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Aus: Ausgabe vom 28.07.2025, Seite 16 / Sport
Nachruf

Esst eure Vitamine!

Wie Wrestling über die Welt kam: Zum Tod des echten Amerikaners Hulk Hogan
Von Maximilian Schäffer
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Ihr seid alle nur Mikroben: Hulk Hogan in Action (2005)

Wenn ein Mensch zum Synonym für eine ganze Sportart wird, hat er in dieser in der Regel Großes geleistet. Rekorde aufgestellt, Gegner dominiert, Techniken pioniert. Man denke an Serena Williams, Muhammad Ali, Diego Maradona, Tiger Woods, Katie Taylor. Nun ist Wrestling keine Sportart, sondern ein Showkampf, mehr artistische Choreographie als Gewalt und dazu eine gute Portion Schauspiel. Ob Hulk Hogan in seinem Fach Herausragendes vollbracht hat, ist innerhalb der Wrestlingwelt höchst umstritten. Dennoch stand und steht er für viele Außenstehende noch immer gleichbedeutend mit dieser sehr speziellen Gattung der sportlichen Unterhaltung.

Das liegt in den USA daran, dass »Pro Wrestling« (wie es drüben heißt, um es vom olympischen Ringen abzugrenzen) bis in die 1970er Jahre eine eher regionale Angelegenheit war. In streng geographisch abgegrenzten Territorien der National Wrestling Alliance (NWA) kämpften lokale Helden um die Titel der Stadt, des Bundesstaates usw. Live in der örtlichen Sporthalle bei Zigarettenrauch, Bier und Popcorn. Ein einfaches Vergnügen, dem Zirkus ähnlich. Es war ein großes Land, zu fliegen noch teuer. Vince McMahon Jr., der erst im Madison Square Garden und bald auf dem ganzen nordamerikanischen Kontinent Kämpfe veranstaltete, staubte die Traditionen mit imperialistischem Unternehmergeist ab. In seiner World Wrestling Federation (WWF) gab es nur noch einen Schwergewichtschampion für die ganze Welt. So verhielt man sich stur, und bald verhielt es sich stur so. Für diese Rolle, den Weltherrscher, brauchte es selbstredend einen richtigen US-Amerikaner – und dieser Mann war Hulk Hogan.

Dabei machte der junge Terrence Bollea, geboren 1953, Sohn eines Bauvorarbeiters und einer Tanzlehrerin, nicht unbedingt den Eindruck der Blaupause eines typischen Helden im Dienste Uncle Sams. Eher wie ein aufgepumpter Surfer wirkte der zwei Meter große Strandknabe mit langen, blonden Haaren aus Port Tampa, Florida. Er spielte Bass in Bands, hatte mit den Mädels eine gute Zeit, stemmte Eisen im Fitnessstudio. Das Wrestling galt Mitte der 70er Jahre noch nicht als Fahrstuhl zum großen Ruhm. Es war so was wie der dritte Weg für begabte Sportler mit Schauspieltalent oder Schauspieler mit Sportbegabung, die es in Hollywood oder in den Profiligen nicht geschafft hatten. Invalide Footballer, Armeeveteranen und die ersten Bodybuilder stellten die Artistengarde dieses Zirkus. Die Wrestler Jack und Gerald Brisco, die gerade auf Tour in Florida waren, sahen Bollea 1976 bei einem Muckerauftritt in einer Bar. Sie sprachen den Hühnen an, empfahlen ihm dringend das Wrestling. Der hatte gerade eh das Community College verlassen um sich den freien Künsten zu widmen, also ging er zur Schaukampfmeisterklasse beim Japaner Hiro Matsuda. Sein Lehrer brach ihm in der ersten Unterrichtsstunde erst einmal das Bein, damals gute Tradition.

Bollea also begann unter verschiedenen Namen durch die Ringmanegen des Landes zu tingeln. Neben Glamour und Applaus bedeutete das auch fehlende Krankenversicherung bei ständiger Verletzung, Drogen- und Anabolikamissbrauch. Wie so viele vor und nach ihm hätte auch er ganz schnell im Trailerpark auf Tilidin und Roggenwhisky enden können, der Film »The Wrestler« (2008) mit Mickey Rourke illustrierte dieses Schicksal. Hulk Hogan aber wurde innerhalb von zirka fünf Jahren zur größten Figur, die diese Show jemals hervorgebracht hatte. Noch mehr: Er machte das Wrestling international. In Europa nämlich spielte das »Catchen« bis dahin keine große Rolle – schon gar nicht im Fernsehen.

Vince McMahon, der große Promoter aus New York, gab ihm 1980 seinen Nachnamen, irisch sollte er klingen. Und nachdem sich Hogan in Japan und im Filmgeschäft (»Rocky III«) umgesehen hatte, machten der Buchhalter und sein Rennpferd Nägel mit Köpfen. Ab 1983 pushte McMahon Hogan konsequent zum Publikumsliebling, er durfte gegen immer größere Stars »gewinnen«. Als Hogan die Crème-Soda-blonden Haare kreisrund ausfielen, ließ er sie rundum der Spiegelglatze einfach hängen. Rot und Gelb kombinierten die Kostümbildner zu den Vereinsfarben des Hulk. »Hulkamania« als Marke ward geboren.

So nämlich nannten sie die Massenhysterie rund um den Anführer der Bewegung ohne tiefere Sinnverkündung. Ein Hohepriester des Haudrauf, der voll auf Anabolika den Kindern mit einer der schönsten Reibeisenstimmen der Moderne folgendes empfahl: »Trainiert, sagt eure Gebete und esst eure Vitamine!« Hulk Hogan wurde der »Real American«, so brüllte es direkt beim Einmarsch aus den Lautsprechern: »Ich bin ein echter Amerikaner, ich kämpfe für die Rechte eines jeden Menschen!« Was irrwitzig klingt, funktionierte auf die gleiche schizophrene Weise, wie das Wrestling selbst funktioniert: Die Kinder glaubten es, die Dümmsten auch, und der Rest fand es so absurd, dass er gerne darüber lachte.

Hogan besiegte die Landesfeinde reihenweise im Ring: den bösen Iraner, den brutalen Russen, den abtrünnigen US-Amerikaner, den wildgewordenen Indianer, den verfetteten Japaner. Und das vor (angeblich) 93.000 Zuschauern und einem Millionenpublikum im internationalen Fernsehen. »Wrestlemania« hieß das bahnbrechende Format, eine Großveranstaltung mit Stars aus Musik und Film. Das Wrestling war auf einmal überall, und sein Gesicht war der übergroße Hulk Hogan alleine, der alle anderen zu Mikroben machte.

Hogans narrative Dominanz wurde irgendwann zum Problem fürs Geschäft, genauso wie sein ausgedehntes Ego, dem viele Kollegen lieber aus dem Weg gingen. Nach dem unbeschreiblichen Hype steckte die WWF Mitte der 90er Jahre in der Krise. Die Drehbuchautoren wussten sich nicht mehr zu helfen, erfanden immer absurdere Charaktere, machte das Bunte einfach noch bunter. Weder für Hogan noch für Vince McMahon gab es eine andere Wahl: Der größte Star aller Zeiten wechselte zur Konkurrenz. Medienmogul Ted Turner hatte sich die verheerten Überreste der alten NWA gekauft und machte sie zu World Championship Wrestling (WCW). Dort tat man das Unaussprechliche: Hogan wurde zum Bösewicht. Auf einmal hieß er Hollywood Hogan, trug schwarz, peitschte das Gute mit dem Gürtel.

WCW durchbrach nicht nur die vierte Wand, indem innerhalb der Liga noch mal eine Konkurrenzliga gegründet wurde (NWO). Im Wrestling gibt es, seiner Schizophrenie entsprechend, auch eine fünfte Wand. Sie trennt Schauspieler und Rolle von den Wahrheitsmechanismen innerhalb der Erzählung, die gleichzeitig auch sportliche Leistung ist. Um das genau zu erklären, bedürfe es speziellen Vokabulars: Kayfabe, Work, Shoot. Paradoxerweise stand Hulk Hogan erneut im Mittelpunkt dieser Entwicklungen. Zum zweiten Mal war er Dreh- und Angelpunkt von Aufstieg und Niedergang und Wiederaufstieg und Wiederniedergang des gesamten Business. Denn auch Hogan wurde irgendwann zu alt, selbst als Bösewicht – und wollte nicht gehen.

Nachdem er dann aber wirklich zum dritten und vierten Mal endgültig in alten Farben aus dem Ring gegangen war (ca. 2011–2013), fiel Hogan tief. Ein Sexvideo tauchte auf, er verklagte zwar mit finanzieller Unterstützung von Peter Thiel erfolgreich die Website Gawker, war aber nun in den anrüchigen Klatschspalten zu finden. Einen rassistischen Ausfall 2015 quittierte Vince McMahon ihm, dem Größten aller Zeiten, mit der vorübergehenden Löschung aus der Hall of Fame. Zehn Jahre später, als das alles schon fast vergessen war, tauchte Hogan 2024 bei Donald Trump auf. Im Madison Square Garden, vor Trump-Wählern, versuchte er sich noch einmal animalisch das Hemd vom Leib zu reißen – und scheiterte am Stoff. Nach viel Mühe hing das Shirt irgendwann in Fetzen, aber Kinder wie Erwachsene wollten ihm weder mehr glauben noch über ihn lachen. Nur die Dümmsten blieben übrig.

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