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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Archäologie

Älter als vermutet

Die Qumran-Schriftrollen wurden neu datiert
Von Felix Bartels
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Als vor etwa zwei und einem viertel Jahrtausenden das Alte Testament ins Griechische übersetzt wurde, trat eine Legende in die Welt. Um die Septuaginta: 72 Gelehrte sollen in 72 Tagen 72 bis aufs letzte Wort identische Übertragungen der Tora angefertigt haben, was als Beweis für das Einwirken Gottes genommen wurde. Eine Legende, die nötige Übertragung aus dem Hebräischen zu legitimieren. Griechisch war das Englisch der vorrömischen Antike und insofern ein Schlüssel zur Verbreitung der Religion. Heute geht es langweiliger zu. Längst haben sich wissenschaftliche Methoden auch in der Überlieferungsforschung zu religiösen Texten durchgesetzt.

Und hin und wieder gibt es tatsächlich neue Erkenntnisse. Einer KI-gestützten Neudatierung nach sollen viele der berühmten Qumran-Schriftrollen früher entstanden sein, als bislang vermutet. Einige der Fragmente könnten demnach sogar auf die Entstehungszeit des Alten Testaments datiert werden, so etwa Abschnitte aus dem Buch Daniel und dem Buch Koholet.

Die 1947 in Höhlen am Toten Meer entdeckten Qumran-Fragmente gehören zu den ältesten Dokumenten der jüdischen Geschichte. Es sei »essentiell, die genaue Chronologie dieser handgeschriebenen Manuskripte zu ermitteln«, sagt Mladen Popovic von der Universität Groningen. Gemeinsam mit dem von ihm geleiteten Team hat er eine Methode entwickelt. Dafür kombinierten die Forscher moderne Methoden der Radiokarbondatierung mit einer KI namens »Enoch«, die in paläographischer Komparation trainiert wurde. »Mit der Enoch-KI haben wir eine neue Tür in die antike Welt geöffnet. Wie eine Zeitmaschine erlaubt sie uns, die Handschrift der Personen zu studieren, die einst die Bibel schrieben.«

Zunächst untersuchten die Wissenschaftler Proben von 30 Schriftrollen aus Qumran, zwei weiteren Höhlen sowie einer aus Masada vermittels Beschleuniger-Massenspektrometrie. Danach ließen sich einige der Fragmente bereits bis ins dritte Jahrhundert v. u. Z. zurückdatieren. Im Anschluss nutzte man die Enoch-KI, um 135 weitere Qumran-Texte zu datieren. Dafür wurde das System zunächst darauf trainiert, die Kurven und weitere geometrische Schriftmerkmale in den zuvor datierten Schriftrollen zu analysieren. Die KI lernte, die paläographischen Schriftmerkmale einer bestimmten Entstehungszeit zuzuordnen – denn die Radiokarbondaten dieser Trainingstexte lagen vor. Dann erhielt Enoch die 135 noch nicht datierten Qumran-Texte zur paläographischen Altersbestimmung.

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