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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Stiller Jubilar des Tages: Währungsunion

Von Nico Popp
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Zuletzt lachte man leider nur noch in den Vorstandsetagen der westdeutschen Banken und Konzerne: Eine junge Frau ließ sich am 1. Juli 1990 in Ostberlin mit »wertlosen« DDR-Banknoten fotografieren

Zugegeben, ein 35. Jahrestag ist recht selten Anlass für Feuerwerk und/oder Sternstunden der politischen Dichtkunst. Aber dass der Jahrestag der sogenannten Währungsunion vom 1. Juli 1990 so ziemlich ohne Sang und Klang über die Bühne geht, hat spezifische Gründe – weist doch der penibel abgearbeitete Festkalender der »Wiedervereinigung« viele belanglosere Einträge auf.

Die Einführung der D-Mark war die wesentliche politisch-ökonomische Wegmarke der Beseitigung der DDR; danach war der alsbald verschwundene Staat nur noch teilsouverän. Und dennoch machte am Montag nur eine Pressemitteilung der Kreditanstalt für Wiederaufbau die Runde, der zu entnehmen war, dass die KfW 2002 das letzte DDR-Papiergeld »in einer Müllverbrennungsanlage endgültig entsorgt« hat.

Dieser Rest des feixenden Triumphalismus von einst macht die sonstige Zurückhaltung nur um so auffallender. Es scheint beinahe, als habe sich herumgesprochen, dass diese Währungsunion der Auftakt für eine historisch einzig dastehende Katastrophe war: eine in Friedenszeiten beispiellose Vernichtung von wirtschaftlicher Substanz, für die mit dem D-Mark-induzierten Fortfall fast aller Absatzmärkte die Weichen gestellt wurden. Was an Konkurrenz für westdeutsche Konzerne übrigblieb, erledigte dann die Treuhand.

Damals war rasch die verlogene Geschichte zur Hand, dass das alles nur deshalb so kam, weil die Industrie im Osten eben »marode« war. Und sowieso hätten »die Ostdeutschen« das so gewollt. Haben sich die Leute am 1. Juli 1990 etwa nicht um das »richtige« kapitalistische Geld geprügelt? Die Arbeiterklasse der DDR war auf eigentümliche Weise selbstbewusst, und ihr kam gar nicht in den Sinn, dass man sie alsbald erbarmungslos fertigmachen würde. Was 1990 ff. im Osten passierte, kann indes auch retrospektiv zu einer sehr nachhaltigen Sensibilisierung führen. Zeit also, dass das Material »endgültig entsorgt« wird.

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  • Leserbrief von Kora Brandner aus Elsteraue (3. Juli 2025 um 15:26 Uhr)
    Danke für die Erinnerung an eine würdelose Zeit der Übernahme der gesamten Wirtschaft der DDR. Berichtet wird heutzutage nur über marode Betriebe und Menschen, die den Begriff Volkseigentum nie wirklich verstanden haben. 35 Jahre später ist so manch einer erwacht. Zu spät? Heutzutage wird das Geld in einer überdimensionierten Aufrüstung versenkt und die Masse schweigt.
  • Leserbrief von Doris Prato (3. Juli 2025 um 11:34 Uhr)
    Die DDR verlor nicht nur ihre Währungshoheit, sondern ebenso ihre Geschäftsfähigkeit über die Wirtschaft, einschließlich ihres Außenhandels und aller damit zusammenhängenden Verwaltungsfragen. So übernahm die Treuhandanstalt 7.894 Volkseigene Betriebe mit vier Millionen Beschäftigten, etwa 40 Prozent aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der DDR umfassende Grundfläche. Dazu gehörten auch Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten bis hin zu Zirkusbetrieben. Einbezogen werden sollte/müsste die Rolle, die Gregor Gysi mit seiner opportunistischen Rolle, so der Umwandlung der SED in seine sozialdemokratische PDS, dabei als Wegbereiter spielte. Das Bekanntwerden dieser im Staatsvertrag beschlossenen Maßnahmen führte bereits im Vorfeld seines Inkrafttretens in der PDS durchaus zu kritischen Auseinandersetzungen darüber, dass die Führung dem zu wenig oder auch keinen Widerstand entgegengesetzt hatte und zwang Gregor Gysi auf der Sitzung des Parteivorstandes Mitte Juni, sich dazu zu äußern. Er lavierte mit einem Mischmasch von einigen Eingeständnissen, des Relativierens einiger unmittelbar nach der »Wende« verkündeter Alternativen und in der Substanz an ihrem Festhalten. So versuchte er selbst jetzt Ursachen dieses mit der Währungsunion zu erwartenden Überstülpens des kapitalistischen Systems auf die DDR zu beziehen, in der kein Sozialismus, noch nicht einmal deformierter geherrscht habe, sondern einfach nur »Nichtkapitalismus«. Er musste zwar zugeben, dass jetzt »Kapitalismus pur« kommt, beharrte gleichzeitig darauf, dass, um aus den Fehlern der DDR zu lernen, »wir einen guten Schuss bürgerlichen Parlamentarismus gebrauchen« und eine effizientere Wirtschaft und „marktwirtschaftliche Elemente“. Er erneuerte das Angebot an die SPD, unter »sozialistischen Vorzeichen«, wie sie die PDS vertrete, könne »ein Zusammengehen mit der SPD natürlich ausgesprochen positive Elemente haben«. Zu diesen zählte er ausdrücklich ihren Hang zur »Effizienz der Wirtschaft, ihren Hang zur Demokratie«. Dann beteuerte er, um die Kritiker zu beschwichtigen, einen »Frieden mit dem Kapital«, wie ihn die Sozialdemokratie (das bezog sich auf die Geschichte) gemacht habe, werde die PDS nicht machen. Aber, so entschuldigte er, auch in der DDR sei ja der erste Versuch einer nicht kapitalistischen Gesellschaft gescheitert, um im nächsten Satz zu loben, dass »der Kapitalismus funktioniert (der Nichtkapitalismus in der DDR eben nicht), dieser ›Effizienz‹ und eine ›relative Demokratiefähigkeit entwickelt‹ habe«. Das frühere Zentralorgan der SED, das inzwischen zu dem der PDS mutiert war, berichtete unter der Überschrift »PDS steht in fundamentaler Kritik zum Kapitalismus«. Die Ausgabe erschien zwei Tage vor dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, am 28. Juni 1990.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (1. Juli 2025 um 15:47 Uhr)
    Zwanzig vor vier, also zu spät für einen Leserbrief zur jW. Oder ich schreibe heute und der erscheint dann gestern. Wie vorgestern geschehn. - Mist für die Werktätigen, die sich äußern wolln - sie kommen für die Leserbriefeverwaltung zu spät. Gestern, heute, morgen. Vom Wochenende ganz zu schweigen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus bib (30. Juni 2025 um 21:38 Uhr)
    Zitat: »Die Arbeiterklasse der DDR war auf eigentümliche Weise selbstbewusst, und ihr kam gar nicht in den Sinn, dass man sie alsbald erbarmungslos fertigmachen würde.« – Diese Aussage bleibt eine journalistische Behauptung ohne jeglichen Beleg. Tatsächlich wünschten sich viele DDR-Bürger die D-Mark – allerdings verbunden mit der Hoffnung, dass zugleich soziale Sicherheit und Lebensstandard erhalten blieben. Diese naive Erwartung übersah jedoch die realen ökonomischen Widersprüche. Es kam, wie es kommen musste: Die D-Mark wurde eingeführt, mit allen gesellschaftlichen Folgen – ein Grund, warum dieser Jahrestag heute weder gefeiert noch bejubelt wird.

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