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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 1 / Titel
Steuergeschenke

Wer hat, dem wird gegeben

Koalition beschließt Steuerentlastungen für Unternehmen. Sozialverband verlangt Maßnahmen gegen Kinderarmut
Von Gudrun Giese
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… wer gar nichts hat, der kriegt auch nichts. Nach dieser Boosterlogik verfährt der deutsche Staat

Auf »Bazooka« und »Doppelwumms« der Ampelkoalition folgt nun der »Investitionsbooster« der amtierenden Bundesregierung: Um fast 46 Milliarden Euro werden vor allem große Konzerne in den kommenden Jahren steuerlich entlastet und gefördert. Zugleich gibt es immer weniger Geld für Kinder und Jugendliche aus ärmeren Haushalten.

Mit ihrer Stimmenmehrheit im Deutschen Bundestag stimmten die Abgeordneten der Koalition von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der AfD und Ablehnung von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke am Donnerstag dem Maßnahmenpaket zu, das sogenannte Superabschreibungen im Umfang von 30 Prozent für je drei Jahre auf Investitionen vorsieht, wodurch die Steuerlast für Unternehmen erheblich sinkt. Der Kauf von Elektroautos soll ferner durch zusätzliche Abschreibungsmöglichkeiten versüßt werden. Außerdem umfasst das als »Investitionsbooster« bezeichnete Paket eine höhere Forschungsförderung und schrittweise Senkung der Körperschaftssteuer ab 2028. Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) befand, dass die Entlastungen sowie die geplanten Investitionen des Staates in Rüstung und Infrastruktur das Wachstum ankurbeln.

Vom möglichen Wachstum profitieren aber nur wenige, vor allem Konzerne, deren Vorstände und Manager, die ohnehin schon gut dastehen. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) und das Bündnis »Ratschlag Kinderarmut« nahm den gestrigen Beschluss im Bundestag sowie die laufenden Haushaltsverhandlungen zum Anlass, umfassende Strukturreformen zur Stärkung der sozialen Infrastruktur für Kinder, Jugendliche und Familien zu fordern. »Investitionen in den Nachwuchs sind Investitionen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt, in Gerechtigkeit – und in die Zukunft unserer Demokratie«, heißt es in einem Appell des Bündnisses, dem 49 Organisationen sowie Wissenschaftler angehören. Kinder, die gezwungen seien, in Armut zu leben, hätten von Beginn an viel schlechtere Chancen auf ein gutes Leben, erklärte die SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier. »Wenn wir das ändern wollen, müssen wir die Bedingungen dort verbessern, wo es zählt: in Kitas, Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und im Wohnumfeld.«

Aufgrund der vielen Kürzungen in den Haushalten der Länder und Kommunen in den zurückliegenden Jahren fehlten oft geeignete Bildungs- und Betreuungsangebote, ebenso Fachkräfte, Freizeitmöglichkeiten sowie eine verlässliche Nachmittagsbetreuung für Schüler. All das betrifft besonders häufig ohnehin benachteiligte Stadtteile, in denen viele Familien mit wenig Geld und starken Belastungen leben. »Der SoVD sieht die Politik in der Pflicht, Kinderarmut nicht länger nur zu beklagen, sondern endlich wirksam zu bekämpfen«, so Engelmeier. Es dürfe nicht vom Wohnort und vom Einkommen der Eltern abhängen, ob ein Kind Zugang zu Sprachförderung, Musikunterricht und einem warmen Mittagessen habe. Das Bündnis »Ratschlag Kinderarmut« verweist auf die Notwendigkeit, dass Bund, Länder und Kommunen gemeinsam zusätzliche Finanzspielräume für entsprechende Angebote schaffen müssten. Dazu sollte die »Schuldenbremse« reformiert oder ein gezieltes Investitionsprogramm aufgelegt werden. Länder und Kommunen könnten dafür Mittel nutzen, die ihnen nun doch nicht vom Bund für den »Booster« weggenommen werden. Um die Zustimmung für die Entlastungen im Bundesrat durchzubekommen, hatte die Bundesregierung ihnen kürzlich Kompensation zugesagt.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. Juni 2025 um 10:07 Uhr)
    Genossen, man kann nur das verteilen, was zuvor erarbeitet wurde! In meiner Familie zeigt sich das ganz konkret: In der DDR konnten meine Schwiegereltern in den frühen 1950er Jahren noch ein Reihenhaus bauen – mit staatlicher Unterstützung. Meine Frau und ich bekamen in den 1970er Jahren immerhin noch eine Plattenbauwohnung zugewiesen. Doch ihre jüngeren Brüder gingen bereits leer aus. Der Grund war klar: Die Ressourcen waren erschöpft, die staatlichen »Geschenke« aufgebraucht. Wenn eine Gesellschaft dauerhaft versucht, vor allem durch Umverteilung an die unteren Einkommensschichten Gerechtigkeit herzustellen, dabei aber jene vernachlässigt, die investieren, unternehmerisch tätig sind und Arbeitsplätze schaffen, läuft sie Gefahr, ihre wirtschaftliche Basis auszuhöhlen. Soziale Gerechtigkeit ist wichtig – keine Frage. Aber ohne wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gibt es langfristig auch nichts mehr zu verteilen. Wir brauchen Investitionen und Wachstum genauso wie gezielte Hilfen für die Schwächsten. Vor allem, beides darf nicht gegeneinander ausgespielt werden.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (30. Juni 2025 um 15:55 Uhr)
      »Wenn eine Gesellschaft dauerhaft versucht, vor allem durch Umverteilung an die unteren Einkommensschichten Gerechtigkeit herzustellen, dabei aber jene vernachlässigt, die investieren, unternehmerisch tätig sind und Arbeitsplätze schaffen, läuft sie Gefahr, ihre wirtschaftliche Basis auszuhöhlen.« Sehr geehrter Herr Hidy, haben Sie eigentlich schon ein Dankschreiben von den deutschen Ausbeutern erhalten?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (30. Juni 2025 um 13:45 Uhr)
      Na dann wird wieder fleißig in die Hände gespuckt, denn damit steigt das Bruttosozialprodukt. Genauer hinzuschauen, wer von diesem Produkt etwas abbekommt und wer nicht, lohnt nicht. Ist alles nur Propaganda, dass die Reichen auch beim Nichtstun reicher werden. Und die Armen auch beim Schuften weiter ausbluten. Das kann ruhig so bleiben, Hauptsache es wird fleißig weiter in die Hände gespuckt.

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