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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 1 / Titel
UN-Bericht zu Gewalt gegen Kinder

Zu viele Tote

Höchste Zahl an Kriegen, beispielloses Ausmaß an Gewalt gegen Kinder. Besonders in den palästinensischen Gebieten
Von Susanne Knütter
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Nach israelischen Bomben: Sherihan Al-Nezli trauert um ihr siebenjähriges Kind in Gazas Stadtteil Sabra (7.6.2025)

Eine einfache und grausame Regel: Je mehr Kriege, desto mehr Menschen sterben und leiden, auch Kinder. Die Vereinten Nationen melden eine neue Höchstzahl: Die Gewalt gegen Kinder in Konfliktgebieten ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen und hat ein »beispielloses Ausmaß« erreicht. »Die Zahl der schweren Verstöße stieg im Vergleich zu 2023 um 25 Prozent«, hieß es in einem am Donnerstag von UN-Generalsekretär António Guterres vorgelegten Jahresbericht. Darin werden 41.370 schwere Gewaltfälle aufgelistet – die höchste Zahl seit Beginn dieser Berichterstattung vor fast 30 Jahren. Noch mehr als im letzten Jahr, als die UNO bereits einen starken Anstieg der Gewalt gegen Kinder in Konfliktgebieten dokumentiert hatte.

Kinder trügen mit mehr als 4.500 Toten und 7.000 Verletzten weiterhin »die Hauptlast der unerbittlichen Feindseligkeiten und wahllosen Angriffe«, erklärte die UNO. Die meisten schwerwiegenden Vorfälle dokumentierte die UNO in den palästinensischen Gebieten. Für die meisten der 8.500 Verstöße, darunter mehr als 4.800 im Gazastreifen, macht die Organisation die israelische Armee verantwortlich. 1.259 palästinensische Kinder seien dort im vergangenen Jahr getötet worden. Mehr als 4.400 weitere Todesfälle würden noch geprüft.

Das ist ein krasser Anstieg. Das ganze Ausmaß der Gewalt ist vermutlich trotzdem nicht erfasst. Eine Al-Dschasira-Dokumentation vom 27. März legt nahe, dass Kinder in Gaza sogar gezielt von israelischen Soldaten getötet werden. Die Dokumentation basiert auf Aussagen von internationalen Ärzten, die nach eigenen Angaben auffällig viele Kinder behandelt haben, die mit Geschossen in Kopf und Oberkörper ins Krankenhaus gebracht wurden.

Hinzu kommen weitere Gefahren: Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen warnte am Freitag vor zunehmender Mangelernährung bei Kindern. Außerdem drohe die Trinkwasserversorgung zu kollabieren. Nur noch 40 Prozent der Anlagen zur Trinkwasserbereitung funktionierten. Und der UNICEF-Sprecher macht klar: Die drohende Katastrophe ist von Menschen gemacht. »Kinder werden verdursten.«

Besonders viel Gewalt gegen Kinder verzeichnete die UN in ihrem Bericht zudem in der Demokratischen Republik Kongo, in Somalia und Nigeria. Namentlich erwähnt werden unter anderem die Gruppe Viv Ansanm, eine Koalition haitianischer Banden, die für die Rekrutierung von Kindern, Morde und Gruppenvergewaltigungen verantwortlich gemacht wird. Das kolumbianische Drogenkartell Clan del Golfo wird ebenfalls beschuldigt, Kinder für seine kriminellen Geschäfte anzuwerben.

Dieser Höchststand der Gewalt gegen die Schwächsten geht Hand in Hand mit einem anderen Rekord: Im letzten Jahr gab so viele bewaffnete Konflikte wie seit 70 Jahren nicht. Insgesamt 61, wie das Peace Research Institute Oslo (PRIO) in einer ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten Studie ermittelt hat. Demnach war 2024 das »tödlichste Jahr seit Ende des Kalten Krieges 1989«. Das überdurchschnittliche Ausmaß der Gewalt liege insbesondere an den Kriegen in Gaza und der Ukraine, heißt es. All das ist kein Zufall. »Bei der Zunahme der Konflikte handelt es nicht um einen vorübergehenden Anstieg, sondern um eine strukturelle Veränderung«, erklärte PRIO-Forschungsdirektorin Siri Aas Rustad. Anders ausgedrückt: Der Kampf der Staaten um Einfluss in der Welt ist wirtschaftlich an seine Grenzen gestoßen und wird immer stärker militärisch ausgefochten. Manche sprechen längst von einem nicht erklärten dritten Weltkrieg.

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