Schweiß und Tränen
Von Oliver Rast
Die Stimmung ist im Keller. Leonard Bockting hockt auf der Holzbank in der Kabine. Unterarme auf die Oberschenkel gestützt, den Blick auf den Boden gerichtet. Schweißperlen rinnen über den Cut am linken Jochbein. Ergebnis einer Ringschlacht. Nur wenige Minuten zuvor. Am Samstag abend im Preussen-Stadion in Berlin-Lankwitz. Dort, wo für gewöhnlich die Kicker des BFC Preussen auf Torejagd gehen.
Nicht so diesmal. Direkt vor der Tribüne des Stadionhauptgebäudes haben eifrige Hände einen Hochring mit Traversen installiert. Dazu Stühle und Bierbänke. Einige Zuschauerbereiche sind mittels großflächiger Sonnenschirme einer Berliner Biermarke überdacht. Notdürftig. Es regnet seit Stunden in Strömen. Nässe und Feuchte dringen durch jede Pore.
Dennoch, die Veranstaltung geht über die Bühne. »Playgroundboxing« nennt sich das Format. Boxeinlagen mit viel Entertainment. Oder wie Kritiker sagen: Kirmeskloppereien von Egomanen mit Social-Media-Accounts. Sei’s drum. Bei jungen Leuten werden diese Events immer beliebter. Wegen der wilden Mischung: Kämpfer mit Stippvisiten im Amateur- oder Profibereich treffen auf Insta-Sternchen.

Die Anfänge liegen in den Hinterhöfen von Weißensee im Nordosten Berlins; inspiriert eben durch Youtuber, die sich im Boxsport versuchten. Das ist schon ein paar Jahre her. Seit anderthalb Jahren veranstalten die Macher Lavi und Toivo Playgroundboxing – eine Eigenmarke des Duos – professionell. Wenn auch mit Schwierigkeiten. Beispiel: Die Veranstalter mussten ad hoc den Austragungsort wechseln. Anwohner an der Ursprungsstätte im alten Eisstadion Wilmersdorf protestierten gegen Lärm und Menschenauflauf. Mit Erfolg. Verantwortliche des Bezirks kündigten kurzerhand den Vertrag.
Der Ortswechsel war für Bockting kein Problem. Auch die Witterung nicht; Regenschauer ohne Unterlass. Ferner nicht, dass der Zeitplan dem Wetter zum Opfer fiel. Mit anderthalbstündiger Verspätung ging es für den 27jährigen Modellathleten in das Seilquadrat zum Fight im Mittelgewicht. Das Besondere bei diesem Boxformat: Auf der robusten Vinylplane boxen die Kontrahenten auf nur drei mal drei Meter und in nur vier Runden je zwei Minuten. Bockting: »Ertönt der erste Gong, musst du sofort Gas geben.« Zeit und Raum für taktische Finessen bleiben nicht. Die Devise: Schlagsalven abfeuern – und Treffer setzen, klare Hände.
Das wird Bockting bei seinem vierten Playgroundfight nur selten gelingen. In Runde eins und Runde zwei läuft der gebürtige Osnabrücker immer wieder in die Aufwärtshaken seines Gegners. Ein ums andere mal ringt Bockting um festen Stand im rutschigen Ring. Und auch sonst, er wirkt verkrampft, nicht locker. Trainer Robert Rolle mahnt aus der Ringecke mehrmals lautstark Offensivaktionen seines Schützlings an. Rolle versteht das Boxhandwerk, schließlich war er mal Europameister der Profis im Halbschwergewicht. Und sein Sohn Arminius ist aktuell Deutschlands jüngster Profiboxer.

Gong zu den dritten zwei Minuten. Bockting prescht vor, kassiert abermals Konter. Coach Rolle reagiert zusehends ungehalten. »Leo, warte nicht, zieh’ die Rechte hoch, los jetzt.« Es hilft nichts, auch in der letzten Runde nicht. Bockting verliert einstimmig nach Punkten.
Rolles Fazit fällt in der Kabine hart aus: »Leo, das war zu wenig, ich sehe bei dir keine Entwicklung.« Auf diesem Leistungslevel wolle er ihn nicht mehr coachen. Bockting schweigt – sagt dann: »Ich nehm’ mir das alles sehr zu Herzen, kann es im Moment aber nicht verarbeiten.« Tränen vermischen sich mit Schweißperlen.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Karlheinz W. aus Wesselburen (13. Juli 2025 um 22:09 Uhr)Solange es gefördert wird, dass sich zwei Menschen, die sich meist nichts getan haben und sich womöglich gar nicht kennen, gegenseitig blutig schlagen, muss man sich nicht wundern, wenn dasselbe in größerem und brutalerem Maßstab ebenso stattfindet. Wer das Boxen unterstützt, hat keinen Frieden verdient. Karlheinz Wassermann
- Antworten
Mehr aus: Sport
-
Schnelle Entscheidung
vom 14.07.2025