Opferfest in Damaskus
Von Jacqueline Andres, Damaskus
Auf dem Weg von Beirut nach Damaskus sind die Spuren des Krieges noch sichtbar. Bei der Grenzüberquerung sind die Einschläge der israelischen Luftangriffe auf der Straße, die den libanesischen und syrischen Grenzposten verbindet, zu erkennen. Am syrischen Grenzübergang Dschdeidet Jasbus geben Beamte Wasser und Süßigkeiten zum Eid Al-Adha, dem islamischen Opferfest, aus. An einer Wand hängt ein Poster mit dem Bild eines Kleinkindes. Herzchen und die syrische Fahne sind auf seine Wangen gemalt, und das Wort »Revolution« steht auf seiner Stirn. Darüber das Versprechen: »Wir werden wachsen und (die syrische Republik, jW) aufbauen.« Bereits nach einer Stunde Autofahrt und einigen Checkpoints erreicht man Damaskus. An den Kontrollpunkten stehen oftmals noch jugendlich wirkende Einsatzkräfte des neuen syrischen Regimes. Auf den noch nicht ganz uniformen Uniformen, überwiegend bestehend aus schwarzer Kleidung, steht immer wieder auch der Tawhid: »Gott ist der Größte, und Mohammed ist sein Prophet.«
In Damaskus ist an diesem Tag das Opferfest überall präsent – so prägen Schiffschaukeln, Verkäufer mit ganzen Bündeln an Heliumluftballons und kleine Gruppen von Schafen, die für das Schlachtfest verkauft werden, das Straßenbild. Doch der Alltag ist von Mangel geprägt: Eine Frau berichtet, sie habe nur noch Brot und Wasser in ihrer Tiefkühltruhe, da durch die Stromausfälle das Essen schlecht werde. Ähnlich verhalte es sich mit dem Wasser – ihre Familie hat an einem Tag welches und am anderen keines. Wenn Wasser aus der Leitung kommt, werden die Kanister und Behälter aufgefüllt. »Damaskus ist ausgetrocknet«, sagt sie. Es war der trockenste Winter seit Jahrzehnten, und die Quelle Ein-Al-Fidscha, die Damaskus versorgt, ist nur noch ein Rinnsal. Auf die Frage, ob der Palast des gestürzten Präsidenten Baschar Al-Assad besichtigt werden kann, höre ich: »Da seid ihr zu spät! Das ging die Tage nach dem Sturz, aber heute nicht mehr!« Selbiges gelte für Sednaja, das berüchtigte Gefängnis. Dort seien mittlerweile wieder Gefangene inhaftiert.
Auf dem Weg aus der Stadt passiert man das Wohlhabendenviertel Barsa und eine Einkaufsmall. Die Straße, die hoch zum Palast führt, hat glatteren Asphalt als die Straßen zuvor, und leuchtende Pfeile warnen vor den Kurven. Seit den Protesten gegen Assad 2011 bis zu seinem Sturz sei die Straße nicht öffentlich befahrbar gewesen. Jetzt stehen wieder zahlreiche Autos dort, Damaszener genießen die kühlere Luft und den Blick auf das Gebirge und seine Schluchten. Die jungen Männer und Frauen, die hier verweilen, sprechen von Hoffnung für die Zukunft. Einer sagt, es brauche gerade Dschihadisten, um das Land in den Griff zu kriegen, und er sei zuversichtlich, dass bald Wahlen folgen würden und Syrien eine Demokratie werde.
Doch die neuen Machthaber der Haïat Tahrir Al-Scham und andere mit ihnen verbündete Dschihadisten bringen keine Sicherheit für alle. Sie sind vielmehr für Massaker und Entführungen von Zivilisten verantwortlich. Die während des Krieges der Opposition nahestehende sogenannte Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) mit Sitz in Großbritannien meldete im März mehr als 1.300 Getötete, darunter mindestens 830 Alawiten, also Angehörige der Minderheit, der die Familie Assad angehört.
Das Damaszener Nachtleben existiert jedoch weiterhin: Nachdem im März 60 Bars in den christlich geprägten Vierteln keinen Alkohol mehr verkaufen sollten, folgte ein Aufruhr in den sozialen Netzwerken, und die Entscheidung wurde rückgängig gemacht. Eines dieser Viertel ist das lebhafte Bab Tuma, wo sich Menschenmengen für das Opferfest durchschlängeln. Die Stände haben ihre Produktpalette an die neue Situation angepasst: Die neue syrische Fahne ist vielerorts zu erwerben. Einer verkauft neben Minnie-Maus-Luftballons, Sonnenbrillen und der syrischen Version der Barbie, die ebenfalls einen Minirock trägt, den typischen Aufnäher des »Islamischen Staats«, auf dem der Tawhid steht. Die neue Fahne ersetzt die alte im Stadtbild. In einer Straße unweit des Saladin-Monuments überstreicht ein bereits ergrauter Mann die ehemalige syrische Fahne, die den gesamten Rolladen seines Geschäftes abdeckte.
Immer wieder scheinen sich Aushandlungsprozesse mit den neuen Machthabern zu ergeben: Eine Bewohnerin des drusisch und christlich geprägten Vorortes Dscharamana berichtet, dass die dortigen Einsatzkräfte an den Checkpoints ebenfalls hauptsächlich Drusen seien. Die Anwohner hätten sich erfolgreich beschwert und gefordert, »nicht diese mit den langen Bärten und Haaren aus Idlib« in ihren Straßen im Einsatz zu haben. Zuvor hatte es im März tödliche Auseinandersetzungen gegeben, nachdem ein Druse der Blasphemie bezichtigt worden war.
Bunte Reklameschilder prägen die Stadt. Auch solche mit Danksagungen an US-Präsident Donald Trump anlässlich der Aufhebung der 2019 erlassenen Sanktionen sind darunter. Auf einem steht auf englisch: »Danke, Präsident Trump, mit Ihrer Hilfe können wir Syrien wieder großmachen!« Die angekündigte Aufhebung der Sanktionen taucht als Hoffnungsschimmer immer wieder in Gesprächen auf. Seither stieg der Wert des syrischen Pfunds um 30 Prozent auf 8.500 für einen US-Dollar. Vor dem Krieg 2011 hatte es noch bei 59 für einen US-Dollar gelegen. Auch Katar wird öffentlich gedankt – der Golfstaat versprach Anfang Juni, unter anderem zusammen mit Saudi-Arabien, die Zahlung der Beamtengehälter für drei Monate und die Energieversorgung finanziell zu unterstützen.
Wir besuchen auch das palästinensische Geflüchtetenlager Jarmuk im Süden der Stadt. Die 2012 einsetzenden Luftangriffe der Assad-Regierung auf oppositionelle Kampfverbände, die dort vordrangen, haben einen Großteil des Lagers zerstört. Einst lebten in ihm 160.000 Menschen. Geisterhaft reiht sich Ruine an Ruine, und ein Bewohner erzählt uns von noch Vermissten unter den Trümmern. Langsam kehren laut UNRWA Bewohner nach Jarmuk zurück, es seien bereits wieder 15.000. Was die Zukunft bringen wird, ist ungewiss. Doch etwas Hoffnung liegt in der Luft, und inmitten des Schutts blüht eine Bougainvillea.
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