Bacons Rebellion
Von Howard Zinn
In wenigen Tagen erscheint im Berliner März-Verlag eine überarbeitete Neuausgabe von Howard Zinns (1922–2010) Klassiker »Eine Geschichte des amerikanischen Volkes«. Wir dokumentieren daraus im folgenden einen Auszug aus dem Kapitel »Personen gemeinen und elenden Standes« und danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung zum Vorabdruck. (jW)
Im Jahr 1676, 70 Jahre nach der Gründung von Virginia, 100 Jahre bevor es die Führung der amerikanischen Revolution übernahm, sah sich diese Kolonie einer Rebellion von weißen Grenzbewohnern gegenüber, denen sich Sklaven und Gesinde angeschlossen hatten; einer so bedrohlichen Rebellion, dass der Gouverneur aus der brennenden Hauptstadt Jamestown fliehen musste und England entschied, 1.000 Soldaten über den Atlantik zu schicken, in der Hoffnung, die Ordnung unter 40.000 Kolonisten wiederherzustellen. Das war Bacons Rebellion.
Sie begann mit einer Auseinandersetzung darüber, wie man mit den Native Americans im nahen westlichen Grenzland umgehen sollte, die eine ständige Bedrohung darstellten. Weiße, die man bei der Verteilung riesiger Landrechte rund um Jamestown übergangen hatte, waren auf der Suche nach Ackerland nach Westen gezogen und dort auf Native Americans gestoßen. Waren diese Grenzbewohner Virginias wütend, dass die Politiker und aristokratischen Landbesitzer, welche die Regierung in Jamestown kontrollierten, sie zuerst westwärts in das Territorium von Native Americans trieben und dann unentschlossen schienen, die Native Americans zu bekämpfen? Das mag den Charakter ihrer Rebellion erklären, die nicht einfach als antiaristokratisch oder anti-»indianisch« klassifiziert werden kann, weil sie beides war.
Und der Gouverneur, William Berkeley, und seine Jamestown-Clique – waren sie versöhnlicher gegenüber den Native Americans (sie warben einige von ihnen als Spione und Verbündete an), jetzt, wo sie das Land im Osten monopolisiert hatten, weiße Grenzbewohner als Puffer benutzen konnten und Frieden brauchten? Die Verzweiflung, mit der die Regierung versuchte, den Aufstand niederzuschlagen, schien zweierlei Motive zu haben: eine Politik zu entwickeln, mit der man die Native Americans entzweite, um sie zu kontrollieren; und den armen Weißen in Virginia zu demonstrieren, dass Rebellion sich nicht lohnte – durch die Vorführung überlegener Stärke, durch den Ruf nach englischen Truppen, durch Massenhinrichtungen.
Sechs von sieben Teilen arm
Schon vor der Rebellion hatte die Gewalt im Grenzgebiet zugenommen. Einige Angehörige des Doeg-Stammes nahmen sich ein paar Schweine, um eine Schuld zu begleichen, und Weiße ermordeten, als sie die Schweine zurückholten, zwei Native Americans. Die Doeg schickten dann eine Kriegstruppe aus, um einen weißen Hirten zu töten, woraufhin eine weiße Miliztruppe 24 Native Americans umbrachte. Die Bürgerversammlung von Jamestown erklärte den Native Americans den Krieg, bot aber an, jene zu verschonen, die kooperierten. Das schien die Grenzbewohner zu ärgern, die totalen Krieg wollten, aber auch gegen die hohen Steuern grollten, die für den Krieg erhoben wurden.
Die Zeiten waren hart im Jahre 1676. »Es gab echtes Elend, echte Armut (…). Alle zeitgenössischen Quellen sprechen von der großen Masse der Menschen als in ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckend«, schreibt Wilcomb Washburn, der mit Hilfe von britischen Kolonialdokumenten eine minutiöse Studie über Bacons Rebellion erstellt hat. Es war ein trockener Sommer, was die Maisernte ruinierte, die man zum Essen, und die Tabakernte, die man für den Export brauchte. Gouverneur Berkeley, in den Siebzigern und amtsmüde, beschrieb seine Situation entnervt: »Wie elend ist der Mann, der ein Volk regiert, in dem mindestens sechs Teile von sieben arm, verschuldet, unzufrieden und bewaffnet sind.«
Sein Ausdruck »sechs Teile von sieben« deutet an, dass es eine weniger verarmte Oberschicht gab. In der Tat hatte sich eine solche Klasse in Virginia bereits herausgebildet. Nathaniel Bacon selbst entstammte dieser Klasse, besaß ein ordentliches Stück Land und war womöglich mehr darauf aus, Native Americans zu töten, als die Leiden der Armen zu beenden. Aber er wurde zum Symbol für die Wut der Massen auf das Establishment von Virginia, und im Frühjahr 1676 wurde er in die Bürgerversammlung gewählt. Als er darauf bestand, bewaffnete Abteilungen außerhalb der offiziellen Kontrolle zu bilden, um die Native Americans zu bekämpfen, erklärte Berkeley ihn zum Rebellen und ließ ihn gefangennehmen, woraufhin 2.000 Virginier in Jamestown aufmarschierten, um ihn zu unterstützen. Berkeley ließ Bacon gegen eine Entschuldigung frei, doch Bacon ging hin, sammelte seine Miliz und begann, die Native Americans zu überfallen.
Bacons »Erklärung des Volkes« vom Juli 1676 zeigt eine Mischung aus populistischem Groll gegen die Reichen und dem Hass der Grenzlandbewohner auf die Native Americans. Sie klagte die Berkeley-Regierung wegen ungerechter Steuern an, dafür, dass Günstlinge in hohe Positionen ernannt wurden, dass sie den Biberhandel monopolisierten und dafür, dass sie die westlichen Farmer nicht vor den Native Americans schützten. Dann zog Bacon aus und griff die freundlichen Angehörigen des Pamunkey-Stammes an, tötete acht, nahm andere gefangen und plünderte ihre Besitztümer.
Es gibt Hinweise, dass die Masse der Soldaten, sowohl von Bacons Rebellenarmee als auch von Berkeleys offizieller Armee, nicht so enthusiastisch war wie ihre Anführer. Laut Washburn gab es Massendesertionen auf beiden Seiten. Im Herbst wurde Bacon, 29 Jahre alt, krank und starb, wie ein Zeitgenosse es ausdrückte, an »Schwärmen von Ungeziefer, das in seinem Körper brütete«. Ein Geistlicher, offensichtlich kein Sympathisant, schrieb dieses Epitaph: »Bacon ist tot und es tut mir von Herzen Leid, / Dass Läuse und Ausfluss die Rolle des Henkers übernommen haben.«
Die Kette der Unterdrückung, die in Virginia herrschte, war vielgliedrig. Die Native Americans wurden von weißen Grenzbewohnern ausgenommen, die von der Elite in Jamestown besteuert und kontrolliert wurden. Und die ganze Kolonie wurde von England ausgebeutet, das den Tabak der Kolonisten zu einem Preis kaufte, den es selbst diktierte und der dem König jährlich 100.000 Pfund Sterling einbrachte.
Nach eigener Aussage des Gouverneurs unterstützte der überwiegende Teil der Bevölkerung von Virginia den gegen ihn gerichteten Aufstand. Ein Mitglied des Rates berichtete, dass die Abtrünnigkeit »nahezu allgemein« war, und schob es auf die »lasterhafte Veranlagung einiger Personen von verzweifeltem Schicksal«, welche die »vergebliche Hoffnung nährten, das Land gänzlich den Händen Ihrer Majestät zu entreißen und in ihre eigenen zu nehmen«. Ein anderes Mitglied des Gouverneursrates, Richard Lee, merkte an, dass Bacons Rebellion wegen der Politik zum Umgang mit Native Americans losbrach. Die »begeisterte Neigung der Masse«, Bacon zu unterstützen, beruhe auf ihrer »Hoffnung auf Ausgleich«. »Ausgleich« bedeutete, den Reichtum gleichmäßiger zu verteilen. Die Suche nach Ausgleich sollte in den eineinhalb Jahrhunderten vor der Revolution hinter unzähligen Aktionen armer Weißer gegen die Reichen stehen, in allen englischen Kolonien.
Wie Sklaven gekauft
Das Gesinde, das sich Bacons Rebellion angeschlossen hatte, gehörte einer riesigen Unterschicht von erbarmungswürdig armen Weißen an, die aus europäischen Städten, deren Regierungen nur darauf warteten, sie loszuwerden, in die nordamerikanischen Kolonien gekommen waren. In England füllte die Entwicklung von Handel und Kapitalismus im 16. und 17. Jahrhundert, die Einhegung von Land für die Wollproduktion, die Städte mit armen Streunern, und von der Regierungszeit Elisabeths an wurden Gesetze erlassen, um sie zu bestrafen, in Arbeitshäusern einzusperren oder zu vertreiben. Im 17. und 18. Jahrhundert wurden arme Menschen, die nach Amerika gehen wollten, durch Zwangsexil, mit Verlockungen, Versprechungen und Lügen, durch Entführung und ihren dringenden Wunsch, den Lebensbedingungen ihres Heimatlandes zu entfliehen, zur profitablen Ware für Kaufleute, Händler, Schiffskapitäne und am Ende für ihre Herren in Amerika.
Nachdem die Einwanderer den Indentur-Vertrag unterschrieben hatten, in dem sie sich verpflichteten, ihrem Herrn fünf bis sieben Jahre lang zu dienen, um ihre Schiffspassage abzubezahlen, wurden sie oft eingesperrt, bis das Schiff abfuhr, um sicherzustellen, dass sie nicht wegrannten. Im Jahr 1619 sorgte die Bürgerversammlung von Virginia – die in jenem Jahr als erste repräsentative Versammlung von Amerika entstanden war – für das Festhalten und die Durchsetzung von Verträgen zwischen Bediensteten und Dienstherren. (Es war auch das Jahr der ersten Einfuhr von Schwarzen Sklaven.) Wie bei jedem Vertrag zwischen ungleichen Mächten schienen beide Seiten auf dem Papier gleichwertig; aber die Durchsetzung war wesentlich einfacher für den Herrn als für den Diener.
Die Fahrt nach Amerika dauerte acht, zehn oder zwölf Wochen, und die Leibeigenen wurden mit demselben fanatischen Profitdenken auf die Schiffe gepfercht, das auch die Sklavenschiffe auszeichnete. »Indentured servants« wurden gekauft und verkauft wie Sklaven. Eine Ankündigung in der Virginia Gazette vom 28. März 1771 lautete: »Soeben eingetroffen aus Leedstown, das Schiff Justitia, mit ungefähr hundert gesunden Dienstboten, Männern, Frauen und Jungen (…). Der Verkauf beginnt am Dienstag, dem 2. April.« Schläge und Prügel waren üblich. Weibliche Dienstboten wurden vergewaltigt. Die Gerichtsakten von Maryland belegen viele Selbstmorde von Leibeigenen. 1671 berichtete Gouverneur Berkeley von Virginia, dass in den Jahren zuvor vier bis fünf Dienstboten nach ihrer Ankunft an Krankheiten gestorben waren. Viele waren arme Kinder, die man zu Hunderten auf den Straßen englischer Städte aufgelesen und zum Arbeiten nach Virginia geschickt hatte.
Der Lehnsherr versuchte, das Sexualleben seiner Dienstverpflichteten komplett zu kontrollieren. Es lag in seinem ökonomischen Interesse, zu verhindern, dass weibliche Dienstboten heirateten beziehungsweise sexuelle Beziehungen hatten, weil Kinderkriegen sie von der Arbeit abhielt. Benjamin Franklin gab unter dem Pseudonym »Poor Richard« seinen Lesern 1736 folgenden Rat: »Deine Magd sei treu, stark und häuslich.« Dienstboten durften nicht ohne Erlaubnis heiraten, konnten von ihren Familien getrennt und für verschiedene Fehltritte ausgepeitscht werden. Ein Gesetz in Pennsylvania im 17. Jahrhundert besagte, dass gegen Heiraten zwischen Bediensteten »ohne die Zustimmung der Dienstherren (…) wie gegen Ehebruch oder Unzucht vorgegangen und die Kinder als Bastarde betrachtet werden sollen«.
Dienstboten konnten nicht Geschworene werden. Dienstherren schon. (Und da sie keinen Grundbesitz hatten, durften Dienstboten nicht wählen.) 1666 klagte ein Gericht in Neuengland ein Ehepaar wegen des Todes eines Dienstboten an, nachdem die Herrin dessen Zehen abgeschnitten hatte. Die Jury sprach sie frei. Im Virginia der 1660er Jahre wurde ein Mann der Vergewaltigung zweier Mägde überführt. Er war dafür bekannt, auch seine eigene Frau und seine Kinder zu schlagen; er hatte einen anderen Knecht geprügelt und in Ketten gelegt, bis dieser starb. Der Herr wurde vom Gericht gerügt, aber ausdrücklich von der Vergewaltigung freigesprochen, trotz überwältigender Beweise.
Manchmal organisierten die Leibeigenen Aufstände, aber es gab auf dem Festland keine großangelegten Verschwörungen von Dienstboten, wie sie zum Beispiel auf Barbados oder den Westindischen Inseln vorkamen. (Abbott Smith vermutet als Grund dafür, dass die Erfolgsaussichten auf einer Insel besser waren.) Nach der Teilnahme von Leibeigenen an Bacons Rebellion erließ die Legislative von Virginia Gesetze zur Bestrafung von Bediensteten, die revoltierten.
Flucht war einfacher als Rebellion. »Zahlreiche Fälle von Massenfluchten weißer Bediensteter fanden in den Kolonien des Südens statt«, berichtet Richard Morris, basierend auf seiner Einsicht in Kolonialzeitungen. »Die Atmosphäre im Virginia des 17. Jahrhunderts«, schreibt er, »war aufgeladen mit Verschwörungen und Gerüchten über Scharen von Dienstboten, die weglaufen wollten.«
Mehr als die Hälfte der Kolonisten, die in der Kolonialzeit an den Küsten Nordamerikas landeten, kamen als Dienstpersonal. Das waren im 17. Jahrhundert überwiegend Engländer, im 18. Jahrhundert Iren und Deutsche. Als sie nach und nach in die Freiheit entkamen oder ihre Dienstzeit beendeten, wurden sie durch immer mehr Sklaven ersetzt, aber noch im Jahr 1775 machten weiße Dienstboten zehn Prozent der Bevölkerung von Maryland aus.
Kapitalistische Aristokratie
Was passierte mit diesen Bediensteten, wenn sie erst einmal frei waren? Es gibt optimistische Darstellungen, denen zufolge sie zu Wohlstand gelangten, Land erwarben und wichtige Persönlichkeiten wurden. Aber Abbott Smith fasst nach intensivem Studium zusammen, dass die koloniale Gesellschaft »nicht demokratisch und sicher nicht auf dem Grundsatz der Gleichheit errichtet war; sie wurde von Männern dominiert, die genug Geld hatten, um andere für sich arbeiten zu lassen.« Und: »Wenige dieser Männer stammten aus Familien von ›indentured servants‹.«
Die erste Reihe von Dienstboten wurde Landbesitzer und nahm aktiv an der Politik der Kolonie teil; aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war die Hälfte der Dienstboten selbst nach zehn Jahren Freiheit immer noch ohne Land. Aus Leibeigenen wurden Pächter, die den Plantagenbesitzern billige Arbeitskraft lieferten, wie in ihrer Dienstzeit, so auch danach. Es scheint ziemlich deutlich, dass sich die Klassengrenzen während der Kolonialperiode erhärteten; die Trennung zwischen Arm und Reich verschärfte sich. Im Jahr 1700 gab es 50 reiche Familien in Virginia, deren Vermögen 50.000 Pfund Sterling entsprach (damals eine riesige Summe); die von der Arbeit Schwarzer Sklaven und weißer Dienstboten lebten, Plantagen besaßen, im Rat des Gouverneurs saßen, in der lokalen Verwaltung arbeiteten. In Maryland wurden die Siedler von einem Eigentümer beherrscht, dessen Recht auf totale Kontrolle über die Kolonie ihm der König von England verliehen hatte. Zwischen 1650 und 1689 gab es fünf Revolten gegen ihn.
In den Carolinas schrieb John Locke, der vielen als der philosophische Vater der Gründungsväter und des amerikanischen Systems gilt, in den 1660er Jahren die Grundlegenden Verfassungen. Lockes Verfassung setzte eine feudalistische Aristokratie ein, in der acht Barone 40 Prozent des Landes der Kolonie besitzen würden und in der nur ein Baron Gouverneur werden konnte. Als die Krone – nach einem Aufstand gegen die Landaufteilung – die direkte Kontrolle über North Carolina übernahm, rissen reiche Spekulanten mehr als 200.000 Hektar an sich und monopolisierten damit das reiche Ackerland in der Nähe der Küste. Schon von Beginn der Massachusetts Bay Kolonie im Jahr 1630 an hatte der Gouverneur, John Winthrop, die Philosophie der Regierenden erklärt: »(…) in allen Zeiten müssen einige reich, andere arm, einige hochstehend und hervorragend an Macht und Geltung sein, andere gering und untergeordnet.«
Die Kolonien wuchsen schnell im 18. Jahrhundert. Schottische, irische und deutsche Einwanderer kamen zu den englischen Siedlern hinzu. Schwarze Sklaven strömten herein; im Jahr 1690 machten sie acht Prozent der Bevölkerung aus, 1770 21 Prozent. Die Einwohnerschaft der Kolonien bestand im Jahr 1700 aus 250.000 Menschen; 1760 waren es 1.600.000. Die Landwirtschaft wuchs. Kleine Manufakturen entwickelten sich. Handel und Schiffahrt wurden ausgebaut. Die großen Städte – Boston, New York, Philadelphia, Charleston – wuchsen auf das Doppelte und Dreifache an.
Während dieses Wachstums genoss die Oberschicht den größten Nutzen und monopolisierte die politische Macht. Ein Historiker, der Steuerlisten von Boston aus den Jahren 1687 und 1771 studiert hat, fand heraus, dass es 1687 in einer Bevölkerung von 6.000 ungefähr 1.000 Grundbesitzer gab und dass die obersten fünf Prozent aus 50 wohlhabenden Einzelpersonen bestanden, die 25 Prozent des Reichtums besaßen. 1770 besaß das oberste Prozent der Grundbesitzer bereits 44 Prozent allen Vermögens. Während Boston wuchs, verdoppelte sich von 1687 bis 1770 der Prozentsatz der Armen (die kein Land besaßen und vielleicht ein Zimmer mieteten oder in der Hinterstube einer Gaststätte schliefen) von 14 Prozent der erwachsenen Männer auf 29 Prozent. Und der Verlust von Land bedeutete den Verlust des Wahlrechts.
Spaltung: Schwarz und weiß
Die Kolonien, so scheint es, waren Gesellschaften widerstreitender Klassen – eine Tatsache, die in traditionellen Geschichtsschreibungen durch die gängige Betonung des externen Kampfs gegen England und der Einheit der Kolonisten in der Revolution verdeckt wird. Die Menschen in Nordamerika waren demnach nicht »frei geboren«, sondern frei oder versklavt geboren, Herr oder Diener, Grundherr oder Pächter, reich oder arm. Als Ergebnis wurden die politischen Autoritäten bekämpft. »Ausbrüche von Aufruhr durchzogen das letzte Viertel des 17. Jahrhunderts; in Massachusetts, New York, Maryland, Virginia und North Carolina wurden etablierte Regierungen gestürzt«, schreibt der Historiker Gary Nash.
Freie weiße Arbeiter hatten es besser als Sklaven oder Leibeigene, aber auch sie hassten die ungerechte Behandlung durch die reicheren Klassen. Schon 1636 berichtete ein Unternehmer von der Küste von Maine, dass seine Arbeiter und Fischer »in eine Meuterei verfielen«, weil er ihre Gehälter zurückbehalten hatte. Sie desertierten en masse. Fünf Jahre später veranstalteten Zimmerleute in Maine aus Protest gegen unzureichendes Essen einen Bummelstreik. In den Werften von Gloucester fand in den 1640er Jahren statt, was Richard Morris die »erste Aussperrung in der amerikanischen Arbeitsgeschichte« nennt, als die Autoritäten einer Gruppe von unbequemen Schiffsbauern sagten, sie könnten »keinen Strich an Arbeit« mehr tun. Es gab frühe Streiks von Böttchern, Fleischern und Bäckern, die gegen die Kontrolle der Regierung über die Preise, die sie verlangten, protestierten. In den 1650er Jahren weigerten sich Träger in New York, Salz zu transportieren, und streikende Fuhrleute in New York City wurden dafür angeklagt, dass sie »ihren Befehlen nicht gehorchten und ihren Pflichten nicht nachkamen, wie es sich für sie gehörte«.
Was die weißen Machthaber von Virginia an Bacons Rebellion besonders erschreckte, war die Tatsache, dass Schwarze Sklaven und weiße Bedienstete sich zusammenschlossen. Über all diese frühen Jahre hinweg liefen Schwarze und weiße Sklaven und Dienstboten zusammen weg, was sowohl die Gesetze, die erlassen wurden, um dies zu stoppen, als auch die Gerichtsakten belegen. Ein Bericht an die englische Regierung im Jahr 1721 besagte, dass in South Carolina »Schwarze Sklaven in letzter Zeit eine neue Revolution versucht hätten und beinahe erfolgreich damit gewesen wären, … und dass es deswegen nötig sein könnte, … ein neues Gesetz vorzuschlagen, das zum Unterhalt von mehr weißen Dienstboten anregen soll. Die Miliz dieser Provinz besteht aus nicht mehr als 2.000 Mann.« Offensichtlich ging man nicht davon aus, dass 2.000 gegen die Bedrohung ausreichten.
Diese Angst mag erklären, warum das Parlament 1717 den Transport in die »Neue Welt« zu einer rechtmäßigen Bestrafung für Verbrechen erklärte. Im Anschluss daran konnten Zehntausende verurteilte Straftäter nach Virginia, Maryland und in andere Kolonien geschickt werden. Sie macht außerdem verständlich, warum die Versammlung von Virginia nach Bacons Rebellion den weißen Dienstboten, die rebelliert hatten, Amnestie gewährte, den Schwarzen aber nicht. Schwarzen war es untersagt, Waffen zu tragen, während Weiße, die ihre Dienstzeit beendet hatten, neben Getreide und Bargeld auch Musketen bekamen. Die Statusunterschiede zwischen weißen und Schwarzen Bediensteten wurden immer deutlicher.
Loyalität und Rassismus
In den 1720er Jahren, als die Angst vor Sklavenaufständen wuchs, erlaubte Virginia weißen Dienstpflichtigen, als Ersatz für freie Weiße in die Miliz einzutreten. Gleichzeitig wurden in Virginia Sklavenpatrouillen eingeführt. Arme Weiße machten das Fußvolk dieser Patrouillen aus und wurden dafür bezahlt. Rassismus wurde immer praktischer. Edmund Morgan betrachtet, auf der Grundlage seiner fundierten Untersuchung der Sklaverei in Virginia Rassismus nicht als »natürlichen« Grund für die Verachtung von Weißen gegenüber Schwarzen, sondern als Resultat einer Klassenverachtung, eine pragmatische Einrichtung zum Zweck der Kontrolle: »Wenn Freie aus enttäuschter Hoffnung und Sklaven aus verzweifelter Hoffnung heraus gemeinsame Sache machen, könnte das Ergebnis schlimmer sein als alles, was Bacon angerichtet hatte. Die Lösung für das Problem war offensichtlich, wenn auch nicht ausgesprochen und nur schrittweise akzeptiert, Rassismus, um gefährliche freie Weiße durch einen Vorhang der Rassenverachtung von gefährlichen schwarzen Sklaven zu trennen.«
Es gab eine weitere Kontrolle, die hilfreich wurde, als die Kolonien wuchsen, und die entscheidende Konsequenzen für die weitere Herrschaft der Elite in der amerikanischen Geschichte hatte. Neben den sehr Reichen und den sehr Armen entwickelte sich eine weiße Mittelschicht von kleinen Pflanzern, unabhängigen Bauern und Handwerkern in den Städten, die, gegen bescheidene Entlohnung dafür, dass sie Händler und Pflanzer unterstützten, zu einem soliden Puffer gegen Schwarze Sklaven, nahe den Grenzen lebende Native Americans und sehr arme Weiße wurden.
Das Pennsylvania Journal schrieb 1756: »Die Bevölkerung dieser Provinz gehört meist zu der mittleren Art, derzeit etwa auf demselben Niveau. Es sind vor allem fleißige Bauern, Handwerker oder Kaufleute; sie haben und schätzen ihre Freiheit, und selbst der Niedrigste unter ihnen findet sich der Achtung des Größten wert.« Es gab tatsächlich eine große Mittelschicht, auf welche diese Beschreibung zutraf. Sie aber »die Bevölkerung« zu nennen bedeutete, Schwarze Sklaven, weiße Leibeigene und vertriebene Native Americans zu ignorieren. Und die Bezeichnung »Mittelschicht« verbarg eine langjährige Wahrheit über dieses Land, nämlich, wie Richard Hofstadter sagt: »Es war (…) eine Mittelschichtsgesellschaft, die größtenteils von ihren Oberschichten regiert wurde.«
Diese Oberschichten mussten, um herrschen zu können, der Mittelschicht Zugeständnisse machen, ohne ihrem eigenen Wohlstand und ihrer eigenen Macht zu schaden, auf Kosten der Sklaven, der Native Americans und der armen Weißen. Das brachte ihnen Loyalität ein. Und um diese Loyalität mit etwas noch Stärkerem als rein materiellen Vorteilen zu verbinden, entdeckte die herrschende Klasse in den 1760er und 1770er Jahren eine wunderbar nützliche Einrichtung. Das war die Sprache von Freiheit und Gleichheit, die gerade genügend Weiße miteinander verband, um eine Revolution gegen England zu führen, ohne die Sklaverei oder die Ungleichheit abzuschaffen.
Howard Zinn: Eine Geschichte des amerikanischen Volkes. Aus dem amerikanischen Englisch von Sonja Bonin. Mit einem Vorwort von Norbert Finzsch. März-Verlag, Berlin 2025, 927 Seiten, 48 Euro
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