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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
»Sommer-Davos« in Tianjin

Krieg in den Köpfen

»Sommer-Davos« in Tianjin: China warnt vor »Politisierung von Wirtschafts- und Handelsfragen« durch Zölle und Sanktionen des Westens
Von Jörg Kronauer
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Chinas Ministerpräsident prangerte in Tianjin »Spaltung und Disruption« an, das »Gesetz des Dschungels« war außen vor

Das »Sommer-Davos«, der chinesische Ableger des Weltwirtschaftsforums in der Schweiz, konnte sich den jüngsten Erschütterungen im globalen Geschehen nicht entziehen. Eigentlich hatte die Tagung – zu deren 16. Auflage von Dienstag bis Donnerstag mehr als 1.700 Unternehmer, Politiker, Experten und Medienvertreter in die nordchinesische Metropole Tianjin gekommen waren – gewichtige Themen zur Genüge: Vom Versuch, die Weltwirtschaft »zu entschlüsseln«, über eine Diskussion über Optionen und Folgen der Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) bis zur Beschäftigung mit der »grünen« Transformation zur Nutzung nachhaltiger Energieträger und mit den dafür benötigten kritischen Rohstoffen. Und dennoch: Vor allem zu Beginn sprachen die Teilnehmer immer wieder über den Krieg zwischen Israel und Iran, über die Intervention der USA – und über die ökonomischen Folgen, die all dies haben könnte. Würde Iran die Straße von Hormus sperren? Das würde den Ölpreis in die Höhe treiben, da gut 20 Prozent des global verbrauchten Öls durch die Zufahrt zum Persischen Golf transportiert werden. Schwer würde vor allem China getroffen, das rund die Hälfte seines Öls aus der Region bezieht. Als sich endlich Entspannung abzeichnete, da war bei den Unternehmern auf dem »Sommer-Davos« die Erleichterung groß.

Chinas Wirtschaft, die auf das Öl des Mittleren Ostens angewiesen ist, befindet sich nach wie vor im Wachstum – um 5,4 Prozent im ersten Quartal, um mehr also als die 5 Prozent im Jahresschnitt, die Beijing offiziell anstrebt. Ministerpräsident Li Qiang teilte in seiner Rede zur Eröffnung des »Sommer-Davos« mit, aktuell zeichne sich eine Fortsetzung des Wachstums im zweiten Quartal ab. Bleibt die Volksrepublik auf Kurs, dann könnte sie dieses Jahr erneut rund 30 Prozent des globalen Wachstums im Alleingang erzielen. Dabei befindet sich das Land selbst in einer Umbruchphase. So sind etwa die Folgen der Immobilienkrise immer noch nicht endgültig überwunden; zugleich intensiviert Beijing, wie Li betonte, die Bemühungen, »die Strategie einer expandierenden Inlandsnachfrage« voranzutreiben: China solle »eine Industriemacht« bleiben, aber zugleich »eine gewaltige Konsummacht« werden. Die Absicht, dies zu erreichen, ist nicht neu. Der Druck, der sich aus den zollbedingten Exporteinbußen zu ergeben droht, könnte jetzt jedoch helfen, das Ziel zu erreichen.

Apropos Zölle: Li warnte in seiner Rede ausdrücklich vor einer andauernden »Politisierung von Wirtschafts- und Handelsfragen«. Einerseits setze sich mit den neuen Wirtschaftskriegen zunehmend das Recht des Stärkeren, das »Gesetz des Dschungels« durch. Andererseits seien »Spaltung und Disruption« – das zielte auf Zölle und Sanktionen der transatlantischen Welt vor allem gegen China – »oft das Resultat kurzsichtiger Kalkulationen«. Was bei ihnen übersehen wird, erläuterte am Rande des »Sommer-Davos« der Leiter der Chinaabteilung der Beratungsfirma APCO, Chris Torrens: Die Volksrepublik erhalte dank der Trumpschen Zölle »eine gewaltige PR-Chance, sich als Champion der Globalisierung darzustellen«. Auf einen weiteren Aspekt wies Jin Keyu, Professorin an der School of Business and Management an der Hong Kong University of Science and Technology, hin: »Zahlreiche technologische Durchbrüche gelingen in Zeiten der Krise.« Zuletzt haben dies Unternehmen wie Deep Seek oder Huawei eindrucksvoll bewiesen.

Im Zusammenhang mit den Zöllen und den Sanktionen, mit denen die USA die chinesische Wirtschaft systematisch zu schädigen und ihren Aufstieg zu stoppen suchen – dies übrigens schon zu Joe Bidens Zeiten –, wurden auch Chinas Gegenmaßnahmen diskutiert, vor allem die Exportkontrollen für einige seltene Erden. Sie haben auch in der EU, Deutschland inklusive, zu gefährlichem Mangel an den bislang kaum zu ersetzenden Rohstoffen geführt. Kürzlich warf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Beijing vor, »Nötigung durch Exportbeschränkungen« zu begehen – als ob nicht EU-Unternehmen schon lange mit dem Verbot, allerlei Halbleiter, Maschinen zur Halbleiterproduktion und vieles mehr nach China zu liefern, die chinesische Industrie gezielt sabotierten. Beijing fordert, so wird berichtet, einen Abgleich ein. Bei einem Verzicht auf die EU-Restriktionen ist es zu einem großzügigeren Umgang mit den Exportgenehmigungen für seltene Erden bereit. Es kommt hinzu, dass die Trump-Administration in ihren Verhandlungen mit zahlreichen Ländern über ihre Zölle als Gegenleistung für deren Aufhebung womöglich Maßnahmen gegen China fordert. Wie das Handelsblatt vermutet, übt Beijing auch deshalb Druck mit seltenen Erden aus, um dies zu unterbinden.

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