EU verschenkt sich
Von Ralf Wurzbacher
Der sogenannte Zolldeal zwischen der US-Administration und der EU-Kommission birgt offenbar weitere Zumutungen für die Europäische Union (EU), die der Öffentlichkeit bis dato verschwiegen wurden. Einem Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) zufolge betrifft dies eine »Reihe brisanter Details« in mehreren Bereichen, angefangen bei der Pharmabranche über den Agrarsektor bis hin zum Umgang mit den großen amerikanischen Digitalkonzernen. Die fraglichen Zugeständnisse an die US-Wirtschaft finden sich in einem am Montagabend vom Weißen Haus veröffentlichten »Faktenpapier«, dessen Inhalte der Darstellung Brüssels in einigen Punkten diametral widersprechen und den Eindruck einer EU in Unterwerfungspose noch verstärken.
Einlassungen des Kommissionssprechers Olof Gill vom Dienstag, diese Sorge zu zerstreuen, konnten kaum überzeugen. Zum Beispiel sollen laut besagtem Dokument bis auf wenige Generika auch Arzneimittel ab 1. August bei Einfuhr in die Vereinigten Staaten mit einem Preisaufschlag von 15 Prozent belegt werden. Dagegen hatte die EU bislang behauptet, »diesen Freitag wird es keine Zölle auf Pharmaprodukte geben«. Vielmehr erklärte Gill einmal mehr, die USA wollten zunächst prüfen, ob die aktuelle Marktlage im Pharmabereich ein Risiko für die nationale Sicherheit darstelle, erst danach solle ein Zollsatz festgelegt werden. Das in der Regel gut informierte Ärzteblatt schrieb dagegen am Montag, dass patentgeschützte Medikamente sehr wohl ab sofort betroffen sind, und zitierte den Präsidenten des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), Han Steutel: »Dieser Abschluss besiegelt nun Milliardenbelastungen für den Pharmastandort Deutschland.«
Es hätte wohl noch schlimmer kommen können. US-Präsident Donald Trump hatte noch vor Abschluss der Gespräche verkündet, Arzneimittel müssten praktisch ausnahmslos im eigenen Land gefertigt werden. In dem Fall hätten sich Exporte von Bayer, Roche und Sanofi gänzlich erledigt und EU-Anbieter auf dem US-Markt nur mehr vertreten sein können, wenn sie vor Ort produzieren. 15 Prozent Zölle, nach einem Satz von bislang null Prozent, erscheinen da fast als kleineres Übel. Gemäß der am Sonntag getroffenen Vereinbarung zwischen Trump und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird für praktisch alle EU-Exporte über den Atlantik ein Zoll von 15 Prozent fällig, was vor allem die Automobil- und Chemieindustrie, den Maschinenbau und die Landwirtschaft hart trifft. Die schon im Juni für Stahl und Aluminium verhängten Aufschläge in Höhe von 50 Prozent bleiben bestehen, während gemäß US-Darstellung sämtliche Zölle auf US-Industriegüter vollständig abgeschafft werden sollten. Allerdings werden Einzelheiten der Einigung erst in den kommenden Wochen endgültig verhandelt.
Zum Opfer der Erpressung werden absehbar auch die vergleichsweise hohen EU-Standards in puncto Lebensmittelsicherheit. So ist im Papier aus Washington die Rede davon, Handelsbarrieren im Agrarbereich abzubauen, »einschließlich der Vereinfachung der Anforderungen an Hygienezertifikate für US-Schweinefleisch und Milchprodukte«. Das in Reaktion darauf erfolgte Dementi aus Brüssel, »wir ändern unsere Regeln nicht«, wirkt ziemlich kläglich. Schließlich könne man die Umsetzung dieser Regeln anpassen und etwa die Formulare verändern, gab RND die EU-Kommission wieder. In Sachen Digitalrecht stehen die Zeichen wohl ebenfalls auf Deregulierung. Die US-Regierung schreibt, beide Seiten hätten die Absicht, Handelshemmnisse für die IT-Industrie aufzuheben. Nutznießer wären insbesondere US-Techgiganten wie Alphabet, Meta, Apple, Amazon und Microsoft, die vor allem mit den nicht ganz so laxen EU-Datenschutzbestimmungen auf Kriegsfuß stehen.
Der Verein Lobbycontrol kritisierte den Brüssler Kotau am Mittwoch als »TTIP durch die Hintertür«. Das transatlantische Freihandelsabkommen habe »unzählige Arbeitsgruppen« beschäftigt und sei »letztlich am Widerstand in der Gesellschaft« gescheitert, nun würden ähnlich gewichtige Entscheidungen »innerhalb weniger Wochen intransparent quasi per Handschlag auf dem Golfplatz vereinbart«. Mit dem Deal drohe »eine Aushöhlung« hiesiger Gesetze.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (31. Juli 2025 um 09:20 Uhr)Als ich im Westen ankam, habe ich schnell verstanden: Meine Aufgabe als Bauleiter ist es, die Interessen des Bauherrn durchzusetzen – aber niemals, in seinem Namen kostspielige oder nachteilige Entscheidungen eigenmächtig zu treffen. Frau von der Leyen scheint dieses Prinzip bis heute nicht begriffen zu haben – weder als Verteidigungsministerin, noch beim Coronamanagement, und nun auch nicht als EU-Kommissionspräsidentin. Aber warum gibt es in einer angeblich demokratischen Struktur niemanden, der ihr das endlich beibringt – oder sie entlässt? Wo leben wir eigentlich? Wieso verhandelt von der Leyen mit Trump »per Handschlag« auf seinem Golfplatz über ein Abkommen, das Zölle, Datenschutz, Lebensmittelsicherheit und Industrie betrifft – ohne demokratische Kontrolle, ohne Transparenz? Das ist nicht nur politisch fahrlässig, sondern ein Schritt zurück in feudale Zeiten.
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