Farce in Kiew
Von Reinhard Lauterbach
Es ging am Donnerstag zu wie oft im ukrainischen Parlamentsleben: Wüstes Geschrei, Rangeleien am Fuße der Rednertribüne, erregte Erklärungen, man sei nicht mehr bereit, die »Fäkalien zu fressen«, die den Abgeordneten aus der Präsidialkanzlei serviert würden. Und dann ein Abstimmungsergebnis, mit dem Wolodimir Selenskij gut leben kann: 331 der 450 Abgeordneten der Werchowna Rada stimmten seinem Gesetzentwurf zu, mit dem die formale Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörde NABU und der Sonderstaatsanwaltschaft SAP wiederhergestellt wird. Es gab keine Gegenstimmen; wie die 199 Abgeordneten gestimmt hätten, die nicht an dem Votum teilnahmen, bleibt unklar. Einen Hinweis bot die Erklärung von Julija Timoschenko, Chefin der immer noch existierenden »Vaterlandspartei«, die vergangene Woche mit Selenskijs Leuten dafür gestimmt hatte, die Ermittler an die politische Kette zu legen: Die fehlende politische Kontrolle über das Verhalten der ukrainischen Exekutive beeinträchtige die Souveränität des Landes.
Das tut sie zweifellos. Die Antikorruptionsbehörden sind der Ukraine von ihren westichen Sponsoren abgetrotzt worden. Die Idee dabei war, Ermittlungs- und Straverfolgungsbehörden außerhalb der allgemeinen Hierarchie der ukrainischen Justiz zu schaffen, die folglich auch den Druckmitteln nicht ausgesetzt sein sollten, mit denen innerhalb des Apparats unliebsame Ermittlungen abgeblockt werden können und werden.
Timoschenko weiß, wovon sie redet. Als enge Mitarbeiterin des megakorrupten Premierministers Pawlo Lasarenko war sie in den 1990er Jahren zu großem Reichtum gekommen. Und schon der frühere Präsident Wiktor Janukowitsch hatte sie deshalb und wegen bestimmter konkreter und für die Ukraine nachteiliger Entscheidungen als Regierungschefin in den 2000er Jahren hinter Schloss und Riegel gebracht. Damals zu großem Lamento der EU und insbesondere Angela Merkels.
Anlass für den Angriff Selenskijs gegen die Antikorruptionsbehörden war offenbar gewesen, dass die bei ihren Ermittlungen allzunah an seine engste Umgebung herangekommen waren. Wie aus Informationen hervorgeht, die letzte Woche aus dem Kreis der prowestlichen ukrainischen Opposition gestreut wurden, stand im Mittelpunkt dieser Ermittlungen ein Mann, der heute als »Selenskijs Portemonnaie« gilt: Timur Minditsch, vor Selenskijs Präsidentenzeit sein Producer im Fernsehstudio »Kwartal 95«. Das wurde vom Oligarchen Igor Kolomojskij finanziert und als Mittel politischer Einflussnahme genutzt. Minditsch hat demnach Mitarbeiter der Präsidialkanzlei und angeblich auch Selenskij selbst in seiner Luxuswohnung in Kiew mit Leuten zusammengebracht, die politische Protektion erhofften. Es gebe Tonaufnahmen, die auch den Präsidenten persönlich belasteten.
Und wie das alles herauskam? Ein Stück, das kein Krimiautor besser hätte erfinden können: Kolomojskijs Geschäftspartner Gennadij Bogoljubow war in Kiew Minditschs Wohnungsnachbar. Als der eines Tages einen Wasserschaden bei Bogoljubow verursachte, habe der NABU diesen – gegen den diverse Verfahren liefen – erpresst, im Zuge der Renovierungsarbeiten zu dulden, dass Abhöreinrichtungen bei Minditsch eingebaut wurden. Gegenleistung der »Antikorruptionsbehörde«: Sie habe Bogoljubow zur Ausreise aus der Ukraine verholfen. In allgemeinverständlicher Sprache: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
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