EU will Alternativ-WTO
Von Sebastian Edinger
Längst hat die 1994 gegründete Welthandelsorganisation (World Trade Organisation, WTO) ihren Zenit überschritten. Ihre Gründung wurde insbesondere von den USA und der Europäischen Gemeinschaft vorangetrieben, um weltweit Handelsbarrieren niederzureißen und auf den Märkten weniger entwickelter Länder einheimische Anbieter niederkonkurrieren zu können; heute ist die Organisation weitgehend blockiert. Nennenswerte Durchbrüche bei den internationalen Zollverhandlungsrunden gibt es seit Jahrzehnten nicht mehr zu vermelden. Seit 2019 ist auch das Schiedsgericht lahmgelegt, das Handelsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten regeln soll. Nun tüftelt die EU an einer Alternative.
»Die Kommissionspräsidentin hat von sich aus angesprochen, ob wir nicht als Europäer eine neue Art von Handelsorganisation auf den Weg bringen sollten, die das schrittweise ersetzt, was wir mit der WTO heute nicht mehr haben«, sagte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach dem EU-Gipfel vergangene Woche in Brüssel. Er selbst habe bereits mit den Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien darüber gesprochen. Als möglichen Ansatz brachte er ins Spiel, die EU solle in künftigen Handelsabkommen Streitschlichtungsmechanismen verankern, die dann Grundlage für ein neues multilaterales System sein könnten.
Anders als bei der WTO-Gründung vor gut 30 Jahren kommen die USA diesmal nicht als Partner im Kampf gegen Zölle und andere Marktzugangsbarrieren in Betracht. Im Gegenteil, war es doch die Regierung Trump I, die mit der Blockade der Neubesetzung von Richterposten im WTO-Berufungsgericht 2019 die Schiedsstelle lahmlegte. Die Biden-Administration hielt an der Blockade fest, und die aktuelle Regierung Trump II machte unter anderem mit zahlreichen neuen Zöllen deutlich, dass sie keinerlei Interesse an einer Wiederbelebung der liberalen Handelsagenda hat, wie sie einst mittels der WTO international durchgesetzt werden sollte.
Statt auf Handelsliberalisierung setzt die Trump-Administration im Kampf um den Erhalt der globalen Vormachtstellung auf das Recht des Stärkeren. Handelsbeschränkungen sind nicht mehr Teufelszeug, das die eigenen Konzerne an der Eroberung ausländischer Märkte hindert, sondern eine effektive Waffe im Wirtschaftskrieg. Die EU hingegen ist sich augenscheinlich bewusst, dass sie in der künftigen Weltordnung zwischen USA und »BRICS plus« nicht zu den Starken gehören und daher von einem regelbasierten Handelsregime profitieren würde.
Da eine Wiederbelebung der WTO unrealistisch scheint, soll eine Alternative her, eine Art »Koalition der Willigen«. Als Ausgangspunkt zieht die EU-Kommission die »strukturierte Zusammenarbeit« mit den Ländern des »Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership« (CPTPP) in Betracht: »Wir arbeiten eng mit gleichgesinnten Partnern, darunter auch CPTPP-Ländern, zusammen, um sinnvolle, regelbasierte Reformen voranzutreiben, die einen fairen und offenen Welthandel gewährleisten«, heißt es bei der EU-Kommission. Dabei gehe es auch um ein System der Beilegung von Handelsstreitigkeiten. Der CPTPP-Ländergruppe gehören Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und seit 2024 Großbritannien an.
Gemeinsam stehen diese Länder für 13,4 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Dass sich Wirtschaftsmächte wie China, Indien, Russland oder die USA mit ihren riesigen Märkten einem solchen Alternativregelrahmen unterwerfen würden, kann jedoch ausgeschlossen werden. Entsprechend skeptisch fielen erste Reaktionen des hiesigen Kapitals aus. Der Welthandel dürfe nicht in konkurrierende Handelsblöcke mit unterschiedlichen Regeln zerfallen, warnte etwa Dirk Jandura, Präsident des Bundesverbandes Groß- und Außenhandel, laut der Nachrichtenagentur Reuters. Entscheidend sei, »dass diese neue Organisation nur als Übergangslösung konzipiert werden darf, mit dem klaren Ziel, die WTO zu reformieren und nicht zu ersetzen«.
Die Bundesregierung sah sich daher am Freitag genötigt, erst einmal die Wogen zu glätten. Man wolle an der WTO festhalten, sie müsse aber reformiert werden, hieß es laut Reuters aus dem Wirtschaftsministerium. Ein bestehendes multilaterales Regelwerk wolle man nicht so schnell aufgeben.
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