Die Revolution frisst ihre Eltern
Von Felix Bartels, Marc Püschel und Maik Rudolph
Treue wurde Verrat. Das gilt für Disney und sein nachgerade toxisches Verhältnis zum Star-Wars-Franchise. Kathleen Kennedy nämlich und Lucasfilms – 2012 für lockere vier Milliarden Dollar vom Konzern erworben – lassen Bauchlandung auf Bauchlandung folgen beim Versuch, den von George Lucas erdachten Kosmos mit weiterem Content auszufüllen. Es liegt nicht am Willen. Was seit 2014 auf den Markt trat, sollte kontinuierlich sein. Es liegt an der Unfähigkeit der Autoren, Regisseure und Produzenten. Je mehr man sich einfügen will, desto weniger gelingt es. Vielleicht ist das schon das ganze Geheimnis von »Andor«. Die Serie versucht nicht, sich einzufügen, verzichtet auf nostalgisch-konvenienten Fanservice, bauchpinselnde und naheliegende Auftritte (Vader, Leia, Palpatine) wurden bewusst ausgelassen, dem Franchise wesentliche Erzählelemente (Macht der Jedi, Weltraumhäfen mit tausend Spezies) ausgeklammert. Imperium und Rebellion werden ausgeleuchtet, man geht in die Tiefe, statt an der Galaxie zu stricken. Verrat wurde Treue.
Star Wars ist ein moderner Mythos. Eine Gesellschaft, die keine Götter mehr kennt, findet ihre Mythen in ästhetischen Genres, hier als Verbindung aus Poesie und Modernität. Teils Science-Fiction, teils Fantasy, adressiert das Weltraummärchen zwei grundlegende, gegensätzliche Publikumshaltungen: kopflastiges Interesse am Material und Sinnsuche im Ewigen. Nicht zufällig spielen die Star-Wars-Handlungen in einer fernen Galaxie vor langer Zeit. Im ersten Film, »Episode IV«, betritt Luke am Scheideweg seines jungen Lebens einen Sandhügel, er schaut auf die zwei Sonnen von Tatooine, eine helle und eine dunkle. Das vor ihm liegende Schisma von Macht und dunkler Seite der Macht bildsprachlich antizipiert. Wer diese Szene hat, hat das ganze Star Wars.
Ideologisch fielen die frühen Filme exakt in ihre Zeit. Yodas berühmter Monolog über die Macht (»Episode V«) ließ den Geist des spätbürgerlichen Individuums anklingen, New Age als Beitrag zum Kalten Krieg. Alles durchdringende Macht gegen platten Materialismus der sowjetischen Welthälfte, individuelle Freiheit gegen eigenschaftslose Masse, so sah man damals, so sieht man heute vom westlichen Ende über den Atlantik. Und war doch ein Märchen mit einer elementaren Idee, die hinausreichte über den zeitlichen Kontext. Wie »Episode IV« als nahezu perfekte Umsetzung einer Heldenreise im Sinne Joseph Campbells gelten kann, trat »Episode V« als vertiefendes Charakterdrama auf, inszenatorisch zudem ein Höhepunkt. »Episode VI« konnte den Schwung der ersten beiden Filme noch nutzen, erzählerisch und figurenästhetisch fiel der Film bereits ab, kompensierte das aber mit ausgezeichneten Action-Set-Pieces.
Profanisierende Prequels
Der Niedergang von Star Wars beginnt nicht mit Disney, Lucas selbst hat ihn eingeleitet. Inszenatorisch schwach und voller unglücklicher Entscheidungen kamen zwischen 1999 und 2005 die drei Prequels heraus, auch sie Kinder ihrer Zeit. Am Ende des Endes der Geschichte hatte sich das Bedürfnis angemeldet, jenes klassische Gut-Böse-Schema mit begründetem Gehalt zu füllen. Die Macht wurde in »Episode I« profan, zum Gelächter der Zuschauer in den Mediclorianern biologisiert, aus der Prinzessin eine limitierte Funktion im parlamentarischen Betrieb. Wo poetische Sujets einst märchenhafte Kämpfe bewegten, fand jetzt der menschenrechtlich begründete Interventionismus der USA seinen Ausdruck. Erzählerisch rettete Lucas die Trilogie mit dem dritten Teil, dem Versagen der Jedi. Auch zeitgeschichtlich nahm sich »Episode III« etwas versierter aus, indem der doppelte Boden der Bush-Ära, der Abbau demokratischer Prozesse im Namen des »War on terror«, kritisch verarbeitet wurde.
Danach war erst mal Ruhe. Star Wars wechselte das Genre. Im Schatten der Prequel-Filme entstand die Animationsserie »The Clone Wars«. Ein unscheinbares Projekt mit netten Ideen und großen Fehlern, die sich mit Rücksicht aufs Genre übersehen ließen. Diese Serie mit ihren Flausen in den Kanon zu nehmen, erwies sich als folgenreich. Showrunner Dave Filoni hatte einen ganz eigenen Komplex innerhalb des Star-Wars-Universums geschaffen, der sich dieser Tage vermittels »The Mandalorian«, »The Book of Boba Fett« und »Ahsoka« weiter auswuchert. Da wuchs eine Galaxie in der Galaxie, zumal eine schlechter erzählte.
Vor diesem Hintergrund überrascht kaum, dass Disney bei seinem ausgeprägten Hang zum ästhetischen Mittelmaß nicht bloß die Skywalker-Saga fortstrickte, sondern sich auch das Filoni-Verse einverleibte. Den Auftakt der Disney-Ära hatte nicht »Episode VII« gemacht, sondern mit »Rebels« ein Filoni-Produkt. Für »Episode VII« verpflichtete man, auch das folgerichtig, J. J. Abrams – bekannt dafür, style over substance zu stellen. Abrams kompensierte das Fehlen einer tragenden Idee durch hemmungslose Nostalgie. Ikonische Szenen der frühen Filme wurden kopiert, Anspielungen und Cameoauftritte taten den Rest. Rian Johnson machte in »Episode VIII« so ziemlich das Gegenteil, dekonstruierte, bisweilen ungeschickt, die Charaktere. Für »Episode IX« holte man Abrams zurück, der Episode VII quasi noch einmal drehte, was insofern lustig ist, als auch diese bereits ein Plagiat war, von IV nämlich. Aber IX trieb es exzessiver. »Somehow Palpatine returned« – drei Worte, die alles offenbaren darüber, dass nicht mal mehr der Versuch vorlag, eine Story auch zu erzählen.
Alles untertroffen
Nach dem »Solo«-Desaster stand ein neuerlicher Wechsel des Genres an. Die Zeit der Serien begann. »Solo« hatte die Prequel-Logik auf den Kopf gestellt. »Episode IV« erzählt, wie aus dem Schlitzohr Han ein guter Kerl wird. Hans Vorgeschichte müsste erzählen, wie er jenes Schlitzohr werden konnte. Eine negative Heldenreise also, zu der Disney offensichtlich der Mut fehlte, das Publikum bestrafte das erst recht. Jenes Umsatteln auf Serien war zugleich durch den Start von Disney+ bedingt. Serien können dem ökonomischen Erfordernis, die Plattform permanent mit Inhalten zu versorgen, besser nachkommen.
Was Disney dann allerdings ab 2019 auswarf, hat sämtliche bereits erreichten Tiefpunkte untertroffen. Serielles Erzählen bringt Komplikation mit sich, man muss es episodisch oder kontinuierlich gestalten. »Mandalorian« folgte in seinen ersten zwei Staffeln strikt dem episodischen Weg, jede Folge ließ eine klare Sieben-Akt-Struktur erkennen. In der dritten Staffel brachen die Showrunner das Prinzip auf und nahmen der Serie damit das Wenige, was sie anschaubar gemacht hatte. Die kontinuierlichen Erzählungen »Obi Wan«, »Boba Fett«, »Ahsoka«, »The Acolyte« und »Skeleton Crew« haben die elementaren Probleme des von Disney verwursteten Franchise deutlich hervortreten lassen. Unoriginell sein wurde zum Markenzeichen. Beständig werden ikonische Szenen aus den früheren Filmen kopiert, kaum ein Dialog ohne Referenz und Namedropping, Cameoauftritte ohne erkennbare Funktion für die Handlung sollen Fans bei Laune halten. Das Storytelling missachtet so ziemlich alles. Figuren handeln dumm, Handlungen ergeben keinen Sinn, die Plotholes sind so groß, dass man sie nicht mehr als Löcher bezeichnen kann, »show don’t tell« wird gebrochen, unentwegt erzählen Figuren einander Dinge, die sie längst wissen. Logikprobleme bestehen nicht nur innerhalb der einzelnen Storys, sondern auch auf die Gesamterzählung bezogen. Das attackiert den zentralen Mechanismus der Publikumshaltung, die »suspension of disbelief«.
Das Zusammentreffen erzählerischer Schwäche und mangelnder Originalität schaffte, was eigentlich nicht möglich ist: Disneys Produktionen sind rein generisch und dennoch aus der Art geschlagen. Sie fallen auf, doch allein durch Fehler. Charakterentwicklung zudem scheint vollkommen vernachlässigt. Figuren machen Änderungen off screen durch oder sind derart schlecht erzählt, dass es nicht authentisch wirkt. Hinzutritt schlampige Inszenierung. »Obi Wan« leistet sich an zentraler Stelle einen Bruch der 180-Grad-Regel, »The Acolyte« läuft über von Anschlussfehlern, »Ahsoka« langweilt mit uninspiriertem Blocking und schlechtem Schauspiel.
Inmitten dieses Flickenteppichs aus Unzulänglichkeiten erschien da nun »Andor«. Bereits mit der ersten Staffel 2022 war die Serie durch Qualität aufgefallen, die zweite 2025 darf als Ereignis der Seriengeschichte gelten. Das liegt gewiss an Showrunner Tony Gilroy, aber vielleicht auch an der engeren Anbindung innerhalb des Franchise. »Andor« ist das Prequel zu »Rogue One«, dem besten Film unter Disney. »Rogue One« wiederum war das Prequel zu »Episode IV«, dem mit »Episode V« gelungensten aller Star-Wars-Filme. Insofern IV das vorgezogene Sequel der Lucas-Prequels war, ist »Andor« also das Prequel eines Prequels eines Sequels eines Prequels. Was vor allem eins zeigt: Enge Einbindung in eine Gesamterzählung muss weder generisch noch fehlerhaft ausfallen.
Galaktischer Faschismus?
Es gibt Wissenslücken, die der geneigte Fan des Star-Wars-Franchise immer schon gefüllt wissen wollte: Wie geht es weiter nach den alten Filmen? Die Antwort war eher na ja. An manchen Wissensbeständen hatte man kein Interesse, dennoch konnte sich George Lucas nicht zurückhalten und präsentierte, was der Original-Trilogie vorausgegangen sei. Und es gibt Lücken, an die niemand gedacht hatte, geschweige denn, dass man sie unbedingt gefüllt haben mochte: »Andor« zeigt uns den Alltag bürokratischer Verwaltung des Weltraumfaschismus, die innere Architektur des Imperiums.
Was ist eigentlich das Imperium? Lucas’ Astro-Allegorie auf den Faschismus speist sich aus Jack Kirbys Comicsaga »New Gods« (1971–1978), geprägt von den Fronterfahrungen des jüdischen Koerfinders von Captain America. Ein Bilderbuchmanichäismus: Planetgewordene industrielle Massenvernichtung mit dem Gott der Gleichschaltung an der Spitze steht dem biblischen Paradiesplaneten gegenüber, auch eine »Ich bin dein Vater«-Überraschung findet sich. Lucas’ Originaltrilogie aber blieb in ihren Bezügen zum historischen Faschismus eher vage.
Mit den Prequels versucht er diesen Umstand auszugleichen: In ihnen wurde auch eine leidliche Parabel auf das Ende der Weimarer Republik erzählt. Der militärisch-industrielle Komplex spielt eine zentrale Rolle, wenn die galaktische Republik die »Reichswehr« aufstockt, kurz bevor der galaktische Kanzler zum Imperator ermächtigt wird: Krieg gegen unbekannt, die dunkle Bedrohung, er entscheidet über den Ausnahmezustand. Dimitroffs These – »Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals selbst« – ging hier nicht auf. Das Weltraummärchen bot dafür schlicht zu wenig Anhaltspunkte. Auch ein Führerprinzip fehlt. Der Imperator agiert im Schatten, eigentlich ist er ein uralter Weltraumzauberer, der seinen Protegé vorschickt: Darth Vader ist in den Augen der hohen Militärs anfänglich bloß ein Cyborg mit atavistischem Aberglauben.
Anders als von Lucas intendiert, sieht man lediglich eine autoritäre Militärdiktatur. Deren Innenleben aber beleuchtet nun »Andor« und blendet dabei den magischen Aspekt ganz aus. Dafür stehen die beiden Antagonisten der sich formierenden Rebellion: Syril Karn und Dedra Meero.
Ordnung muss sein
Karn buckelt nach oben, ist aber kein Diederich Heßling. Ein »konventioneller Typus« gemäß den »Studien zum autoritären Charakter« von Adorno. Er internalisiert die größere Ordnung als persönlich-moralische Norm. Und folgt der vagen Law-and-Order-Ideologie des Imperiums. Das Œuvre des späteren Antikommunisten Orwell oder Alan Moores Comiczyklus »V wie Vendetta« bieten auch nicht mehr. Im Dienst einer unternehmenseigenen Polizei versucht Karn zwei Morde aufzuklären, die der Protagonist Cassian Andor begangen hat. Dieser Sicherheitsdienst versteht sich als kleinste Einheit der imperialen Verwaltung und verweist somit auf das Bündnis zwischen Machtzentrum und privatem Konzern, der den Manchesterkapitalismusplaneten Ferrix ausbeutet. Das Unternehmen verwaltet den Planeten wie eine Kolonie für das dort ferne Imperium.
Da seine Nachforschungen nicht gewünscht sind, setzt Karn sich über die Hierarchie hinweg und nimmt mit einem Sicherheitstrupp des Unternehmens, der kaum zufällig an ein SA-Racket erinnert, die Aufklärung in die Hand. Doch der Konzern will Ruhe im Hinterhof des Imperiums, Karns Einsatz endet im Desaster, er wird suspendiert. Das Imperial Security Bureau (ISB) – etwas CIA, etwas mehr Gestapo – übernimmt. Die Suche nach Andor, seinem Weißen Wal, setzt Karn dennoch fort, als er durch Beziehungen auf seinem Heimatplaneten Coruscant, dem Verwaltungszentrum der Galaxis, in der DIN-Norm-Behörde landet, dem Imperial Bureau of Standards: ein unendliches Meer an Cubicles, das aus Terry Gilliams filmischer Bürokratiehöllenmär »Brazil« (1985) stammen könnte. Gedreht wurde dafür unter anderem im Londoner Barbican Estate, das J. G. Ballard zu seinem dystopischen Roman »High-Rise« (1975) inspirierte.
Auf Ferrix zieht man unterdes andere Saiten auf. Alte Bekannte aus dem Franchise betreten die Bühne: Stormtrooper, buchstäblich Sturmtruppen, in anderen Produktionen reguläre Infanterie, werden zu einer Art Waffen-SS. Sie machen ihre Überzeugung nicht am Sold fest, immer bereit für ein Massaker, nie zuvor so unheimlich und bedrückend in Szene gesetzt. In »Andor« schüchtern die im restlichen Franchise eher lächerlich wirkenden Plasteschalenuniformen ein. Über anderen vom Imperium verwalteten Kolonien kreisen TIE Fighter. Die Standardschiffe der Weltraumluftwaffe sind zurückhaltend eingesetzt: als stete Bedrohung für die Zivilbevölkerung.
Karriere als Funktionselite
Dedra Meero, Herkunft und Motivation unklar, ist Karrieristin im Mittelbau des ISB. Sie wird von Major Partagaz, der sie für ihre Inhaftierungsquote lobt, in dessen Thinktank eingeladen: ein heller Raum mit Rundtisch, gemäß Silicon-Valley-Ideologie gibt es keine falschen Ideen, Kreativität ist gefragt. Arbeit nach Plan lehnt der Major ab. Es gehe nicht bloß um Sammeln von Daten und verdeckte Operationen. Er biologisiert: Das Ausfindigmachen von Keimen sei die eigentliche Mission. Meero ist überzeugt, dass verschiedene Vorkommnisse – Überfälle, Diebstahl militärischen Equipments, Aufbegehren – zusammenhangslos wirken sollen, dahinter stehe ein Netzwerk aufkeimender Rebellion. Die starre Bürokratie allerdings hat den ISB-Offizieren fixe Sektoren der Galaxie zugeteilt, Meero fordert eine übergreifende Rasterfahndung.
Ein konzertierter Überfall auf einen Transport, der den Sold eines ganzen Sektors befördert, führt zu einem Erlass des Imperators: Zur »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« darf die Weltraum-Gestapo nun überall operieren, mit Befugnis über sämtliche lokale Autoritäten. Der am Überfall beteiligte Cassian Andor wird derweil inhaftiert, ohne aber mit dem Überfall in Verbindung gebracht zu werden. Er hatte sich bei einem Spaziergang auf einer Strandpromenade zu hektisch umgeschaut. Nach einem kafkaesken Schnellprozess ohne Chance auf Verteidigung wird Cassian in einen gefängnis-industriellen Komplex verbracht, in dem die Insassen zur reinen Produktivkraft werden. Selbst Folter erscheint dort entpersonalisiert, frei von Sadismus und mehr als bloß Strafe strukturiert sie den Tagesablauf aus Arbeit und Regeneration. Cassian gelingt die Flucht.
In der zweiten Staffel tagt im Alpenschloss des Planeten Maltheen Divide eine Wannseekonferenz: absolute Geheimhaltung, selbst Vorgesetzte sollen erst zum passenden Zeitpunkt, direkt vom Imperator, informiert werden. Meero und Partagaz nehmen teil. Direktor Orson Krennic, Leiter der Abteilung für Waffenforschung des ISB (und bereits aus »Rogue One« bekannt), führt durchs Panel. Das Ziel: »Energieautarkie« vermittels der besonderen Bodenschätze des Planeten Ghorman. Was zunächst nach Kolonialismus klingt, ist tatsächlich die Grundlage für ein Genozidprogramm. Die Ressourcen von Ghorman werden als Energiequelle für den Todesstern dienen, der in »Episode IV« den Planeten Alderaan vernichten wird. Die 800.000 Bewohner von Ghorman sind im Weg, Umsiedlung scheint mit zu vielen Komplikationen verbunden, Seuchen und initiierte Naturkatastrophen scheiden ebenfalls aus. Auch die Kniffe des Ministeriums für Aufklärung – eine Anspielung auf das Goebbels-Ministerium – werden nicht genügen. Während einer Kaffeepause hat Meero gegenüber Krennic die zündende Idee: einen Aufstand provozieren, eine Résistance entstehen lassen, die »Vergeltungsmaßnahmen« erlaubt.
Sie setzt Karn als vermeintlichen Whistleblower ein, die Résistance von Ghorman in diese Richtung zu lenken. Karn kennt seinen Auftrag, den großen Plan dahinter nicht. Als er begreift, worum es eigentlich geht, verlässt er Dedra. Die genozidale Logik erschüttert seine internalisierte Law-and-Order-Moralität, allerdings trifft er inmitten der Unruhen von Ghorman zufällig auf Andor. Endlich steht Ahab dem Wal gegenüber, der kurze Moment der Wahrheit wird wieder verdeckt. Im Kampf mit Andor erlebt Karn einen anderen Wahrheitsmoment: Er ist ein unbedeutendes Rädchen im Imperium, Andor weiß nicht mal, wer er ist. Karn stirbt, während zahllose Demonstranten im Rahmen eines Euromaidan niedergestreckt werden. Das Blutbad war von imperialen Scharfschützen vorbereitet. In den galaxisweiten Nachrichten spricht man von Terrorismus. Die dissidenten Kräfte auf Coruscant – Mon Mothma, Bail Organa, Luthen Rael – nutzen den Senat als Bühne gegen die imperial kontrollierte Medienlüge. Mothma enttarnt das Massaker und muss danach von Coruscant fliehen, wobei ihr Cassian hilft. Die öffentliche Decouvrierung der Ghoman-Operation wird zum entscheidenden Impuls für jene Rebellion werden, mit der Star Wars einst begann. Zwei Jahre vor der Schlacht von Yavin verwandeln sich Dissidenten in Rebellen, Aktivisten in Krieger. Partagaz gibt sich nach dem Desaster im ISB-Googleplex die Kugel. Meero wird vom Apparat verschluckt, ihre unorthodoxe Handlungsweise wurde ihr nach dem Misserfolg zum Verhängnis. Sie endet in jenem Gefängnis, in dem bereits Andor saß.
Handeln ohne Hoffnung
Durch das Niederschlagen der gewollten Demonstration erhält das Imperium zwar Zugriff auf Ghormans Ressourcen, das erweist sich aber als Pyrrhussieg: Die Nachricht vom Massaker pusht galaxieweit den Widerstand. Bislang war die Rebellion in viele kleine Sekten gespalten, jetzt bildet sich langsam jene Rebellenallianz, die man in »Episode IV« kennengelernt hat.
»Andor« setzt in seiner Erzählung allerdings noch früher an und zeigt, sozusagen from scratch, die Entstehung des ersten Widerstandes. Dort, ganz am Anfang, steht Luthen Rael (überragend gespielt von Stellan Skarsgård), ein einsamer Verschwörer, der Cassian – zu Beginn noch ein desillusionierter Söldner – rekrutiert. Rael ist Akzelerationist, er will das Imperium durch einzelne Überfälle wie den auf Aldani zwingen, die Daumenschrauben anzuziehen, um so den Widerstand anzufachen. Es muss erst schlechter werden, bevor es besser wird. »Das Imperium hat uns so langsam erdrosselt, dass wir anfangen, es nicht mehr zu bemerken«, so Rael, »wir müssen sie dazu bringen überzureagieren.«
Vom Einzelgänger Rael ausgehend entfaltet sich in der Serie ein ganzer Kosmos an Figuren und Gruppen, die unterschiedliche Organisationsformen repräsentieren. Die Quellen, aus denen Showrunner Gilroy schöpft, sind real und historisch – ohne dass eine bestimmte Analogie »Andor« dominieren würde. Gilroy selbst hat in Interviews darauf verwiesen, dass er Elemente fast aller Revolutionen der Vergangenheit verarbeitet hat – von der haitianischen bis zur Oktoberrevolution. Das macht sich bis in Einzelheiten bemerkbar. So verarbeitet der Trauerzug auf Ferrix Filmmaterial von IRA-Beerdigungen in den Straßen von Belfast. Und die Bewohner Ghormans, die so naiv und planlos an ihren Aufstand herangehen, dass sie allzu leicht manipulierbar werden, sprechen eine (kreierte) Sprache, deren Sound ans Französische erinnert.
Auch die Protagonisten gestatten mannigfache Deutungsmuster. Da wäre etwa Saw Gerrera, der kompromissloseste aller Rebellen, dessen Name offensichtlich eine Kreuzung aus Che Guevara und dem spanischen Wort für Krieg ist. Da wäre Luthen Rael, dessen Name nicht nur an Luther erinnert, sondern auch eine Anspielung auf Louis Riel sein dürfte, der im 19. Jahrhundert Aufstände gegen die Bundesregierung Kanadas anführte. Neben dem Verschwörer Rael und dem Terroristen Gerrera komplettieren weitere Typen das Rebellenensemble: Idealisten, Pragmatiker, Opportunisten, Verräter. Sie alle sind, selbst wenn sie nur wenige Auftritte haben, als Figuren akribisch entwickelt, ihre psychologische Haltung authentisch.
Alle Charaktere – zumindest der Rebellion – eint dabei ein Grundproblem: Wie soll man handeln, isoliert und im Angesicht eines übermächtigen Gegners? »Andor« zeigt exemplarisch Haltungen, die man in einer aussichtslosen Situation einnehmen kann – und was diese Umstände mit den Menschen machen. Soweit es die Seite der Rebellion betrifft, kulminiert die Erzählung in zwei großen Monologen von Rael und Gerrera, die um ebendieses Problem kreisen.
Von einem Spion darauf angesprochen, was er denn aufgegeben habe, schleudert Rael, der selbst wohlmeinende Mitwisser beseitigen lässt, ihm wütend entgegen: »Ich bezahle für meine Taten. (…) Ich bin dazu verdammt, die Waffen meiner Feinde zu verwenden, um sie zu besiegen. Ich töte meinen Anstand für die Zukunft anderer. Ich gebe mein Leben für einen Sonnenaufgang, den ich niemals sehen werde.« Und Gerrera sagt beim Überfall auf ein Lager mit dem Weltraumtreibstoff Rhydonium, dessen Dämpfe high machen, zu einem jungen Rebellen: »Denkst du, ich bin verrückt? Ja, das bin ich. Revolution ist nichts für die Vernünftigen. Schau uns an. Ungeliebt. Gejagt. Kanonenfutter. Wir werden alle tot sein, bevor die Republik wiederkommt, und doch sind wir hier. (…) Wir sind der Treibstoff. Wir sind das, was explodiert, wenn zu viel Spannung in der Luft ist.«
Wie also soll man handeln, ohne Hoffnung? In Rael und Gerrera zeigt »Andor« zwei Extreme: Luthen handelt kaltblütig und bis zur Selbstverleugnung vernünftig, verbittert aber über seine Einsamkeit. Der rhydoniumabhängige Gerrera bejaht die Aussichtslosigkeit, doch der Preis ist Wahnsinn. Sie verkörpern das apollinische und das dionysische Element des Revolutionären.
Wollte man überhaupt etwas an der Serie kritisieren, dann den plötzlichen Bruch, der Mitte der zweiten Staffel eintritt, als plötzlich Yavin da ist, eine Rebellenbasis auf einem Mond um den gleichnamigen Gasriesen, die eigene Kampfflieger und eine klare Befehlsstruktur besitzt, später auch einen, aus ehemaligen Abgeordneten des imperialen Senats bestehenden Obersten Rat. Yavin steht für eine fortgeschrittenere Form der revolutionären Bewegung, doch der entscheidende Sprung von der Quantität zur Qualität, von anarchistischen zu kommunistischen Methoden, wird nicht gezeigt. Bedingt ist das sicher durch die Kürzung der Serie auf zwei Staffeln. Ursprünglich waren fünf Staffeln geplant, die aber unter anderem aus Budgetgründen nicht realisiert werden konnten.
Über Gräber zum Sieg
Die Entstehung von Yavin ist die einzige relevante Lücke in der Erzählung von »Andor«, denn sie bricht mit dem Topos der Hoffnungslosigkeit. Doch auch aus diesem allzu raschen Übergang von einer aussichtslosen zu einer erfolgreichen Rebellion macht Tony Gilroy noch etwas Kluges. Nicht nur auf der Dialogebene wirkt sich das aus (der Satz »Rebellionen sind auf Hoffnung gebaut«, der zugleich auf »Eine neue Hoffnung«, den Titel des ersten Star-Wars-Films, anspielt, fällt zum Ende hin öfter). Auch die Geschichte selbst wandelt sich und rückt den Konflikt zwischen alter und neuer Rebellion in den Mittelpunkt. Zur erwartbaren Tragödie, gegen einen übermächtigen Gegner kämpfen zu müssen, kommt eine zweite: Mit den eigentlichen Helden der Serie, den Einzelgängern, Idealisten und Terroristen, kann Yavin, die planmäßige Revolution, nicht mehr viel anfangen. Ihre Unkontrollierbarkeit beginnt zu stören. Als sie sterben – Luthen Rael noch in »Andor«, von Saw Gerrera weiß man, dass er sich im direkt an das Ende der Serie anschließenden »Rogue One« opfert –, wird das auf Yavin ohne großes Bedauern zur Kenntnis genommen. Alle haben sie, auf je eigene Art, die Rebellion vorangetrieben. Nun sind sie entbehrlich. Doch über ihren Gräbern erhebt sich eine Revolution, die es versteht, sich zu organisieren. Und zu siegen.
Felix Bartels, Marc Püschel und Maik Rudolph sind Redakteure dieser Zeitung
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (2. Juni 2025 um 08:28 Uhr)»Yavin steht für eine fortgeschrittenere Form der revolutionären Bewegung, doch der entscheidende Sprung von der Quantität zur Qualität, von anarchistischen zu kommunistischen Methoden, wird nicht gezeigt.« Wäre auch zu schön gewesen, wenn man ausgerechnet von der Walt Disney Company (Umsatz 91,3 Mrd. USD 2024), die zu den fünf größten Medienkonzernen der Welt zählt, gezeigt bekommt, wie man deren eigene Geschäftsgrundlage umstößt.
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