»Immer noch ein Tabuthema«
Von Interview: Ina Sembdner
Sie arbeiten als Sexualassistentin. Wer sind Ihre Kunden?
Das Spektrum ist sehr weit. Es kann der ältere, aber noch ganz mobile Mann sein, der zum Beispiel an den Folgen einer Prostataoperation laboriert. Unter Umständen kommt dann der Gedanke auf, ›ich bin jetzt nur noch eine halbe Portion, weil ich meine Frau, Freundin, Lebensgefährtin nicht mehr zufriedenstellen kann‹. Dann ist es an mir zu zeigen, dass man trotzdem noch eine Menge Spaß miteinander haben kann. Eine meiner Schutzbefohlenen ist eine Dame um die 50, die seit ihrer Geburt schwer pflegebedürftig ist. Sie lebt seit Jahren in einer Einrichtung der Lebenshilfe, und ich besuche sie einmal im Monat. Es geht in diesem Fall weniger um körperliche Nähe als um emotionale Zuwendung. Ich biete natürlich Geschlechtsverkehr an, aber diese Option wird selten wahrgenommen. Wenn Sie im Pflegebett liegen, Multiple Sklerose haben oder als Rollifahrer mit allen möglichen Sachen verkabelt sind, bleibt oft nicht viel mehr als Streicheleinheiten für Körper, Geist und Seele.
Wie sieht das arbeitsrechtlich bei Ihnen aus?
Ich bin Freiberuflerin und mache das gewissermaßen nebenberuflich, weil ich eigentlich schon in Rente bin. 2018 habe ich mein Diplom bei der Beratungsstelle Kassandra in Nürnberg gemacht.
Also ist das offiziell angelegt?
Sexualassistentin ist keine geschützte Berufsbezeichnung und es ist ein Beruf, der zu wenig wahrgenommen wird. Sexualität von Älteren und von Menschen mit Handicap ist immer noch ein Tabuthema. Vor vielen Jahren hat mir eine Sexarbeitsgegnerin vorgeworfen, ich würde die Beine breitmachen für Krüppel und Lustgreise, wohlgemerkt ein wörtliches Zitat. Ich habe sie gefragt, ob sie der Meinung sei, dass Pflegeheime eine Art Müllhalde wären, wo man alles entsorgt und zwischenlagert, was nicht mehr schick, hip, gesund oder schön genug ist für die spätkapitalistische Konsumgesellschaft.
Ich habe zum Beispiel auch jemanden, der als Sozialphobiker an mich überwiesen wurde. Das ist jemand, der als Teenager eine ziemlich schlimme Rückgratverletzung hatte, dann jahrelang im Bett gelegen hat und von seinen Eltern von allem abgeschirmt wurde. Nach ihrem Tod ist er glücklicherweise in Therapie gegangen. Die Therapeutin schickte ihn zu Pro Familia, und die haben ihn zu mir geschickt. Man weiß, dass ich hier im Raum Gütersloh arbeite und gelegentlich bekomme ich auch Anfragen von Pflegeeinrichtungen. Klassisches Beispiel ist der Patient, der zu Übergriffigkeiten neigt. Aber es gibt oft nebulöse Vorstellungen von dem, was ich machen kann und was nicht. Einen Demenzpatienten kann ich nicht einfach umpolen darauf, dass ab und zu mal die Sibille vorbeikommt, die du anfassen darfst, aber die Pflegerinnen nicht. Das braucht seine Zeit.
Ich habe auch schon Vorträge dazu gehalten, etwa in der Anstalt Bethel bei Bielefeld. Das ist eine Einrichtung, in der sehr viel passiert in Sachen Pflege, Teilhabe und Inklusion. Bei den sogenannten Bethel-Tagen habe ich einen Vortrag gehalten über das Thema Sexualassistenz, gerichtet an freiwillige Helfer und Auszubildende. Dort habe ich vermittelt, was ich mache und wie die Kommunikationsstrukturen sein müssen. Denn die Tabuisierung betrifft auch die Leute selbst, die ebenfalls mit einer gewissen Scham behaftet sind.
Was empfinden sie angesichts von Debatten, die den Straftatbestand Zwangsprostitution und Menschenhandel mit Sexarbeit in einen Topf werfen und alles pauschal ablehnen?
Ich fühle mich als Sexualassistentin diskriminiert und habe ziemlich böse Erfahrungen mit Ausgrenzung gemacht. Zum Beispiel war ich vor vier Jahren Mitglied in einer Initiative, die in einem ehemaligen Kloster hier in der Nachbarschaft eine Art Bildungszentrum eingerichtet hat. Ich hatte auch schon einen Termin in der Tasche für eine Lesung mit Texten von Mascha Kaléko. Dann kriegte ich eine freundliche E-Mail des Vorstandes: Uns ist zu Ohren gekommen, dass du als Sexualassistentin tätig bist. Wir möchten dich bitten, dich nicht so sehr zu exponieren, denn das könnte dem Ruf unseres Vereins schaden.
Die Sexarbeitsgegner legen gar keinen Wert darauf, dass mehr Aufklärung passiert. Für sie sind alle Sexarbeiterinnen arme, geschundene Geschöpfe, die mit der Knute zur Arbeit getrieben werden. Dass das Spektrum dort genauso vielfältig und breit gefächert ist wie, sagen wir mal, in der Gastronomie wird schön säuberlich ausgeblendet. Kein Mensch würde sagen, dass die Arbeitsbedingungen bei McDonald’s mit denen in der Spitzengastronomie vergleichbar sind.
Sibille Schäfer arbeitet freiberuflich als Sexualassistentin
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