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Aus: Ausgabe vom 17.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
USA

Kein Einzelfall

Charleston-Massaker: Vor zehn Jahren massakrierte ein US-Neonazi neun Afroamerikaner. Von Elizabeth Robeson
Von Elizabeth Robeson
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Im Gesang vereint: Einwohner von Charleston trauern um die Opfer des Massakers (20.6.2025)

Am Nachmittag des 17. Juni 2015 um 16.44 Uhr legte ein junger weißer Mann aus Columbia (South Carolina) letzte Hand an ein Manifest, das er auf eine selbst erstellte Website mit dem suggestiven Namen »The Last Rhodesian« hochlud.

Ein gekritzeltes Wappen wies ihn als Teil einer Kohorte zutiefst Unzufriedener aus, deren zentrales Erkennungsmerkmal ein Othala-Symbol, umgeben von den totemistischen Runen zeitgenössischer Faschisten war: einem Hakenkreuz, einer Lebensrune und einem keltischen Kreuz. Die Zahlen 14 (für: »Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für die weißen Kinder sichern«) und 88 (»Heil Hitler«) befanden sich auf beiden Seiten, die Initialen »DSR« in der Mitte darunter.

Innerhalb weniger Stunden würde Dylann Storm Roof, ein 21jähriger »einsamer Wolf«, den Terror des Norwegers Anders Breivik wieder aufleben lassen und Nachahmer zu Massenmorden in Christchurch, Pittsburgh, Halle und El Paso inspirieren.

Das Manifest zeichnete Roofs Weg zu einem »Rassenbewusstsein« nach und drückte seine Überzeugung aus, dass nur ein Krieg der Ethnien einen Völkermord an den Weißen verhindern könne. Seine Beschwerden waren vielfältig, konzentrierten sich aber auf schwarze Amerikaner, die er mit den abgedroschenen rassistischen Klischees von Ignoranz, Kriminalität und sexueller Abweichung verunglimpfte. Es sei an der Zeit, behauptete er, »drastische Maßnahmen zu ergreifen«.

Eine Fotogalerie auf seiner Website zeigte ihn mürrisch in ikonischen Landschaften Carolinas – in einem moosbewachsenen Zypressensumpf, in den Sklavenquartieren einer Plantage –, die mit der Ikonographie des weißen Nationalismus geschmückt waren: mit der Flagge der Konföderierten und den Wappen der aufgelösten afrikanischen Apartheidstaaten. Er schwenkte eine Glock-45-Pistole, die er vom Geburtstagsgeld seines Vaters gekauft hatte. »Ich bin mit einer beträchtlichen Menge deutschen Blutes gesegnet«, schrieb er, »und mit einem deutschen Nachnamen.«

Später wurde er als »so zerbrechlich, dass man ihn wie einen Zweig brechen könnte« beschrieben. Roof hatte sich bewusst die Rolle eines kämpferischen Soldaten in einem Krieg zugelegt, den er noch in derselben Nacht anzetteln wollte. Um 21 Uhr kam er nach einer 185 Kilometer weiten Fahrt in der Küstenstadt Charleston an, wurde in einer historischen Kirche, die vor allem von Schwarzen besucht wurde, zu einer Bibelstunde empfangen und drückte 77mal den Abzug ab – geladen hatte er 88 Kugeln in acht Magazinen. Er hinterließ die Leichen von neun Afroamerikanern, darunter der Pastor und eine 87jährige Frau, auf dem Boden des Gemeindesaals.

Die Republikaner des Bundesstaats, die Gouverneurin und spätere Präsidentschaftskandidatin Nikki Haley und der Senator Lindsey Graham, versuchten schnell, Roof als Einzelgänger darzustellen. In einem Fernsehauftritt am nächsten Morgen erklärte Graham mit Nachdruck: »Das ist kein Fenster in die Seele von South Carolina. Es geht nicht darum, wer wir sind. Es geht um diesen Typen, der tonnenweise Probleme hat.« Roof sei »krank und verdreht«. Haley teilte mit, dass sie die Legislative bitten werde, das Banner der Konföderierten von einem Fahnenmast vor dem Kapitol in South Carolinas Hauptstadt Raleigh zu entfernen. Die Republikaner hatten es dort 2000 angebracht, als zynische Antwort auf die Forderung der afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation NAACP, es von der Kuppel des Regierungsgebäudes zu entfernen. Dort hatte es seit 1961 als spöttische Erinnerung an die Sklaverei geweht. Inmitten der tiefen Trauer prangerte Haley Roofs »kranke und verdrehte« Vereinnahmung der Flagge an, die sie als »Symbol für Respekt, Integrität und Pflicht« bezeichnete. Sie erklärte: »Das ist weder Hass noch ist es Rassismus.«

Das bringt uns zur Herkunft von ­Dylann Roof. Er ist alles andere als wurzellos und stammt von Johann Sebastian Rueff ab, einem gebürtigen Lutheraner aus dem norddeutschen Worth. In den 1740er Jahren segelten Johann und zwei Brüder von Rotterdam nach Philadelphia, bevor sie sich auf Cherokee-Land in der »Dutch Fork« im Zentrum South Carolinas niederließen. Angelockt durch Landprämien, schlossen sich die Rueffs Tausenden von Deutschen an, um einen Puffer zwischen den verärgerten Cherokee und den in Charleston ansässigen Oligarchen zu schaffen.

Der Familienhistoriker Michael K. Roof bringt die Rueffs mit dem Adel in Verbindung. Der Name, so schreibt er, bezeichne »jemanden, der sich mit dem Alten Testament und den Lehren Christi auskennt«. Dylanns Vorfahr John Melchior Rueff wählte die Schreibweise »Roof« (Dach), um sich der deutschen Aussprache anzunähern, aber auch, um auf eine fromme Abstammung hinzuweisen. »Mein Volk stammt aus der ersten Kaste Europas; es hat seine Söhne zu Predigern des Evangeliums und zu Lehrern der Jugend erzogen. Sie werden weiterhin den höchsten Beruf der Menschheit ausüben, den des Dieners Gottes. Mein Name soll ›Dach‹ geschrieben werden, wie das Dach eines Hauses.« In einer ironischen Prophezeiung fuhr er fort: »Denn mein Volk soll wie eine Decke sein, die ein Gebäude bedeckt, und es soll die, die sich darin befinden, beschützen und unterweisen, damit sie des ›Erbes des Herrn‹ würdig bleiben.«

Die Weissagung traf weitgehend zu. Melchiors Vater hat die Zionskirche gebaut, die erste lutherische Kirche in Dutch Fork, die bis heute besteht. Über Generationen hinweg füllten die Roofs die Reihen der ordinierten lutherischen Geistlichen. Während der Amerikanischen Revolution kämpften sie gegen die Briten. Als der Bürgerkrieg ausbrach, bildeten sie ein Familienregiment und kämpften während des gesamten Krieges. Andere wurden zum Sheriff gewählt. In einem Nachruf wurde Dylanns Ururgroßvater als »prominenter, am Fortschritt interessierter Geschäftsmann« gelobt. Sein verstorbener Großvater stand der örtlichen Anwaltskammer vor.

Dylann Roof ist kein Einzelfall.

Hintergrund: Von Rassismus durchdrungen

Ein Bundesrichter verurteilte Dylan Storm Roof im Januar 2017 zum Tode; mehrere Berufungen gegen sein Urteil wurden abgelehnt, die letzte im April. Von seiner trotzigen Reuelosigkeit wich der Massenmörder nie ab. Als er in den Bergen von North Carolina vom FBI gefasst wurde, gestand Roof bereitwillig: »Was ich getan habe, ist so unbedeutend im Vergleich zu dem, was sie (die Schwarzen) den Weißen jeden Tag und ständig antun.«

Während des langwierigen Gerichtsverfahrens kämpfte Roof gegen David I. Bruck, den renommierten Strafverteidiger, und feuerte ihn schließlich, weil Bruck darauf bestand, dass er sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen solle. In zwei Anhörungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit sagte Roof dem Vorsitzenden Richter: »Ich will nicht, dass jemand denkt, ich hätte es getan, weil ich irgendein psychisches Problem habe. Ich wollte die rassistischen Spannungen verstärken.«

Tatsächlich erbrachte die Expertenuntersuchung von Roof keine Beweise für einen beeinträchtigten Geisteszustand, sondern attestierte ihm einen hohen IQ und leichten bis mittelschweren Autismus, lähmende soziale Ängste und »Vorläufersymptome einer Psychose«. Der Bericht kam zu folgendem Schluss: »Dylann verfolgte seine Beschäftigung mit dem Rassismus mit einer autistischen Intensität. Sie durchdrang alle Aspekte seines Lebens.«

An die New York Times, die über seinen Prozess berichtete, schrieb Roof im Frühjahr 2020: »Ich bin nicht der Bösewicht. Ich würde gerne glauben, dass ich nicht einmal ein schlechter Mensch bin«, bevor er zu seiner Besessenheit zurückkehrte: »Ich gehöre zu einer Gruppe, die für einen Völkermord vorgesehen ist. Was die Sache verkompliziert, ist, dass viele der Leute, die das Ziel sind, ebenfalls zu dieser Gruppe gehören.« Nach dieser Logik sind die weißen Antifaschisten die naiven und willigen Kollaborateure ihrer eigenen Zerstörung. (er)

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