Gegründet 1947 Sa. / So., 26. / 27. Juli 2025, Nr. 171
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Mediale Mobilmachung gegen Links

Hetzjagd auf »Pro-Kreml-Linke«

Die liberale Stahlhelmfraktion sieht Red und Moskau hinter dem Übel der Friedenstreiberei
Von Susann Witt-Stahl
3-onl.jpg
Heute wie damals gilt: Der Feind ist rot und russisch

Aus wilden Spekulationen werden in diesen Tagen flugs »Fakten« konstruiert. »Propagandaplattform des Kreml. Red ist russisch« – diese Schlagzeile der Taz vom 7. Juli 2025 verhieß atemberaubende Enthüllungen über Red Media und den linken Journalisten Hüseyin Doğru, der das mittlerweile liquidierte antiimperialistische Videoportal betrieben hat und seit 20. Mai EU-Sanktionen unterliegt. Unterm Strich zu erfahren ist aus dem Taz-Artikel allerdings nur, dass die Bundesregierung diese Behauptung »nun bestätigt« – auf Basis »nachrichtendienstlicher Erkenntnisse«, heißt es. Anstatt durch diese gewonnene Beweise zu präsentieren, wird jedoch lieber nach Empörung geheischt: Red habe »unkritische Interviews« mit Vertretern der Hamas, Hisbollah und des Islamischen Dschihad in Palästina gedreht, so die Taz weiter. Damit wurde der bereits im Oktober 2024 erhobene Vorwurf, Red biete eine »Bühne für Terror«, von derselben linksliberalen Zeitung unterstrichen, die eine Bühne für Nazis bietet: 2022 etwa konnten in einer Taz-Reportage über die »Generation Asow« Hakenkreuz- und SS-Tattooträger eines Kampfverbands ihre Weltsicht ausbreiten, der zu dieser Zeit noch wegen seiner faschistischen Ideologie und Menschenrechtsverletzungen einem Waffenembargo der US-Regierung unterlag.

KGB-Alarm

Nicht nur Doppelmoral hält besser, auch Doppelschock: Im Aufmacherfoto des Taz-Artikels über Red findet sich das Konterfei des »Autokraten« Wladimir Putin gleich zweimal. Darunter der entlarvende Hinweis, dass dieser bei Russia Today ein »gern gesehener Gast« sei – das hat so viel Sensationswert wie die Meldung, der deutsche Bundeskanzler sei in der »Tagesschau« gesichtet worden. Ansonsten werden hinlänglich bekannte Tatsachen wiederholt, die dazu geeignet sind, für die Fabrikation von Feindbildern benötigte Gerüchte zu nähren: Hüseyin Doğru war 2017 Mitgründer der Medienplattform Redfish, die von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ruptly finanziert, allerdings bereits im Februar 2023 abgewickelt worden war. Dass schließlich nur noch von einer »Nähe zu Russland« die Rede ist, dürfte nach der überwältigenden Schlagzeile nicht weiter auffallen.

»Shock and Awe« (Schrecken und Furcht) – eine Taktik, die sich auf den Schlachtfeldern der imperialen Kriege der USA etwa im Irak als hocheffizient erwiesen hat, verfehlt auch in medialen Propagandafeldzügen nicht ihr Ziel: Angst und Paralyse erzeugen und schließlich zur Kapitulation treiben – bei Lesern, Hörern und Zuschauern vor allem des kritischen Verstands. Seit dem Kalten Krieg muss zu »Russland«, »Moskau«, »Kreml« stets »dunkel«, »finster« und »geheim« assoziiert werden – das versetzt die Bevölkerung der westgebundenen BRD bis heute in KGB-Alarmstimmung.

Besonders wirkungsvoll ist die Kombination »rot« und »russisch«. Schließlich ist der Antikommunismus »die offizielle staatsbürgerliche Haltung« der BRD, konstatierten die Psychoanalytiker Margarete und Alexander Mitscherlich 1967 in ihrer Studie »Die Unfähigkeit zu trauern« und erklärten seine Erfolgsstory aus liebevollen Bindungen an die Vergangenheit, die nicht gekappt werden sollten (die NATO-Falken haben sie noch gebraucht): »In ihm haben sich ideologische Elemente des Nazismus mit denen des kapitalistischen Westens amalgamiert.« Wie der Politikwissenschaftler und Autor des Bandes »Die rote Gefahr. Antikommunistische Propaganda in der Bundesrepublik 1950–2000« Klaus Körner bemerkte, musste aus dem nazistischen Ideologem der »jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung« lediglich das Adjektiv »jüdisch« herausgefiltert werden, nicht zuletzt, weil die Beziehungen zu Israel, vor allem die lukrativen Waffengeschäfte, nicht gefährdet werden sollten.

Krieg der Desinformation

»Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau!«: Verbreiteten damals im Globke-Staat vor allem die CDU/CSU und andere rechte Parteien, in denen die alten Nazis eine neue Heimat gefunden hatten, den »Red Scare« – heute sind es vorwiegend die »progressive« liberale Stahlhelmfraktion und deren Meinungsindustrie: Der britische Publizist und »Marxist« Paul Mason – Liebling des deutschen Feuilletons –von Taz, Frankfurter Rundschau, Freitag bis zur FAZ, gefragter Referent, unter anderem bei der Friedrich-Ebert- und Rosa-Luxemburg-Stiftung – veranstaltet regelmäßig Hetzjagden auf »Pro-Kreml-Linke«. Gleich nach Beginn des russischen Einmarschs in die Ukraine hat er in einem Artikel mit dem Titel »Ermächtigen Sie die Menschen, den Krieg gegen Desinformation zu gewinnen« in The New Statesman – in dem er ganz nebenbei noch die faschistischen Militärs, Asow, Rechter Sektor etc. zur »winzigen Minderheit« in den Kiewer Streitkräften verniedlichte – Antiimperialisten der Putin-Kollaboration bezichtigt: Sie dienten »einer hybriden Kriegführungsstrategie, bei der die Untergrabung des Glaubens an die Demokratie und des Vertrauens in die Regierung und die Medien als entscheidend für die Desorganisation der Gegner Russlands angesehen wird«. Als Verfechter einer neoliberalen Faschismustheorie à la Mont Pelerin Society predigt Mason den »gerechten Krieg« von »Freedom and Democracy« gegen »totalitäre Diktaturen«. Dafür fordert er von der gesellschaftlichen Linken sogar die Durchsetzung staatlicher Repressionsmaßnahmen, wie sie vom Disinformation Governance Board im Department of Homeland Security in den USA ausgeübt werden sollten (die Behörde wurde 2022 nach heftigen Protesten gegen die sich anbahnende Einschränkung der Meinungsfreiheit nach rund vier Monaten wieder geschlossen).

»Woker« Antikommunismus

»Wacht auf! Der Feind steht schon vor der Tür«, appellierte Mason in der Taz auch an die deutsche Linke, endlich zur Tat zu schreiten gegen Antiimperialisten und das Friedenslager, die er auf seinen Social-Media-Kanälen regelmäßig als »Kapitulanten« und »Anti-Sanktions-Mob« bepöbelt und gemieden wissen möchte wie die »Pest«. Indes hatten Masons (anti-)deutsche Mitstreiter längst begonnen, den »Autoritären«, »Nationalbolschewisten« und »Tankies« (so die Schimpfworte des »woken« Antikommunismus, der nicht so gern an seine Herkunft erinnert werden möchte) eine Lektion in »wehrhafter Demokratie« zu erteilen. Die Wochenzeitung Jungle World hatte bereits 2018 verlautbart, dass Redfish, unter anderem wegen seiner Berichte über Netanjahus Pläne für ethnische Säuberungen, »von Moskau her stinkt«. Ihr Autor Ewgeniy Kasakow weiß inzwischen sogar genau, dass Redfish sich in Red Media »umbenannt« hat, wie er im April 2025 auf dem Regime-Change-Portal Russian Election Monitor unter anderem von der Ex-Grünen-Politikerin und Banderisten-Versteherin Rebecca Harms enthüllte. Dass das laut Hüseyin Doğru nicht den Tatsachen entspricht, spielt keine Rolle – es passt einfach allzu gut ins Narrativ von der fünften Friedenstreiberkolonne Moskaus. Seit 2022 referiert Kasakow immer wieder in linken Medien, etwa Konkret, Analyse & Kritik, »99 zu eins«, den aktuellen Stand seiner Ermittlungen zu marxistisch-leninistischen »Putin-Verstehern« – auf seiner Fahndungsliste fand sich auch der ukrainische Kommunist und junge Welt-Autor Dmitri Kowalewitsch*, der wie alle Antifaschisten in seinem Land seit dem Maidan-Putsch 2014 von Nazis bedroht wird und untertauchen musste.

Diffamieren, diskreditieren, denunzieren – diese bewährte Dreifaltigkeit zivilgesellschaftlicher Neutralisierung linker und anderer Wehrkraftzersetzer fördert nicht nur den Zusammenhalt der Kriegstüchtigkeitsgemeinschaft der (de-)formierten Demokratie, sondern auch Karrieren – für alle, die die Zeichen der »Zeitenwende« erkannt haben. Zum Beispiel spürt der Mitgründer des antimilitaristischen Aktionskunstkollektivs »Peng!« heute für das mit Staatsgeldern geförderte Medienunternehmen Correctiv – Red steht ebenfalls in dessen Fadenkreuz – russische Infiltratoren auf und beklagt, dass EU-Bürger über Umwege immer noch Russia Today empfangen können. Alle Feindsender müssen jetzt ausgeschaltet werden. Schließlich geht es (wieder) um alles, wie unlängst auf Deutsche Welle verkündet wurde: »Die Freiheit Deutschlands wird auch in Donezk verteidigt.«

* Name aus Sicherheitsgründen geändert

Hintergrund: Medienfront gegen Red

Der Deutschlandfunk titelte Anfang dieses Monats »EU verhängt Sanktionen gegen prorussische Medienplattform ›Red‹«. Inwiefern diese ihre Berichterstattung zugunsten der Russischen Föderation ausrichtet, erklärte der Sender nicht. Wie gewohnt setzt auch die Springer-Presse auf billige Affekte statt auf Fakten. »EU nimmt Putins PR-Schleuder ins Visier«, feiert Bild die Zerschlagung von Red, auf deren Kanälen sich vorwiegend im nachrichtlichen Duktus verfasste Meldungen über Russland und den Ukraine-Krieg finden.

Das Kesseltreiben begann schon vor mehr als einem Jahr. Einige Tage nach der Besetzung der Berliner Humboldt-Universität durch propalästinensische Studenten im Mai 2024 verdächtigte der Tagesspiegel Red, Proteste zu orchestrieren, um Russlands Ziel der Destabilisierung Europas zu unterstützen – Beweise wurden keine vorgelegt. Im September zitierte der damalige US-Außenminister Antony Blinken den Tagesspiegel als Belastungszeugen für eine verdeckte Einflussnahme durch Red. Am 8. Oktober erweiterte die EU ihr Sanktionsregime gegen Russland, um »hybride Bedrohungen«, wie »koordinierte Desinformation sowie Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland«, durch restriktive Maßnahmen ahnden zu können. Vier Tage später löste der Kampagnenjournalist Nicholas Potter in der Taz unter der Schlagzeile »RT-nahes Medium ›Red‹. Hybrider Krieg in Berlin« Alarmstufe Rot aus. »Sie war das erste Medium, das uns mit einer militärischen Bedrohung für Deutschland gleichsetzte und uns zur Zielscheibe machte«, erinnert sich Red-Gründer Hüseyin Doğru und zeichnet den Circulus vitiosus nach, den Behörden und willfährige Pressevertreter bilden: »Medien veröffentlichen unbewiesene Behauptungen. Beamte zitieren diese dann, um Maßnahmen zu rechtfertigen, und dieselben Medien berichten darüber, um sie zu bestätigen – und stellen ihre ›Verdächtigen‹ in einer Sprache dar, die so extrem ist, dass sie zu außerjustizlichen Repressionen einlädt.«

Im Dezember 2024 legte Potter nach und attackierte in der Jerusalem Post »linksradikale Medien, die von Moskau, Damaskus und Teheran unterstützt werden und Israel angreifen«. Sein »Inside«-Report bot einen Giftcocktail aus Gerüchten und abenteuerlichen Anschuldigungen, wenig solide Informationen über die ins Visier genommenen Medien, zu denen neben den US-amerikanischen Onlinemagazinen Mintpress News und Grayzone auch Red gehörte, dafür aber um so mehr Aufschluss über die Frage, was den Autor und die von ihm bediente internationale NATO- und Netanjahu-Lobby wirklich stört: die Reichweite – allein Red habe es in nur 18 Monaten auf über 200.000 Follower auf Instagram gebracht, beklagte Potter. (sws)

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • 21.07.2025

    Selenskij ist angezählt

    Britische und US-Medien erklären ukrainischen Präsidenten für rücktrittsreif
  • Zehn statt 41: Kiews Angaben zu zerstörten russischen Kampfflugz...
    05.06.2025

    Zweifel an Kiews Version

    Westliche Medien bestreiten Zahlen zu den am Sonntag zerstörten russischen Bombern. Neuer ukrainischer Angriff auf Krimbrücke
  • Was auch immer die Hintergründe sind: Der Verdacht richtet sich ...
    23.05.2025

    Tot in Madrid

    Exkanzleichef von Janukowitsch auf offener Straße ermordet. Im offiziösen Kiew herrscht Genugtuung

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro