»Diese humanitäre Katastrophe ist kein Zufall«
Interview: Yaro Allisat
Sie planen eine »Besetzung des Mittelmeers« im September. Was hat man sich darunter vorzustellen?
Die Mittelmeerroute ist die tödlichste Fluchtroute der Welt. Über 32.000 Menschen sind dort seit 2014 verschwunden. Die Dunkelziffer ist riesig. Diese humanitäre Katastrophe ist kein Zufall, sondern eine politische Entscheidung, die von Medien und Politik konsequent legitimiert, letztlich normalisiert wird. »f.Lotta« hat sich Anfang des Jahres gegründet, um sich diesem Status quo zu widersetzen. Wenn die EU eine Festung baut, sind wir da, um sie zu umstellen. Mittlerweile haben wir rund 150 Unterstützende. Inspiriert hat uns der »Marsch der Hoffnung«, auf dem sich Menschen 2015 von Ungarn Richtung Deutschland auf den Weg gemacht haben. Es war eine spontane Graswurzelaktion von Menschen auf der Flucht, die die EU gezwungen hat, ihre inneren Grenzen zu öffnen. Boote aus ganz Europa werden starten und sich zwischen dem 10. und 20. September vor Lampedusa versammeln. Auf dem Weg werden Zwischenstopps eingelegt und lokale Kämpfe durch Blockaden oder Gedenkveranstaltungen, die die repressive Grenzpolitik der EU anprangern, miteinander vernetzt.
Jedes Boot wird Fahnenträgerin einer Kampagne zum Thema Bewegungsfreiheit sein. Dabei sind aktuell »Ferries Not Frontex«, »The Real Crime is The Border« und Kampagnen gegen die Programme zur sogenannten freiwilligen Rückkehr, gegen das Erstarken der Rechten im allgemeinen und gegen das Italien-Libyen-Memorandum. Und wir wachsen stetig. »f.Lotta« wird somit von den Kampagnen selbst gestaltet. Von Lampedusa aus wollen wir entlang klassischer Fluchtrouten nach Süden fahren, eine Kette bilden und so das Mittelmeer besetzen. Daneben gibt es parallele Aktionen und Blockaden in verschiedenen europäischen Städten.
Was möchten Sie damit erreichen?
Wir wollen ein Zeichen gegen die tödliche Grenzpolitik von EU und Frontex setzen. Außerdem bilden wir eine Beobachterkette, die Menschenrechtsverbrechen dokumentieren und verhindern soll. Wir rufen damit auch die Zivilgesellschaft auf, diese Politik nicht hinzunehmen, und zeichnen eine alternative Realität an den politischen Horizont.
Denken Sie, dass Ihre Aktion angesichts der immer repressiveren Asylpolitik auf EU- und Nationalstaatsebene Erfolg haben wird?
Genau wegen dieser Politik müssen wir jetzt aktiv werden. Wir sehen, dass die äußere Rechte immer mehr Deutungshoheit gewinnt. Ihr ist es inzwischen gelungen, dass kaum noch über Klassenfragen gesprochen wird. Solidarität erfährt nur noch, wer den »richtigen« Pass hat. Dass Menschen kriminalisiert werden, die gegen diese Machtverhältnisse vorgehen wollen, dient der Aufrechterhaltung der bestehenden Klassenordnung. Doch es geht nicht nur um mehr Mittel für oder weniger Repression gegen Seenotrettung. Unser Ziel ist die bedingungslose Bewegungsfreiheit für alle Menschen. Da machen wir keine Kompromisse. Wir wollen diese Radikalität normalisieren und zeigen, dass eine andere Realität möglich ist.
Wie kann man Sie unterstützen?
Man kann ein Boot ausleihen und mit unter der Fahne einer Kampagne fahren. Daneben gibt es noch »f.Lottine«, also kleinere Seebesetzungen an anderen Orten. An den Aktionen an Land kann man sich auch ohne Boot beteiligen. In Berlin, Rom und Marseille gibt es bereits lokale »f.Lotta«-Gruppen, die verschiedene Protestaktionen organisieren. Ansonsten muss das Projekt an sich, aber vor allem die Menschenrechtsverbrechen im Mittelmeer, publik gemacht werden.
Erwarten Sie Probleme mit der Staatsgewalt?
Je nach der Größe der Besetzung kann es durchaus zu Repressionen kommen. Gerade EU-Staaten inhaftieren immer wieder Menschen aus der Seenotrettung aus unhaltbaren Gründen. Dafür haben wir ein Team, das sich um das Juristische kümmert.
Nike F. ist aktiv bei »f.Lotta«, einer europaweiten Initiative für offene Grenzen
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