiges Berufsverbot. Mitte Juli 2009 wurde ihm von der Anwaltskammer Berlin die Zulassung als Rechtsanwalt endgültig entzogen.
Noch im selben Jahr trat Mahler in der JVA Brandenburg/Havel eine Haftstrafe an. Es lagen diverse Verurteilungen wegen Holocaustleugnung vor, das Landgericht München II verhängte im April 2010 zwei Gesamtfreiheitsstrafen von insgesamt zehn Jahren. In dieser Zeit schwer erkrankt, mussten Mahler beide Unterschenkel amputiert werden. Im Gefängnis verfasste er eine 200seitige antisemitische Hetzschrift, die online publiziert wurde. Ein Versuch, sich nach Ungarn abzusetzen, scheiterte.
Mahlers Haftzeit endete im Oktober 2020, seither lebte er im brandenburgischen Kleinmachnow. Ein weiterer Prozess gegen ihn wurde im April 2023 wegen seines Gesundheitszustandes eingestellt. Horst Mahler starb als Neonazi, Antisemit und Holocaustleugner mit 89 Jahren. Ob er ein Gebet seiner Jugend auf den Lippen hatte, ist nicht bekannt.
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