Haftbefehl gegen Taliban
Von Yaro Allisat
Es ist das erste Mal, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) Haftbefehle wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung erlässt: Am Dienstag hat das Gericht in Den Haag ebensolche gegen zwei Anführer der seit 2021 in Afghanistan regierenden Taliban erlassen. Es gebe einen begründeten Verdacht der geschlechtsspezifischen Verfolgung und damit der Verbrechen gegen die Menschheit. Die Haftbefehle richten sich gegen Taliban-Chef und Staatsoberhaupt Habaitullah Achundsada sowie Afghanistans Obersten Richter Abdul Hakim Hakkani. Sie müssen von den mehr als 120 Mitgliedstaaten des IStGH, darunter auch Deutschland, vollstreckt werden, sollte eine der Personen in eines der Länder einreisen.
Die Haftbefehle waren im Januar dieses Jahres beantragt worden. In einer Mitteilung heißt es, es gebe »hinreichende Gründe für die Annahme«, dass die beiden Gesuchten die Verfolgung von »Mädchen, Frauen und anderen Personen, die der Politik der Taliban in Bezug auf Geschlecht, Geschlechtsidentität oder -ausdruck nicht entsprechen, angeordnet, veranlasst oder dazu aufgefordert haben«. Betroffen seien auch Personen, die als »Verbündete von Mädchen und Frauen« angesehen werden. Damit verstießen sie gegen Artikel 7 Absatz 1 des Römischen Statuts. In Betracht gezogen haben die Richter dabei Gesetze der Taliban, die insbesondere Frauen und Mädchen in ihren Grundrechten einschränken, beispielsweise im Zugang zu Bildung, Privatsphäre, Familienleben oder Bewegungs- und Meinungsfreiheit. »Afghanische Frauen und Mädchen, wie auch LGBTQI+-Personen, sind mit einer beispiellosen, skrupellosen und anhaltenden Verfolgung durch die Taliban konfrontiert«, so Karim Khan, Chefankläger des IStGH.
Angaben der UNO vom vergangenen Jahr zufolge bleibt 80 Prozent der afghanischen Mädchen im Schulalter, insgesamt 2,5 Millionen, das Recht auf Bildung versagt. Anordnungen verhindern, dass Frauen für nichtregierungsnahe Gruppen arbeiten. Ihnen ist es zudem untersagt, öffentliche Parks oder Sporthallen zu nutzen oder längere Distanzen ohne einen männlichen Begleiter zu reisen. Das vor einem Jahr beschlossene »Laster und Tugend«-Gesetzespaket verbietet es Frauen, in der Öffentlichkeit zu singen oder Gedichte zu rezitieren – nicht nur ihr Körper soll außerhalb des Hauses verdeckt sein, auch ihre Stimme soll das Haus nicht verlassen.
Während Organisationen wie Amnesty International die Entscheidung des IStGH begrüßten, wiesen die Taliban die Haftbefehle noch am Dienstag als »unbegründete Rhetorik« zurück. Sie erklärten, dass sie die Autorität des IStGH nicht anerkennen und beriefen sich auf das Versagen des Gerichts, Frauen und Mädchen in Gaza zu schützen. »Die Führung und die Beamten des Islamischen Emirats haben in Afghanistan eine beispiellose Justiz geschaffen, die auf den heiligen Gesetzen der islamischen Scharia beruht«, sagte Zabihullah Mujahid, Sprecher der Regierung, in einer Erklärung. Schon als die Haftbefehle Anfang des Jahres beantragt worden waren, hatten die Taliban den IStGH beschuldigt, politisch voreingenommen zu sein und es versäumt zu haben, die USA und deren Verbündete für Kriegsverbrechen im Land zur Rechenschaft zu ziehen. Nach 20 Jahren waren 2021 alle internationalen Truppen, die sich ohne völkerrechtliche Basis im Land befanden, abgezogen worden. Kurz darauf hatten die Taliban erneut die Macht übernommen. Die Zustimmung zum Vertragswerk des IStGH war 2003 unter der vom Westen gestützten Interimsregierung von Hamid Karsai erfolgt.
In Deutschland erhalten Frauen und Mädchen aus Afghanistan pauschal einen Schutzstatus. Männliche Afghanen mit abgelehntem Asylantrag und verurteilte Straftäter schiebt die Bundesregierung allerdings ab – eine Maßnahme, die von vielen NGOs als politische Anerkennung der Taliban-Regierung kritisiert wird. Zudem hatte die Regierung der BRD bereits vor Amtsübernahme angekündigt, Aufnahmeprogramme für gefährdete Afghanen auszusetzen. Zwar erklärte kürzlich das Verwaltungsgericht Berlin, die Regierung müsse bereits gemachte Zusagen auch einhalten, und ein Gutachten ergab, dass sie sich strafbar mache, wenn gefährdete Personen zurück in die Hände der Taliban gingen. Experten bezweifeln jedoch, ob die Bundesregierung sich daran halten wird oder ob weiterhin Tausende Afghanen ihrem Schicksal überlassen werden.
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