Gegründet 1947 Donnerstag, 14. August 2025, Nr. 187
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 23.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Deutschland im Rüstungswahn

Mit Vollgas an die Wand

Fünf Prozent des BIP für Rüstung: Außenminister fordert führende Rolle Deutschlands in der NATO
Von Klaus Fischer
9.JPG
In Kriegslaune: EU-Außenminister spielen geostrategisches Poker, etwa BRD-Ressortchef Johann Wadephul (2. v. r.)

Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) macht da weiter, wo seine Vorgängerin aufgehört hat: Er schwingt große Reden und schert sich nicht darum, was es kostet. Kurz vor dem NATO-Gipfel diese Woche in Den Haag fordert er nicht weniger als eine führende Rolle der BRD in der Verteidigungspolitik des Bündnisses. »Deutschland muss ein Vorbild sein, wir müssen bereit sein zu führen«, zitierte das Magazin Der Spiegel den Minister nach Angaben vom Freitag. »Es liegt an uns, das Notwendige für unsere Sicherheit zu tun und die NATO zusammenzuhalten.«

Zwei Dinge ermuntern Deutschlands Chefdiplomaten offenbar, große Worte zu schwingen: die momentane Zurückhaltung der USA gegenüber dem Nordatlantikpakt und ein parlamentarischer Freifahrtschein, gigantische Schulden außerhalb des regulären Etats aufzunehmen. Mit der faktischen Aufhebung der sogenannten Schuldenbremse durch das zum Zeitpunkt des Beschlusses längst abgewählte Parlament Anfang des Jahres glauben sich die Leute um Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gut gerüstet, um mal wieder aufzutrumpfen.

Doch »Sondervermögen« (eine euphemistische Umschreibung für neue Schulden außerhalb des regulären Etats) hin, weltfremde Kriegsgelüste her – das tatsächliche Problem am Ziel, Deutschland »kriegstüchtig« (Pistorius) zu machen, ist und bleibt das Geld. Das muss von der Bevölkerung erarbeitet oder, im Falle der Schuldenaufnahme, langfristig abgestottert werden. Die inflationäre Entwicklung bei den »Sondervermögen« (insgesamt existieren 29 davon), deren Volumina sich zuletzt extrem erhöht haben, macht selbst dem Bundesrechnungshof Sorgen: »Die Finanzwirtschaft des Bundes ist (…) in einem erheblichen Umfang in Sondervermögen ausgelagert. Die Entkernung des Bundeshaushalts durch die Errichtung von Sondervermögen ist weit fortgeschritten«, kritisierte die ansonsten zahnlose Behörde.

Wadephul indes scheint frohgemut, dass dies kein Problem darstellt. Er ist im Gegenteil »zuversichtlich, dass sich die Staats- und Regierungschefs der NATO-Staaten darauf verständigen werden, ihre Ausgaben für Verteidigung und verteidigungsrelevante Infrastruktur auf fünf Prozent zu steigern«, wie dpa am Freitag berichtete. Das einzige Problemchen scheint zu sein, dass der Beschluss einstimmig fallen müsste.

Fünf Prozent klingt nicht viel. Fünf Hundertstel der BRD-Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt; BIP) sind keine Peanuts. Da das deutsche BIP seit zwei Jahren minimal schrumpft, betrachten wir hier die Werte von 2024. Der reguläre Haushalt des Bundes belief sich da auf 488,61 Milliarden Euro. Im reinen Wehretat waren 88,5 Milliarden Euro eingestellt. Das waren 1,89 Prozent des BIP im selben Jahr. Zwar werden inzwischen die Ausgaben für duale Infrastruktur – also Investitionen, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden – in das Fünfprozentziel eingerechnet, aber letztlich ist es das Ziel, die Militärausgaben zu erhöhen.

Fünf Prozent des Verteidigungsetats – gemessen am BIP 2024 – würden sich auf etwa 235 Milliarden Euro belaufen. Geld, das keiner hat und womöglich auch nicht auftreiben kann. Es sei denn, das System dreht frei und presst die Bevölkerungen noch stärker aus als derzeit schon. Die Staatsquote hatte zuletzt die 50-Prozent-Marke gerissen.

Ein Haushalt, dessen Ausgaben knapp zur Hälfte vom Militär aufgefressen werden (Rüstung ist Konsum, keine Investitionsquelle), ist etwas, das die Bundesrepublik bis zur Unkenntlichkeit verändern würde. Bereits jetzt deuten alle Zeichen Richtung Sozialabbau inklusive Inflationserhöhung, Erfindung neuer Zölle und einer seit 90 Jahren nicht mehr dagewesenen Militarisierung des öffentlichen Lebens. Und das auf Kosten einer weiteren Schwächung der Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft selbst, die irgendwann im eigenen Saft zu verderben droht.

Passend zum Zeitrahmen gab die Süddeutsche Zeitung eine Umfrage in Auftrag, deren Resultat am Freitag in die Zeit passte: Eine relative Mehrheit der Deutschen von 45 Prozent unterstütze das Fünfprozentziel, ermittelte das Institut Yougov, 37 Prozent seien dagegen. Die Anti-Russland-Propaganda zeigt anscheinend Wirkung.

Immerhin sind nicht alle EU-Staats- und Regierungschefs auf der deutsch-französischen Spur unterwegs. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez schrieb in einem Brief an NATO-Generalsekretär Mark Rutte, sein Land könne sich auf dem NATO-Gipfel »nicht auf ein bestimmtes Ausgabenziel in bezug auf das BIP festlegen«.

75 für 75

Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.

 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. Juni 2025 um 10:09 Uhr)
    Soweit mir bekannt, war die Rolle Deutschlands in der NATO – insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion – klar umrissen: Die Amerikaner rein, die Russen raus, die Deutschen unten halten. Dieses Prinzip scheint, trotz veränderter Rahmenbedingungen, bis heute fortzuwirken. Ein weiteres seit über einem Jahrhundert verfolgtes Ziel des angelsächsischen Machtblocks, Russland zu schwächen oder gar zu zerschlagen, bleibt bestehen. Doch dieses Ziel ist militärisch nicht erreichbar – ganz gleich, wie hoch die Rüstungsausgaben steigen. Die geplanten Aufrüstungen dienen vor allem einem Zweck: dem Erhalt des US-amerikanischen Militär-Industrie-Komplexes und der Absicherung der geopolitischen Vormachtstellung der Vereinigten Staaten. Neben dem »Petrodollar«, mit dem die Welt bereits die Sonderrolle der USA finanziert, wäre das Fünf-Prozent-Ziel für Militärausgaben eine zusätzliche Belastung. Die Kosten dieses Kurses trägt Europa – insbesondere Deutschland. Höhere Verteidigungsausgaben bedeuten zwangsläufig Sozialabbau, steigende Inflation und einen sinkenden Lebensstandard. Damit würde ausgerechnet jener gesellschaftliche Grundwert geopfert, der in den 1950er und 1960er Jahren unter dem Leitmotiv »Wohlstand für alle« das westdeutsche Erfolgsmodell prägte – und letztlich auch die wirtschaftliche Grundlage für die Wiedervereinigung schuf. Die Folge einer solchen Politik ist eine wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung – ein gefährlicher Teufelskreis, der das gesellschaftliche Fundament zu erodieren droht. Und je mehr Milliarden in die militärische Aufrüstung fließen, desto schwieriger wird es, aus dieser Spirale wieder auszubrechen.

Mehr aus: Kapital & Arbeit

                                                                 Aktionsabo: 75 Ausgaben für 75 Euro