Mangel und sein Zweck
Von Susanne Knütter
Der blutrünstige Hai als Symbol für das Agieren aggressiver renditegetriebener Immobilienkonzerne, die Heuschrecke als Verbildlichung anonymer Investoren, die sich so lange durch Mietenmarkt und öffentliche Daseinsvorsorge fressen, bis nichts mehr übrig ist. Die Botschaft ist irreführend: Was soll man da machen? So war es schon immer? Der weiße Hai ist ein Überbleibsel der Dinosaurierzeit, der Heuschreckenschwarm eine seit Jahrtausenden wiederkehrende Plage. Um eine Naturalisierung und Relativierung der tatsächlichen Verhältnisse geht es den Protagonisten, die diese Bilder bemühen, sicherlich nicht, auch wenn Franz Müntefering (SPD) es war, der die Heuschreckenallegorie 2005 in die Welt gesetzt hat, während er als Arbeitsminister gleichzeitig die Konzerninteressen bedienende »Agenda 2010« umzusetzen half.
Es geht zuallererst um die Darstellung des Ausmaßes kapitalistischer Aneignung zum Beispiel auf dem Wohnungsmarkt – 15, 20, 35 Jahre nach der »Wende«. Entscheidend ist, nicht bei einer Kritik der Auswüchse des Kapitalismus stehenzubleiben, sondern die dahinterstehenden Mechanismen, Interessen und Kräfteverhältnisse, die einen derartigen Ausverkauf auf Kosten der Allgemeinheit möglich machen, zu verstehen und zu bekämpfen. Weil in der Realwirtschaft nicht mehr genug Rendite zu erwarten war, wurde das Geld zunehmend in Finanzmarktprodukte investiert, die höhere Gewinne versprachen. Seit den 1990ern gehörten verstärkt Wohnungsmärkte dazu. Politische Entscheidungen trugen dazu bei: Wohnraum wurde flächendeckend privatisiert, Anlagen im Immobiliensektor wurden steuerlich begünstigt und Altbestände abgerissen – zum Teil immer noch.
Die Verknappung von Wohnraum beschleunigt Mietsteigerungen. Mieten in immer weitere Höhen zu treiben steigert den Marktwert von Immobilien. So ist der Rückgang bei Neubauten (minus 14 Prozent im vergangenen Jahr) zwar tragisch, erfüllt aber auch einen Zweck. Kürzlich konstatierte etwa der Münchner Kreditvermittler Interhyp, dass die Nachfrage nach Immobilieninvestments im vergangenen Jahr gerade bei Kapitalanlegern noch mal gewachsen ist.
Wenn jetzt die Bundesregierung ankündigt, die Mietpreisbremse nicht nur zu verlängern, sondern auch ein paar ihrer Ausnahmen einzudämmen, agiert sie als ideeller Gesamtkapitalist. Denn wer 40 Prozent seines Einkommens für Miete ausgeben muss, hat kaum noch was übrig, um es an die anderen kapitalistisch organisierten konsumtiven Anlaufstellen zu verteilen. Das grundsätzliche Problem des Eigentums an Wohnraum wird die Mietpreisbremse ebensowenig lösen wie der von der IG BAU präferierte Vorschlag, schneller und einfacher zu bauen. Vieles spricht dafür, dass es noch schlimmer wird. Das Handelsblatt empfahl am Dienstag kleinere und mittlere Städte als Anlageoption, die »oft attraktivere Mietrenditen« böten als die deutschen Metropolen. Die erste Tat – mit Tierallegorie gesprochen – muss daher lauten: Miethaie zu Fischstäbchen. Aber wirklich.
Siehe auch
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Ansichten
-
Linker Israel-Versteher des Tages: Tony Wohlfarth
vom 04.06.2025