Spleenbrite des Tages: Timothy Garton Ash
Von Reinhard Lauterbach
Eine Eigenschaft, für die britische Kultur vor allem im Ausland gepriesen wird, ist der sogenannte Common sense – ein gewisser elementarer Realismus und gesunder Menschenverstand. Aber auch der ist nicht allen Vertretern der britischen Kultur gegeben. Beispiel: Timothy Garton Ash, Oxford-Professor und als solcher eine anerkannte Leuchte des transatlantischen Kulturlebens, nach eigener Aussage aber auch ein Graphoman und Aktivist an der publizistischen Front gegen Russland. Unlängst war er auf einem »Medienforum« im westukrainischen Lwiw zu Gast, und dort hat ihn das Kiewer Portal Ukrainska Prawda ausführlich interviewt. Als Kernsatz des Gesprächs, das vom Hundertsten ins Tausendste kam und die Ukraine für ihren Kampfeswillen über den grünen Klee lobte, kam zum Schluss noch ein unkonventioneller Vorschlag, Moskau den »Imperialismus« auszutreiben: »Das Beste, was Russland passieren könnte, wären eine vollständige Niederlage und anschließend eine fünfzigjährige Besetzung– wie in Deutschland nach 1945.«
Er sage das völlig im Ernst, so Ash ausdrücklich. Aber leider fürchte sich die Außenwelt vor Russlands Atomwaffen. Dabei habe es doch auch schon Kriege verloren: den Krimkrieg 1853–56, den Krieg gegen Japan 1904/5, den gegen Finnland 1939/40 beinahe, den in Afghanistan. Warum es also nicht ein weiteres Mal versuchen? So explizit sagte Ash das nicht, aber seine Aufzählung suggerierte es. Dass alle von ihm zitierten Beispielkriege ohne den Einsatz von Atomwaffen stattfanden, müsste man einem professionellen Historiker ja eigentlich nicht sagen. Aber so geht es halt, wenn einem die Verteidigung der »liberalen Weltordnung« zum Spleen gerät. Wie sagte der alte Hegel: Das einzige, was man aus der Geschichte lernen kann, ist, dass nie jemand aus ihr lernt. Insbesondere nicht, wenn man seinen Ruhm mit Kriegshetze verdient.
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