Klimaklage auf Reparation
Von Wolfgang Pomrehn
Man kann es wohl einen kleinen Meilenstein im Völkerrecht nennen, der da vergangene Woche vom Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag gesetzt wurde. In einem Rechtsgutachten verkündete er, dass die Staaten eine rechtliche Verpflichtung haben, das globale Klima nicht weiter aus dem Gleichgewicht zu bringen und gegebenenfalls für die mit ihren Treibhausgasen angerichteten Schäden haften müssen. Unter bestimmten Umständen können sie sogar von den am stärksten an den Folgen der Klimaveränderungen leidenden Staaten auf die Zahlung von Reparationen verklagt werden. Das betrifft vor allem die alten Industriestaaten, die der IGH basierend auf verschiedenen internationalen Verträgen in einer besonderen Verantwortung sieht. Unter diesen befindet sich Deutschland nach den USA und Russland bereits an dritter Stelle, addiert man die Treibhausgasemissionen seit dem Beginn der Industrialisierung. Auf diese sogenannten historischen Emissionen wird von den »Entwicklungsländern« immer wieder verwiesen, weil CO2, das wichtigste Treibhausgas, für viele Jahrhunderte in der Atmosphäre bleibt.
Die UN-Generalversammlung hatte 2023 auf Initiative Vanuatus und einiger anderer pazifischer Inselstaaten vom IGH ein Rechtsgutachten über »die Verpflichtung der Staaten in bezug auf den Klimawandel« angefordert, dessen Schlussfolgerungen am Mittwoch vergangener Woche verkündet wurden. Der Spruch hat zwar keine rechtlich bindende Wirkung, wird aber die künftige Rechtsprechung beeinflussen. Das Gericht hatte über ein Jahr beraten und unter anderem ein öffentliches Hearing veranstaltet, in dem eine Rekordzahl von Regierungen zu Wort kam.
Die Resolution der Generalversammlung, mit der der IGH angerufen wurde, hatte unter anderem auf die UN-Charta und die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« verwiesen. Außerdem wurde in dem Text angemahnt, dass die Industriestaaten noch immer nicht die jährlichen 100 Milliarden US-Dollar in den Klimafonds einzahlen, mit dem in den ärmsten Ländern Anpassungsmaßnahmen und klimaneutrale Technologien finanziert werden sollen. Seit 2020 sind sie dazu vertraglich verpflichtet. EU-Kommission und Bundesregierung versuchen aber, sich aus der Verantwortung zu mogeln, indem sie China drängen, sich an diesen Kosten zu beteiligen.
Vanuatu gehört zu den schon jetzt von den Folgen der Klimaveränderung am stärksten gebeutelten Ländern. Anfang März 2023 hatten kurz vor der Verabschiedung der besagten UN-Resolution zwei tropische Wirbelstürme das Archipel verheert. Nie zuvor waren so schwere Stürme so kurz hintereinander, im Abstand von nur zwei Tagen, auf den Inselstaat getroffen. Eine Abschätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sprach einige Monate später von Wiederaufbaukosten in Höhe von 770 Millionen US-Dollar (655 Millionen Euro). Im Herbst des gleichen Jahres richtete ein weiterer Wirbelsturm, der bisher stärkste, der außerhalb der regulären Unwettersaison registriert wurde, weitere Schäden im Umfang von 352 Millionen US-Dollar (300 Millionen Euro) an. Für Deutschland wäre diese knappe Milliarde Euro ein vergleichsweise geringer Betrag. Für die nicht ganz 340.000 Einwohnerinnen und Einwohner des Südpazifikstaates entsprach dies jedoch der Wirtschaftsleistung eines ganzen Jahres.
Vanuatus Klimaschutzminister Ralph Regenvanu hatte bereits im Mai, im Vorfeld der UN-Ozean-Konferenz in Nizza, von einem Wendepunkt gesprochen. »Im vergangenen Jahr wurden mit beispiellosen Temperaturen der Meeresoberflächen und einem alarmierend hohen Wärmegehalt der Ozeane globale Rekorde gebrochen. Dies hat verheerende Folgen für das Leben im Meer und bringt viele Arten an den Rand des Aussterbens. Rund 84 Prozent der weltweiten Korallenriffe waren Temperaturen ausgesetzt, die zu einer massiven Bleiche führten, was das größte jemals beobachtete Ereignis dieser Art war. Obwohl Vanuatu selbst nur minimal zum Klimawandel beiträgt, verwüsten die Auswirkungen des Klimawandels unsere Ökonomien und die unserer Nachbarn. Wir befinden uns an vorderster Front einer Krise, die wir nicht verursacht haben.«
Entsprechend zeigte sich der Minister mit dem IGH-Gutachten sehr zufrieden. Das Ergebnis sei besser als erwartet, meinte er gegenüber AFP in Den Haag. Jetzt könne seine Regierung in Gesprächen mit den großen Emittenten darauf verweisen, dass diese juristisch zur Hilfe verpflichtet seien. Bisher wehren sich die Industriestaaten in den internationalen Klimaschutzverhandlungen mit Händen und Füßen gegen jeden Verweis auf etwaige Reparationen, die für die durch ihren Treibhausgasausstoß angerichteten Schäden zu zahlen wären. Auch die noch von der ehemaligen »grünen« Außenministerin Annalena Baerbock zu den Anhörungen des IGH entsandte Vertreterin Deutschlands hatte in Den Haag verkündet, Deutschland sei nicht für die vor dem Beginn der Klimaschutzverhandlungen 1990 emittierten Gase verantwortlich, obwohl diese in etwa zur Hälfte für viele hundert Jahre in der Atmosphäre bleiben.
UN-Generalsekretär António Guterres sprach unterdessen nach dem IGH-Spruch von einem »Sieg für den Planeten und für die Klimagerechtigkeit«. Es zeige sich, dass junge Menschen tatsächlich etwas bewegen können. Der UN-Chefdiplomat spielte damit auf die Tatsache an, dass die Idee, den IGH anzurufen, in Vanuatu von Jurastudenten aufgebracht worden war. Der Bundesregierung war das richtungsweisende Rechtsgutachten aus Den Haag hingegen nicht einmal eine Pressemitteilung wert.
Bitte konsequenzlos
Das Völkerrecht kann ganz schön lästig sein. Da hat doch der IGH tatsächlich den alten Industriestaaten ins Stammbuch geschrieben, dass sie für die von ihnen angerichteten Klimaschäden aufkommen müssen. Man stelle sich das einmal vor. Wo doch Deutschland noch nicht einmal eine Entschädigung für den Völkermord an den Herero und Nama und keine Reparationen für die Plünderungen und Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs gezahlt hat. Nicht einmal das den Griechen geraubte Gold wurde zurückgegeben. Was tun? Die USA machen es sich im Umgang mit dem IGH besonders einfach: Sie erkennen seine Autorität nicht an. Berlin hat einen etwas differenzierteren Umgang mit dem IGH und seinem Cousin, dem Internationalen Strafgerichtshof: Mit ihren Sprüchen und Anordnungen wird ganz nach Gusto umgegangen. Passen sie, wird eifrig mit ihnen argumentiert, passen sie nicht, werden sie ignoriert. So wie der Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu und so wie es nun auch mit dem Klimarechtsgutachten geschehen wird. Schließlich soll weiter Frackinggas aus den USA importiert werden, und natürlich dürfen das Kraftwerksgeschäft von RWE und Co. oder die sprudelnden Gewinne der verbissen an ihrer antiquierten Technologie festhaltenden Automobilkonzerne nicht in Frage gestellt werden. Rechtsfragen sind eben nicht zuletzt Machtfragen, weshalb man neuerdings an der Spree auch nicht mehr vom Völkerrecht, sondern von der »regelbasierten internationalen Ordnung« spricht. Jetzt, wo andere Akteure auf der Bühne erschienen sind und die goldenen Jahre unumschränkter westlicher Dominanz und deutscher Exportweltmeisterschaft zu Ende gehen. Auf der Strecke bleiben derweil nicht nur der Weltfrieden, die im Mittelmeer ertränkten Menschenrechte und die an der polnischen Ostgrenze erfrorene Humanität, sondern auch das globale Klima, die Hitzetoten und die Hochwasseropfer. So sieht sie halt aus, die »regelbasierte Ordnung«.(wop)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Werner F. (29. Juli 2025 um 08:05 Uhr)Sie schreiben, Deutschland hätte nach dem 2. Weltkrieg keine Reparationen bezahlt. Die DDR hat sehr wohl an die Sowjetunion enorme Reparationen gezahlt, wovor sich Restdeutschland, also die ehemalige BRD gedrückt hat.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (30. Juli 2025 um 10:53 Uhr)Die Alliierten hatten vereinbart, dass die jeweiligen Besatzungszonen Reparationen an ihre jeweilige Besatzungsmacht zahlen. Damit erklärte sich die UdSSR von vornherein damit einverstanden, dass der wirtschaftlich schwächste Teil Deutschlands (die DDR) nahezu allein Reparationen an sie bezahlt. Das wird seine Gründe gehabt haben, die ich allerdings nicht verstehe. Einige Ausgleichszahlungen der hoch industrialisierten Westzonen waren zwar vorgesehen, die der Westen dann aber ab 1947 nicht mehr leistete. Die Zerstörungen welche GB und die USA zu verzeichnen hatten, waren im Vergleich zu denen in der UdSSR relativ gering. Frankreich hatte nach 6 Wochen kapituliert und Paris erglänzte unzerstört. Solchen westlichen Partnern war es natürlich leichter, die Reparationen zu erlassen als der UdSSR. Ab 1953 erließ sie dann trotzdem der DDR weitere Reparationen (Situation nach dem 17. Juni 1953). Nach der Berechnung der Schäden des ZWeiten Weltkriegs hat die UdSSR an Reparationen aus Deutschland 4% des Wertes ersetzt bekommen. Für die DDR war es zwar schwer. Aber mehr war es nicht. Von diesen 4 Prozent trat die UdSSR dann auch noch einen Teil an Polen ab. Die UdSSR wurde nach Strich und Faden betrogen, wie bereits Sowjetrussland nach dem 1. Weltkrieg. Da sie mit Deutschland den erzzwungenen Separatfrieden geschlossen hatten ( Brest-Litowsk), saßen sie in Versailles dann nicht mit am Verhandlungstisch der Siegermächte, die die Reparationen unter sich aufteilten. Deutschland zahlte an seine westlichen »Verbündeten« noch bis nach dem Jahr 2000 Reparationen aus dem 1. (!) Weltkrieg ab. Und wer solche Freunde hat, verfeindet sich dann auch noch mit Russland.
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