Repression statt Schutz
Von Gitta Düperthal
Im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) Dienstag vergangener Woche dem Bundestag eine knapp 900 Seiten umfassende Evaluation zum Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) vorgelegt. Familienministerin Karin Prien von der CDU drückt aufs Tempo, plant, noch vor der parlamentarischen Sommerpause eine Expertenkommission dazu einzurichten. Ziel ist, zu klären, inwieweit das ProstSchG sein Ziel im Kampf gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung erreicht hat und ob es noch zu »optimieren« ist. Dass in dem Gesetz noch mögliche Schlupflöcher bei der behördlichen Anmeldepflicht für Sexarbeiterinnen gestopft werden sollen, statt das Verfahren insgesamt zu hinterfragen, kritisiert der Verein für soziale und politische Rechte für Frauen, die in der Prostitution arbeiten, »Doña Carmen«. Immer wieder waren in ihm organisierte Sexarbeiterinnen und deren Kolleginnen in vergangenen Jahren aus Protest gegen die unter dem Vorwand des angeblichen Schutzes stattfindende Entrechtung seit Inkrafttreten des Gesetzes 2017 auf die Straße gegangen.
Laut Polizeistatistik des BKA sei die »prostitutionsspezifische Kriminalität« seit etwa 25 Jahren um mehr als 80 Prozent zurückgegangen, so Vorstandsmitglied Gerhard Walentowitz am Mittwoch gegenüber junge Welt. Die Anmeldepflicht beinhalte den Zwang zur persönlichen Teilnahme an mehreren Beratungsgesprächen. Die Betroffenen müssen einen Hurenpass mit Lichtbild bei sich tragen – wer ohne in der Prostitution arbeitet, wird mit Bußgeld bis zu 1.000 Euro sanktioniert. Wen wundert es, dass das Gesetz mit seinem Überwachungswahn bei den Sexarbeiterinnen nicht gut ankommt. »Doña Carmen« habe nichts gegen eine reguläre Anmeldepflicht für Sexarbeiterinnen nach Paragraph 138 Abgabenordnung, dem alle selbständig Tätigen unterliegen – für alles andere bestehe aber kein Anlass, meint Walentowitz.
Das KFN aber plädiert für mehr Repression: etwa 18 bis 21jährige Sexarbeiterinnen einem Test zu unterziehen, um deren »Reife« zu überprüfen. Ohnehin befänden 80 Prozent der für die Evaluation Befragten das Anmeldeverfahren für untauglich, um Ausbeutung oder sogenannten Menschenhandel erkennen zu können. Betroffene Frauen wüssten selbst am besten, wenn Kriminalität gegen sie oder in ihrem Umfeld stattfinde. Das Narrativ der unfähigen, orientierungslosen Sexarbeiterin, die, ohne es zu wissen, einer »gefahrgeneigten Tätigkeit« nachgeht, hält Walentowitz für unwürdig. Sexarbeiterinnen, die einer Versagung des Hurenpasses in einer Behörde durch Aufsuchen einer anderen Meldestelle aus dem Weg gingen, stelle das KFN eine »Sonderregistrierung« in Aussicht. Der Hurenpass soll digitalisiert werden, um künftig Kundinnen und Kunden auf den Plattformen einzubeziehen. Nicht Schutz, sondern lückenlose, perfektionierte Überwachung sei das Ziel. Kein anderer Berufsstand werde derart mit Repressionen überzogen.
Auf Nachfrage von jW, wie die Frauen, die die Beratungsstelle von »Doña Carmen« im Frankfurter Bahnhofsviertel aufsuchen, auf neuerlich mögliche Verschärfungen reagieren, antwortet Walentowitz: »Sie ticken nicht anders als jeder Mensch, der vom Staat unterdrückt werden soll«, seien besorgt und hätten Existenzangst, in den Untergrund gedrängt zu werden. »Doña Carmen« fordert die Abschaffung des ProstSchG und will, dass der Verein in der Expertenkommission beteiligt wird. Ähnlich sieht es auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen: Der BesD fordert gleichfalls, die Registrierungs- und gesundheitliche Beratungspflicht für Sexarbeitende abzuschaffen und »durch Ausbau der anonymen und kostenlosen Beratungs- und Untersuchungsmöglichkeiten in den Gesundheitsämtern zu ersetzen – mit Spezialisierung auf Sexworker«.
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