Rüstung sichert deinen Arbeitsplatz nicht
Von Susanne Knütter, Salzgitter
Die Rüstungsindustrie in Deutschland arbeitet derzeit daran, ihre Kapazitäten auszubauen. Wo ein Industriebetrieb zu schließen droht, schauen Rheinmetall und Co. vorbei, um abzuchecken, ob sich der Standort lohnt. Im Gepäck haben sie das Angebot, ein paar der Beschäftigten, deren Arbeitsplätze gestrichen werden, zu übernehmen, etwa das Softwareteam eines Autozulieferers. Der Panzerbauer KNDS in Görlitz will zum Beispiel gut die Hälfte der vorher 700 bei dem Waggonbauer Alstom beschäftigten Arbeiter übernehmen. Aus dieser umgekehrten Konversion konstruierten nicht wenige einen »Jobmotor Rüstungsindustrie«. Weit gefehlt, wie Ulf Immelt vom DGB in Mittelhessen auf der dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden am Sonnabend in Salzgitter erläuterte. So sei die Zahl der Erwerbslosen im Juni trotz »Frühjahrsbelebung« lediglich um 5.000 auf 2,914 Millionen Personen gesunken. Das seien 188.000 Erwerbslose mehr als im Juni 2024. Seit Mai 2022 gebe es sogar 650.000 mehr – ein Zuwachs von mehr als 25 Prozent. Ebenso seien die Klagen über den Arbeitskräftemangel zurückgegangen, ganz besonders in der Industrie.
Für die Masse der arbeitslosen Lohnabhängigen gibt es entgegen prominenter Verlautbarungen in der Rüstungsbranche keinen Platz: Bei den Endherstellern der Rüstungsindustrie in Deutschland sind nach Zahlen des kapitalnahen Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) derzeit um die 60.000 Menschen beschäftigt. Einschließlich der Zulieferer kommt das IW auf 150.000 Beschäftigte. In der Industrie sind mehr als sieben Millionen beschäftigt. Die Geschichte vom »Jobmotor Rüstung« diene also ausschließlich dazu, bei denjenigen, die um ihren Arbeitsplatz bangen, Zustimmung zum Kriegskurs zu erzeugen, so Immelt. Und: im Schließungsfall die Füße stillzuhalten. Immelt machte klar: Der Kampf um jeden Arbeitsplatz ist immens wichtig. Einerseits, um zivile Arbeitsplätze zu verteidigen. Andererseits geht es um vergleichsweise gute, abgesicherte und mitbestimmte Arbeitsplätze. Denn da, wo die Gewerkschaften stark sind, wird derzeit drastisch abgebaut.
So sank die Zahl der Industriebeschäftigten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Zeitraum von 2019 bis 2024 – ausgehend von 7,53 Millionen – um 330.000. Und die Streichungen schreiten immer schneller voran. Im Februar wurden laut der Bundesagentur für Arbeit im Vergleich zum Vorjahr 125.000 Industriearbeitsplätze abgebaut. Ein Jahr vorher betraf das in der gleichen Zeitspanne noch 32.000 Stellen in der Industrie.
Die Ursachen: Wirtschaftskrieg, Energiepreise, die Konkurrenz auf dem Weltmarkt, Veränderung der Produktionsweise. Ganz besonders aber, was man unter Transformation zusammenfasst. Immelt machte deutlich: Das heißt nicht, dass die alten Arbeitsplätze in den Schlüsselindustrien einfach verlorengehen. Es wird gänzlich neue Arbeitsplätze und Berufe geben. Die werden aber in der Regel prekär sein. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ging schon vor Jahren davon aus, dass jeder vierte sozialversicherungspflichtige Job von der Transformation betroffen sein wird.
Die Kollegen auf der Konferenz berichteten, wie in ihren Betrieben unter dem Deckmantel der Transformation Leute entlassen werden und von den übrig gebliebenen erwartet wird, dass sie mehr arbeiten – ohne Lohnausgleich, versteht sich. Dagegen kann man sich wehren. Und es gibt mehr Optionen als zustimmen und ablehnen. Immelt gab ein Beispiel: Bei Johnson Controls in Mittelhessen stimmten Betriebsrat und Belegschaft nach Beratung mit ihrer Gewerkschaft vor etwa neun Jahren zwar einer Arbeitszeitverlängerung zu. Ihre Bedingung aber war, dass die 300 Leiharbeiter im Betrieb als befristet Beschäftigte angestellt werden. Also zwar nicht unbefristet, aber unter den gleichen Arbeits- und Lohnbedingungen wie die Festangestellten. Das Unternehmen stimmte zu, später seien die 300 Kollegen auch übernommen worden. Am Ende wurde der Betrieb geschlossen. Ein Nebeneffekt der erfahrenen Solidarität aber war, so Immelt im Gespräch mit jW: Obwohl sie von der Schließung bereits wussten, streikten die Kollegen in der Metalltarifrunde noch mit.
Ein Kollege erinnerte an den europaweiten Streik der Hafenarbeiter 2006 gegen den Plan der EU-Kommission, Seeleute künftig ihre Schiffe selbst be- und entladen zu lassen. Ein Großteil der Hafenarbeiter hätte dadurch auf einen Schlag ohne Arbeit dagestanden. Solche erfolgreichen Beispiele von internationalen Arbeitskämpfen helfen in der Diskussion mit den Beschäftigten, die zu großen Teilen verunsichert seien und der Erzählung von der heilbringenden Rüstungsindustrie auf den Leim gingen.
Lena Fuhrmann, Betriebsrätin und Aufsichtsratsmitglied der Salzgitter Flachstahl GmbH, betonte angesichts der enormen Produktivitätssteigerungen in der Stahlindustrie, wie wichtig die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung sei. Gerade jetzt. Die Einigung zwischen Thyssen-Krupp und IG Metall vom Wochenende dürfte der Durchsetzung solcher Forderungen allerdings eher schaden.
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