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Aus: Ausgabe vom 31.07.2025, Seite 10 / Feuilleton
Liedermacher

Jubilieren im Jetzt

70 Jahre Wenzel. Über einen, der gebraucht wird
Von Michael Merz
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Reibung erzeugen, die Stirn bieten, das ist ihm Bedürfnis: Wenzel in Berlin-Friedrichshagen (4.7.2025)

Dieser Wenzel ist stets präsent. Typ Gegenwart, ohne Vornamen, einer, der jeden Moment mit Aufmerksamkeit verinnerlicht, verarbeitet, daraus Schlüsse zieht. Für ihn gehen Vergangenheit und Gegenwart Hand in Hand. Wenzel geißelt, was zu verabscheuen war und ist, etwa das »deutsche Siegerdenkmal«, das dahin gehört, wo es sich am besten macht – »in der Gosse«. Und der kleine Hafen von Kamp, am »schönsten Ende der Welt«, da kurz vor Usedom, der gehört erhalten, wie er immer war. Und alljährlich bespielt für die, denen das Fleckchen Erde und Wasser etwas gibt und die zurückgeben können. Unerschlossen für diese Säcke voller Geld. In der Doku »Wenzel – Glaubt nie, was ich singe« – gerade wieder in der ARD-Mediathek zu sehen – ist mitzuerleben, wie alle dort das Leben feiern.

Über sich lachen können

Hans-Eckardt haben ihn seine Eltern genannt. Damals am 31. Juli 1955 in Kropstädt im Wittenbergischen. Dieser Tag am Ende des Sommermonats, »das ist auch der Geburtstag von ­Louis de Funès«. Wenzel klingt ein wenig stolz, wenn er darauf hinweist. Ja, Parallelen zum großen französischen Komiker gibt es – sich nicht so wichtig nehmen, über sich lachen können. Aber Wenzel hat den längeren Atem, kann Luft holen und wieder rauslassen, hält seine Pumpe auf Betriebstemperatur. Das Herz muss schlagen, und zwar »immer links«, hat er mal gesagt. Das ist ihm wichtig. Die Kunst war ihm in die familiäre Wiege gelegt. Und Wenzel nahm mit, was er als Hans Dampf in den Gassen der DDR kriegen konnte. Studium an der Humboldt-Uni, dann das Liedertheater »Karls Enkel«. Die Jesuslatschen kultisch verehrt, das Blauhemd blieb im Schrank. Später war dann die Clownerie mit Steffen Mensching der heiße Scheiß in der Da Da eR. Als das Land dann kolonialisiert ausblutete und viele seiner Kollegen ostalgisierten, wandte Wenzel sich dem Folk-Kapitel des Great American Songbook zu, übersetzte die Meilensteine Woody Guthries, teilte sich mit dessen Sohn Arlo und Randy Newman die Bühne. Bis in die Grand Ole Opry von Nashville führte der Weg.

Noch nicht alles verloren

Wenzel, das sind viele Künstler. Regisseur, Kabarettist, Poet und Autor – seinen Vorlass hat er kürzlich dem Literaturarchiv in Marburg vermacht, im ausgemisteten Stall wird nun Neues geboren. Beschränkt sei sich hier auf den Livemusiker, mit seiner Band ist Wenzel echte Rampensau, so flegelhaft das klingen mag: Es ist Anfang Juli im beschaulichen Amphitheater des Freiluftkinos in Friedrichshagen, in der Idylle des Südwestens von Berlin. Kein Platz bleibt frei, sein Publikum wartet bereits – die Band kommt auf die Bühne, eine eingespielte Meute. Wenzel hängt sein Akkordeon über, ist ganz bei sich und allen anderen im Rund. Jeder sei mitgenommen. Es gibt kein gefälliges Best-of-Programm. Hier und da ein Gassenhauer, aber vornehmlich sind die Songs Material seines aktuellen Albums »Strandgut der Zeiten«. Gegen den Krieg allerorten, der Liebe zugetan, verdammt sind Verdummung und Heuchelei. Ehrlichkeit in aller Konsequenz, das mögen sie nicht überall. Heute wie damals. Unter anderem die Veranstalter im »Werk 2« in Leipzig verzichten nun auf ihn. Selbst schuld, gefallen lässt Wenzel sich das nicht. Da wehrt er sich mit einem geharnischten offenen Brief, jW durfte ihn zuerst veröffentlichen.

Reibung erzeugen, die Stirn bieten, das ist ihm Bedürfnis. So wie immer. Wenzels Konzerte sind stets pickepackevoll. Keiner im Publikum gibt, trotz eindringlich ausgesprochener Triggerwarnung, die Chance auf, sich von seiner Musik berühren zu lassen. Zwischendrin sagt er mit seiner manchmal gepresst klingenden, rauhen Stimme, dass wir uns wieder »ernsthaft zuhören« müssen. Und nicht nur so tun sollten, als täten wir es. Es ist vielleicht nicht das, was er beabsichtigt mit seiner Musik, aber Wenzel gibt Hoffnung. Es ist nicht alles verloren von dem, was uns menschlich macht. Darauf das »Kamper Trinklied«, jeder sei umarmt: »Unter all den Sternen, hier im kühlen Abendwind, froh, dass wir am Leben sind.«

Und so wird er sein Jubiläum am Donnerstag – den sage und schreibe 70. Geburtstag – ganz im Jetzt feiern. Genauer: Im Berliner Admiralspalast, mit alten wie neuen Weggefährten, großartiger Musik und allgegenwärtigem Schalk im Nacken. Nora Guthrie will da sein, Christoph Hein. Morgen ist dann wieder ein anderer Tag. Und dieser Sommer ist längst nicht vorbei, weiter geht es über die Open-Air-Bühnen der nicht mehr ganz so neuen Länder. Nach Dresden, Rostock, Schwedt – und Mitte September nach Leipzig, auf der Parkbühne Geyserhaus ist Wenzel mit seiner Band weiter wohlgelitten. Hier wie dort, er wird gebraucht.

Wenzel & Gäste – Das Jubiläumskonzert: 31. Juli, 19.30 Uhr, Admiralspalast, Friedrichstraße 101, 10117 Berlin

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