Berichterstatter im Fadenkreuz
Von Wiebke Diehl
Es sei »nicht hinnehmbar, dass radikale Siedler ungestraft Jagd auf Medienschaffende machen.« Mit diesen Worten reagierte der Deutsche Journalistenverband (DJV) auf den am vergangenen Freitag erfolgten Angriff israelischer Siedler auf einen Korrespondenten und einen Kameramann der Deutschen Welle (DW) im Dorf Sindschil nördlich von Ramallah im Westjordanland. Attackiert worden waren auch palästinensische Journalisten. Zudem gerieten weitere internationale Reporter, unter anderem von der New York Times, der Washington Post und der französischen Nachrichtenagentur AFP, ins Visier gewalttätiger Besatzer. Diese warfen Steine auf die Medienschaffenden und verfolgten sie. Zwar entkamen die beiden deutschen Journalisten, die durch das Tragen von Pressejacken eindeutig in ihrer Funktion erkennbar waren, unverletzt. Ihr Auto wurde jedoch schwer beschädigt. Die Reporter waren nach Sindschil gereist, um über einen geplanten Protest gegen Siedlergewalt und Landraub durch Israelis und ihre Regierung zu berichten.
Sindschil liegt im palästinensisch verwalteten Teil des Westjordanlands. Vor kurzem haben israelische Behörden dort einen fünf Meter hohen Metallzaun errichtet, der das Dorf von der Straße Nr. 60, der zentralen Nord-Süd-Achse im Westjordanland, und die Bewohner Sindschils von ihrem Land, also ihrer Lebensgrundlage, abschneidet. Durch den Bau des Zauns wurde zudem die Ernte örtlicher Bauern zerstört. Die 8.000 Einwohner des Ortes befinden sich jetzt in einem knapp zehn Hektar großen Gefängnis, das durch israelische Checkpoints zu verlassen meist Stunden dauert. »Geschützt« werden sollen dadurch die Bewohner völkerrechtswidriger israelischer Siedlungen, die ihrerseits ungestört Gewalt gegen die palästinensische Zivilbevölkerung ausüben können.
Auch der Intendant der Deutschen Welle (DW), Peter Limbourg, hat den Angriff auf seine zwei Mitarbeiter verurteilt. In einer am Sonnabend veröffentlichten Erklärung heißt es, es gebe »keine Rechtfertigung für diesen Angriff«. Die israelische Regierung müsse »die Sicherheit aller Journalisten im Westjordanland« garantieren. Dem schloss sich auch der deutsche Botschafter in Tel Aviv, Steffen Seibert, an.
Bei israelischen Übergriffen auf palästinensische Journalisten hingegen verteidigen deutsche Vertreter die Pressefreiheit weit weniger vehement. So auch am Montag morgen, als das israelische Militär in Bethlehem den Chefredakteur der palästinensischen Nachrichtenagentur Maan, Nasser Laham, verhaftete, der außerdem Leiter des Büros des libanesischen TV-Senders Al-Mayadeen im Westjordanland ist. Am Donnerstag sollte Laham vor das Militärgericht in Ofer gebracht werden, um über die Verlängerung seiner Haft zu verhandeln. Bereits vor zwei Monaten hat die israelische Armee den palästinensischen Journalisten Ali Samoudi, Reporter der Zeitung Al-Kuds und Mitarbeiter internationaler Medien, inhaftiert. Samoudi war Zeuge der Tötung der bekannten Al-Dschasira-Korrespondentin Shireen Abu Akleh im Jahr 2022 durch israelische Soldaten, während sie – eindeutig als Journalistin gekennzeichnet – ihre Arbeit verrichtete.
Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation »Reporter ohne Grenzen« (RSF) sind seit Beginn des israelischen Kriegs gegen den Gazastreifen im Oktober 2023 mindestens 181 Journalisten in der Küstenenklave und im Libanon getötet worden, die allermeisten, während sie ihre Arbeit verrichteten. Bereits viermal hat RSF Beschwerde beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht – wegen Kriegsverbrechen der israelischen Armee. Man habe hinreichende Beweise dafür erbringen können, dass es sich zumindest teilweise um gezielte Tötungen gehandelt habe, in Gaza würden Journalisten »in beispiellosem Tempo abgeschlachtet«, so RSF-Vertreter Antoine Bernard. Gemeinsam mit über 130 Medienorganisationen fordert RSF sofortigen, unabhängigen und uneingeschränkten Zugang für Medienschaffende zum Gazastreifen und hat zudem die von fast 200 Organisationen unterstützte Forderung nach Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommens unterschrieben. Die Bundesregierung blockiert allerdings eine entsprechende Entscheidung Brüssels.
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