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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 1 / Titel
Mindestlohn

Für eine Handvoll Euro mehr

Mindestlohn steigt nicht auf 15 Euro pro Stunde. Mehr als fünf Millionen Betroffene bleiben damit unterhalb der Armutsgrenze
Von Susanne Knütter
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Der Mindestlohn bleibt niedrig. Der Bauernpräsident findet, »Erntehelfer« sollten nicht einmal den vollen Satz erhalten

Wer glaubt, der Mindestlohn gewährleiste das zur Existenzsicherung notwendige Minimum, der irrt. Die Betonung liegt auf dem zweiten Teil des Namens: Der Mindestlohn muss sich lohnen – am Ende für den Unternehmer. Bei der Vorstellung des Berichts der Mindestlohnkommission am Freitag wurde Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, nicht müde, genau diesen »Unterschied zwischen Lohn- und Sozialpolitik« zu betonen – bei matten Einsprüchen seines Sozialpartners vom Deutschen Gewerkschaftsbund, Stefan Körzell.

Unter Berücksichtigung verschiedener Kriterien wie Auswirkungen auf Branchen und Regionen und insbesondere der Tariflohn- und Medianlohnentwicklung hat die Kommission »einvernehmlich« dieses Ergebnis errechnet: Der Mindestlohn steigt im nächsten Jahr auf 13,90 Euro und 2027 auf 14,60 Euro. Aktuell liegt er bei 12,82 Euro pro Stunde. Die Mindestlohnkommission hat damit nicht nur das im Koalitionsvertrag formulierte und von der SPD noch im Wahlkampf geforderte Ziel von 15 Euro Mindestlohn verfehlt, sondern auch die Vorgabe der Europäischen Union, 60 Prozent des Medianlohns anzustreben (was 15 Euro entspräche).

Der Mindestlohn bleibt unterhalb der offiziellen Armutsgrenze. Wem das nutzt, kann anhand der Reaktionen beurteilt werden. Mit Blick auf den »angespannten Arbeitsmarkt« nannte das kapitalnahe Institut der deutschen Wirtschaft IW die Erhöhung »optimistisch«, riet der Politik dennoch, dem Votum zu folgen. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begrüßte die »einvernehmliche« Entscheidung. Aus Sicht des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA wiederum hat die Kommission unter Beweis gestellt, dass sie in der Lage sei, »Kompromisse unter Würdigung der Tarifentwicklung und der wirtschaftlichen Gesamtsituation zu erzielen.«

Deutliche Kritik kam von Sozialverbänden, von Die Linke und vom BSW. »Statt eine angemessene Lohnuntergrenze zu schaffen, stellt der Mindestlohn einen politisch legitimierten Armutslohn dar«, erklärte die Linke-Abgeordnete Anne Zerr. Ihr Kollege Cem Ince forderte von Arbeitsministerin Bärbel Bas, die sich am Freitag für den SPD-Vorsitz zur Wahl stellte, »eine politische Lösung«. Bas hatte allerdings kurz nach Bekanntgabe des Vorschlags der Mindestlohnkommission angekündigt, die Ministeigerung umsetzen zu wollen.

Ähnlich wie Ince kritisierte auch die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht die Mindestlohnkommission grundsätzlich: Sie habe sich »aufgrund der ständigen Arbeitgeberblockaden nicht bewährt« und sollte »durch einen automatisierten Mechanismus gemäß EU-Recht ersetzt werden: Mindestlohn gleich 60 Prozent des mittleren Lohns«.

Während der Sozialverband VdK bezweifelte, »dass ein Stundenlohn von 14,60 Euro im Jahr 2027 wirklich eine gute Kaufkraft haben wird«, gehen vor allem jenen Branchen, in denen die Lohnuntergrenze nicht selten auch die Lohnobergrenze ist, die Pläne viel zu weit. Der Handelsverband Deutschland drohte, Arbeitsplätze zu streichen. Der Bauernverband erneuerte seine Forderung nach einer Sonderregelung für Saisonkräfte.

Profitieren werden nach Angaben der Vorsitzenden der Mindestlohnkommission, Christiane Schönefeld, fünf Millionen Beschäftigte. DGB-Vize Körzell geht sogar vor sechs Millionen aus und nannte den Umstand, dass es so viele sind, zutreffend ein Armutszeugnis.

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