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Aus: Ausgabe vom 02.06.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Südkorea

Der Schlamm der Wahlschlacht

Vor den Präsidentschaftswahlen in Südkorea. Kandidaten überziehen sich gegenseitig mit Vorwürfen. Politische Fragen sind Nebensache
Von Martin Weiser, Seoul
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Zinnober ohne Inhalt. Wahlkampfveranstaltung der Demokratischen Partei zur Unterstützung ihres Kandidaten Lee Jae Myung (Seoul, 28.5.2025)

Wenn es nach den Umfragen geht, steht bereits fest, wer am 3. Juni in Südkorea die Präsidentschaftswahlen gewinnt. Genau sechs Monate nachdem der vorherige Präsident Yoon Suk Yeol Anfang Dezember 2024 das Kriegsrecht ausgerufen hatte, wird höchstwahrscheinlich Lee Jae Myeong von der Demokratischen Partei zum Präsidenten gewählt werden. In Südkorea dürfen in der Woche vor der Wahl keine Umfrageergebnisse mehr veröffentlicht werden, laut der letzten vom 27. Mai liegt Lee aber mit 45 Prozent fast zehn Punkte vor dem Kandidaten von Yoons Partei. In den kaum 40 Jahren, seit in Südkorea bürgerlich-demokratische Verkehrsformen herrschen, holte der Führende der letzten Umfrage auch immer den Wahlsieg.

Eigentlich war die Wahl für die Bürger relativ klar. Schließlich hatte Yoons Partei, die People’s Power Party (PPP), einfach Yoons Arbeitsminister Kim Moon Soon ins Rennen geschickt und damit demonstriert, wie sehr sie hinter der Ausrufung des Kriegsrechts stand. Das wurde auch bei der Kandidatenkür klar, als sich zwei Drittel der Parteimitglieder für Kim aussprachen, während sein verbleibender Kontrahent Han Dong Hoon für seine vehemente Kritik an Yoons Umsturzplan abgestraft wurde. Gerne verweist die PPP auf die laufenden Gerichtsverfahren gegen den Kontrahenten Lee Jae Myeong, um ihn als möglichen Präsidenten zu diskreditieren. Aber gleichzeitig beschwört sie wie schon Yoon eine angebliche kommunistische Machtübernahme, sollte die Demokratische Partei nicht nur das Parlament, sondern auch die Exekutive kontrollieren. Beides verfängt durchaus bei Südkoreas Konservativen, befördert aber gleichzeitig die weitere Radikalisierung am rechten Rand. Nach einem ersten Mordanschlag im Januar 2024 kann Lee Jae Myeong jetzt nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen wie schusssicherem Glas Wahlkampf machen.

Auf den Vorwurf, er sei ein ex­tremer Linker, hatte Lee sich bereits eingestellt. Seinen Wahlkampf begann er deswegen am 4. April mit einer Videoansprache, in der er an die politische Mitte appellierte. Er sei gar kein Linker, sondern urkonservativ, erklärte er dort. Schließlich trete er für den Rechtsstaat und den gesunden Menschenverstand ein und glaube an das Leistungsprinzip. Die angeblichen Konservativen Südkoreas behaupten bloß, sie seien konservativ, schützten aber nicht einmal die Verfassung. Eine Woche später trat der Präsidentschaftskandidat in biederem, grauem Strickpullover auf und betonte, dass er die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen werde, und zwar mit Pragmatismus. Themen wie Gleichstellung, Arbeitsschutz und Sozialstaatsausbau sprach er gar nicht erst an, um schon den bloßen Verdacht zu zerstreuen, er könne ein Linker sein.

Die einzige Gefahr für Lees Wahlsieg wäre vermutlich eine Bündnispolitik der Konservativen gewesen, deren Möglichkeit sich die PPP aber selbst verbaut hat. Deren Kandidat Kim Moon Soon hatte versprochen, ideologieübergreifend alle Kräfte gegen die Demokratische Partei zusammenzubringen, und wollte dafür sogar die linke Justice Party mit ins Boot holen. Ein solches Bündnis wäre aber nach seinem Verständnis nichts weiter gewesen als eine reine Wahlplattform für seine Kandidatur. Aufgrund schlechter Umfragewerte wurde Kim dann gedrängt, zugunsten von Yoons Premierminister Han Duck Soo zu weichen, der als Unabhängiger eine Koalition einigermaßen glaubhaft hätte schmieden können. Aber Kim gab nicht klein bei. Als letzte Möglichkeit blieb ihm dann nur noch der Zusammenschluss mit Lee Jun Seok, dem Vorsitzenden der Reformpartei. 2021 hatte die PPP Lee zum jüngsten Parteivorsitzenden gekrönt, ein Jahr später hatte ihn das Parteiestablishment aber wieder kaltgestellt. Seitdem geht er mit antifeministischen Parolen bei rechten jungen Männern auf Stimmenfang. Zu einer Allianz ist es jedenfalls nicht gekommen.

Da die Konservativen ihr Pulver gegen Lee Jae Myeong bereits verschossen hatten, knöpften sie sich dessen Familie vor. Während Yoons Ehefrau und deren Mutter wegen schwerer Wirtschaftskriminalität im Fokus stehen, reichte bei Lees Frau Kim Hye Gyeong schon eine noch nicht rechtskräftige Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro für einen Skandal, der kaum der Rede wert scheint. 2021 soll sie angeblich anderen ein Essen spendiert haben, um Lees Chancen zu erhöhen, als Kandidat für die Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr aufgestellt zu werden. Während Kim beteuert, ihre Sekretärin habe ohne ihr Wissen bezahlt, wecken bereits die Summen Zweifel an unlauteren Motiven. Die Rede geht von umgerechnet jeweils 70 Euro für sechs Personen. Die PPP jedoch bestand auf einer Fernsehdebatte der Ehefrauen, und Kandidat Kim Moon Soon ließ seine Frau in der Comedyshow »Saturday Night Life Korea« auftreten, wo sie auf das angebliche Schmiergeld der Ehefrau des Kontrahenten anspielte.

Lee Jun Seok von der Reformpartei war sich wiederum in einer live übertragenen TV-Debatte nicht zu schade, einen nicht jugendfreien frauenfeindlichen Onlinekommentar von Lee Jae Myeongs Sohn von 2021 hervorzukramen, der schon vor der Wahl von 2022 breitgetreten worden war. Die Demokratische Partei wie auch Kweon Yeong Guk, der Kandidat der linken Demokratischen Arbeiterpartei, sprachen Lee Jun Seok prompt jede Qualifikation als Abgeordneter und Parteivorsitzender ab. Lee machte seine Absicht, Lee Jae Myeongs Familie zu diskreditieren, nicht einmal transparent, sondern wollte erst vom Kandidaten der Demokratischen Arbeiterpartei und dann von Lee selbst nur wissen, ob so eine Aussage nicht höchst frauenfeindlich sei. Bevor er ausführen konnte, dass diese problematische Aussage angeblich von Lee Jae Myeongs Sohn stammt, wurde ihm mangels fehlender Redezeit bereits das Mikrofon abgestellt.

Auch ein Putschversuch

Die PPP hat ihren Präsidentschaftskandidaten bereits am 3. Mai gekürt. Kim Moon Soo, bis vor kurzem Arbeitsminister unter Yoon, konnte sich gegen sieben Kontrahenten durchsetzen. Kim verweigert allerdings bis heute eine klare Distanzierung von Yoons Verhängung des Kriegsrechts Anfang Dezember 2024. Damit war von Anfang an klar, dass er an der Wahlurne keine Chance haben würde. Den Sieg erhoffte sich die Partei statt dessen mit Yoons Premierminister Han Duk Soo, dem Umfragen wenigstens den Hauch einer Chance gaben. Und so trafen sich beide mehrmals, ohne sich einigen zu können, wer von den beiden denn nun ins Rennen gehen sollte. Sie inszenierten sogar vor Kameras eine öffentliche Umarmung, in der Hoffnung, jedwede Zweifel an möglichen Meinungsverschiedenheiten zu zerstreuen. Kim beteuerte, er brauche noch Zeit, um im Land beliebter zu werden.

Aber die Parteiführung nahm dann kurzerhand die Dinge selbst in die Hand, beschloss sogar ein Fernsehduell zwischen den beiden für den 8. Mai mit anschließender Neuwahl des Kandidaten. Dass Han gewinnen würde, war ein offenes Geheimnis. Als sich Kim diesem Trick verweigerte, versuchte es die Partei mit einem Putsch. Ein Tag nach dem geplanten Duell berief die Führung mitternachts eine Sondersitzung ein, annullierte Kims Kandidatur und eröffnete drei Stunden später ein kurzes Fenster für die Neuregistrierung. Das war offenbar mit Han abgesprochen, der sofort der Partei beitrat und sich als einziger für die Kandidatur registrieren konnte. Am nächsten Morgen führte die PPP dann rasch eine Abstimmung unter den Parteimitgliedern per Telefon durch, um den Anschein eines formalen Verfahrens zu wahren. Für die Parteiführung überraschend verpasste Han dort aber knapp die Mehrheit, der Putschversuch war gescheitert. Trotz dieser großen parteiinternen Intrige trat nur Kwon Young Se zurück, der als Vorsitzender des derzeitigen Ausnahmekomitees auch die Partei leitete.

Im nachhinein hatte die PPP sogar Glück, dass Han am Mitgliedervotum gescheitert ist. Erst am 27. Mai wurde bekannt, dass gegen ihn ein Reiseverbot vorliegt, weil er über seine Verwicklung in die Ausrufung des Kriegsrechts gelogen haben soll. Der Sicherheitsdienst des Präsidenten hatte nach langer Weigerung der Polizei Videomaterial übergeben, das neue Fragen aufwirft. (mw)

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