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Aus: Ausgabe vom 16.07.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Kein Grund für schlechte Laune

Die erste Woche der Tour de France ist rum
Von Holger Römers
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Wer kommt denn da? Es ist der neue Kannibale mit einem Dänen im Nacken (Ennezat, 14.7.2025)

Am Vorabend des ersten Ruhetages, der bei dieser Tour de France wegen des vorherigen Nationalfeiertags auf den Dienstag verschoben wurde, zeigte Tadej Pogačar (UAE Team Emirates – XRG) sich im Interview mit einem TV-Sender aus seinem Heimatland Slowenien »genervt«. Das betraf die taktischen Nadelstiche, die Fahrer vom Team Visma – Lease a Bike auf der jüngsten Etappe erneut gesetzt hatten. Allerdings besteht nach der Hälfte der Frankreich-Rundfahrt für den 26jährigen Toursieger von 2024, 2021 und 2020 eigentlich kein Grund zu solchem Unmut.

Zwar hat in Gestalt von Simon Yates der zweitstärkste Klassementfahrer der besagten Konkurrenzmannschaft am Montag den Tageserfolg errungen. Doch der 32jährige Brite hatte in der Vorwoche den Anstrengungen seines Giro-Sieges Tribut gezollt, so dass er in der Gesamtwertung längst abgeschlagen ist. Dass er sich schon zum zweiten Mal Ausreißern angeschlossen hatte, hatte indes den Hauptzweck verfehlt, seinem Kapitän Jonas Vingegaard eine Attacke vorzubereiten. Der Toursieger von 2023 und 2022 hielt sich bis zum Ziel im Zentralmassiv zurück, und wenn Kollegen des 28jährigen Dänen im Peloton gelegentlich beschleunigten, erschien das so zwecklos, dass man fürchten mochte, die Taktikfüchse der Visma-Mannschaftsleitung hätten den Verstand verloren.

Pogačar hat indes auf der vierten und der siebten Etappe nach jeweils hügeligem Streckenverlauf im Bergaufsprint Tagessiege erzielt. Und dazwischen hat er im ersten Zeitfahren eine viel bessere Leistung gezeigt als noch im Juni beim Vorbereitungsrennen in der Dauphiné: Zwar blieb er gut 16 Sekunden langsamer als der erwartete Sieger, der ein Jahr jüngere Belgier Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step). Doch als Tageszweiter hatte Pogačar dem Hauptkonkurrenten Vingegaard gut eine Minute Rückstand aufgebrummt. Daraufhin hatte er das Gelbe Trikot übernommen, das er wohl ununterbrochen getragen hätte – wenn er es nicht zweimal absichtlich jemand anderem überlassen hätte, um den damit zusammenhängenden zeitraubenden protokollarischen Pflichten zu entgehen.

Am Mittwoch wird also der 24jährige Ire Ben Healy (EF Education – Easypost) als Gesamtführender an den Start gehen, da er sich am Montag als Etappendritter aus einer Ausreißergruppe einen Vorsprung von knapp einer halben Minute vor Pogačar erarbeitet hat, hinter dem im Gesamtklassement Evenepoel mit einer Minute sowie Vingegaard mit weiteren 17 Sekunden Rückstand folgen. Auf ähnlich welligem Terrain war Healy, der spätestens in den Alpen den Anschluss verlieren dürfte, am Donnerstag bereits aus einer Fluchtgruppe zum Solosieg gefahren. Daraufhin schlüpfte der ebenfalls ausgerissene Mathieu van der Poel (Alpecin – Deceuninck) für einen weiteren Tag ins Gelbe Trikot, das er schon nach dem ersten Rennwochenende dreimal getragen hatte. Allerdings hatte der 30jährige Niederländer im Ziel bloß eine Sekunde Gesamtvorsprung, weil Team Visma im Etappenfinale aufs Tempo gedrückt hatte. Das scheinbar paradoxe Ziel war, dem Konkurrenten Pogačar die Gesamtführung zu sichern, der daraufhin in Statements erstmals genervt klang.

Am Sonntag dürfte van der Poel die Männer um Vingegaard sogar verflucht haben, da sie – ungeachtet der Präsenz des hellwachen Pogačar – bei vorübergehendem Seitenwind partout eine Windstaffel aufbauen wollten. Das hatte primär den Effekt, am Ende des Pelotons den Kollegen Wout van Aert abzuhängen, der am Vortag Zweiter des von Jonathan Milan (Lidl – Trek) gewonnenen Massensprints geworden war. Eine sekundäre Folge der vorübergehenden Beschleunigung mochte wiederum sein, dass ein Husarenritt, den van der Poel mit einem einzigen Kollegen angetreten hatte, auf dem allerletzten Kilometer zunichte gemacht wurde. Danach kam es – ohne van Aert – zur allgemein erwarteten Sprintentscheidung, die Tim Merlier (Soudal Quick-Step) gewann. Der 32jährige belgische Spezialist hatte davor schon am Montag gewonnen, nachdem Jasper Philipsen (Alpecin – Deceuninck) beim Zwischensprint schwer gestürzt war und das Rennen im Grünen Trikot des Punktbesten aufgegeben hatte.

Drei Tage später wurde João Almeida in einen Sturz verwickelt, der ihn am Sonntag zur Aufgabe zwang. Er war im Hochgebirge als wichtigster Helfer Pogačars vorgesehen, der sich auch um den Kollegen Pavel Sivakov sorgen muss, der am Montag offenbar wegen eines Infekts früh Schwächen zeigte. Jedenfalls dürfte es seiner Mannschaft nun um so schwerer fallen, jenes Chaos zu kontrollieren, das man bei Visma offenbar im Sinn hat – auch wenn man wohl selbst nicht immer weiß, was man (mit erheblichem Kraftaufwand) gerade treibt.

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