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Aus: Ausgabe vom 31.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Thyssen-Krupp

»Nötig ist ein konzernweiter Streik«

Vorstand will Thyssen-Krupp zerschlagen in der Hoffnung auf externes Kapital und steigenden Börsenwert. Ein Gespräch mit Markus Stockert
Von Susanne Knütter
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Noch raucht die Kokerei: Stahlwerk von Thyssen-Krupp in Duisburg (27.1.2025)

Der Konzern Thyssen-Krupp, TK, soll zerlegt werden, die Einzelteile sollen nach und nach an die Börse kommen. Aber das wird den Konzern nicht wirtschaftlicher machen. Was passiert da?

Der Vorstandsvorsitzende Miguel López macht die fünf Segmente, die bisher in einer Konzernstruktur waren, eigenständig. Bei allen, bis auf Marine und Stahl, will TK eine Mehrheit von 51 Prozent halten. Wesentlich ist, dass es leichter sein wird, die einzelnen Segmente abzustoßen oder zu schließen. Sie wollen externes Kapital bekommen, in der Hoffnung auf die Erhöhung des Börsenwertes und auf Spekulationsgewinne. Doch fraglich ist, ob überhaupt Investoren einsteigen wollen, zum Beispiel beim Stahlhandel.

Wohin führt das?

Der Vorstand will die Stahlproduktion halbieren und greift jetzt die ganze Konzernbelegschaft an. Das, was López vorhat, ist eine Zerschlagung. Da kann er noch so oft sagen, dass er die Bereiche alle wettbewerbsfähig aufstellen will. Das will er auf dem Rücken der Konzernbelegschaft durchziehen.

Was bleibt dann noch übrig?

Marine und Stahl machen 70 Prozent vom Umsatz aus. Wenn das weg ist, hat man den Materialservice. Die Halbierung der Stahlsparte wird aber auch darauf Auswirkungen haben. Dann gibt es den Stahlhandel und den Autozuliefererbereich. Da haben sie aber auch schon Kürzungen angekündigt. In Hagen zum Beispiel soll das Federnwerk geschlossen werden.

Was bleibt denn dann am Ende übrig?

López und seine 100 Leute in der Konzernzentrale. Und für diesen glorreichen Plan will er nun eine Vertragsverlängerung und mit 450 Führungskräften in Spanien feiern gehen. Den Beschäftigten wurde sogar das Wasser für Lehrgänge gestrichen, ein Einstellungsstopp wurde verhängt, obwohl überall in der Produktion Personal gebraucht wird.

Wie geriet der Konzern in diese Krise?

Im Stahlbereich hat TK den verschärften Konkurrenzkampf verloren. Von 1,6 Milliarden Tonnen Stahl, die jährlich weltweit produziert werden, produziert Thyssen-Krupp bloß zwölf Millionen Tonnen. Und vor dem Hintergrund der verschärften Staatenkonkurrenz wollen alle ihre nationale Industrie sichern. In einem internationalen Produktionsverbund ist dies aber schwer möglich. Thyssen-Krupp ist im Stahlbereich nicht mehr Marktführer. Die Hälfte der gesamten Stahlproduktion soll in Deutschland wohl gehalten werden. Das sind 20 bis 25 Millionen Tonnen, aufgeteilt unter den deutschen Konzernen. Damit soll der Bedarf der deutschen Rüstung gedeckt werden. Die Regierung spricht von Verteidigungsfähigkeit, für mich ist das, was in Deutschland und in allen anderen Ländern passiert, eine Vorbereitung auf einen Angriffskrieg. Die Weltkriegsgefahr verschärft sich.

Ist das in der Auseinandersetzung bei TK Thema?

Notwendig ist ein konzernweiter Streik bei TK. Ein Streik der Stahlarbeiter oder auch der Autoarbeiter bekommt in der Situation von Anfang an eine wichtige politische Bedeutung. Die Konzernverbände haben im letzten Herbst einen Generalangriff auf die Arbeiter gestartet. Daran halten die immer noch fest, auch wenn sie ihn so nicht durchkriegen. Bei VW mussten sie Zugeständnisse machen. Bei Ford sind sie nach dem 24-Stunden-Streik jetzt am Rumeiern. Bei einem Warnstreik bei HKM hat die Produktion in jeder Schicht eine Stunde später begonnen. Da ruderte der Vorstand von TK zurück und musste der Geschäftsführung von HKM wieder einen Verhandlungsauftrag erteilen. Die Vorstände wollen Streiks vermeiden.

Was ist aus Beschäftigtensicht bei TK jetzt nötig?

Wenn Thyssen-Krupp sagt, wir produzieren nicht mehr so viel, sage ich: Dann brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung auf die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Denn das sichert und schafft Arbeitsplätze.

Wie realistisch ist das?

Es ist eine Frage der Verteilung der Arbeitszeit. Bei einem Lohnanteil am Umsatz von zehn Prozent würde eine Arbeitszeitverkürzung um eine Stunde bei vollem Lohnausgleich die Lohnkosten vielleicht um ein Prozent erhöhen. Im Kapitalismus wird der Mehrwert durch den Anteil der unbezahlten Arbeit geleistet. Höchstens zwei Stunden geht ein Arbeiter für seinen Lohn arbeiten. Den Rest eignen sich die Eigentümer an! Das ist ein Grundwiderspruch hier im Kapitalismus. Die Produktivität steigt insgesamt immer weiter, aber davon haben die Produzenten nichts. Das Kapital greift im Moment die Konzernbelegschaften an, und da müssen wir vom Arbeiterstandpunkt aus unsere Forderung aufstellen und darum kämpfen.

Ist das auch eine Forderung der IG Metall?

Der Kampf um Arbeitszeitverkürzung ist immer Grundsatz in der Gewerkschaftsbewegung. Aber es ist jetzt keine offizielle Forderung. Trotzdem halte ich sie für notwendig. Weil man diese Logik durchbrechen muss. Die machen nicht mehr den Gewinn, den sie vielleicht mal gemacht haben. Und darunter sollen die Arbeiter leiden? Ich halte auch nichts davon, möglichst hohe Abfindungen rauszuholen. Der Arbeitsplatz ist trotzdem für immer verschwunden. Es bringt der Jugend nichts. Wo soll sie denn arbeiten? Alle großen Konzerne vernichten Arbeitsplätze. Gleichzeitig bilden sie immer weniger aus.

Markus Stockert ist IG-Metall-Betriebsrat bei Thyssen-Krupp Steel in Duisburg

Hintergrund Geheimsache Zerschlagung

Unter dem Titel »Geheimprojekt Abwicklung« hatte die oppositionelle SPD für Mittwoch eine Aussprache im Wirtschaftsausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen beantragt. In der aktuellen halben Stunde bemühte sich Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) dann um Besänftigung. Thyssen-Krupp (TK) habe die »Neuaufstellung nicht als Zerschlagung im Geheimen dargestellt, sondern öffentlich gemacht«, so die Politikerin. Ziel sei laut Vorstand, »eigenständige kapitalmarktfähige Einheiten zu schaffen«. Das sei »kein ungewöhnlicher Schritt im internationalen Wettbewerb«, aber »birgt natürlich Risiken«, so Neubaur.

Der tschechische Finanzinvestor Daniel Křetínský soll seinen Anteil an der Stahlsparte von 20 auf 50 Prozent vergrößern. Zum Vergleich: Auch an den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann hält TK noch 50 Prozent. Seitdem TK Anfang April die Lieferverträge mit HKM gekündigt hat, haben sich die Aussichten auf einen Käufer aber weiter verschlechtert und die Wahrscheinlichkeit der Schließung erhöht.

Ob Křetínský seinen Anteil vergrößert, dürfte nicht zuletzt von den geplanten Kürzungen abhängen. TK hält nach wie vor an der Streichung von 11.000 Stellen im Stahlbereich fest. Es steht aber auch im Raum, dass Křetínský nur an Bord geholt wurde, damit der Gewinnabführungsvertrag gekündigt werden kann. Bis Ende nächsten Jahres müsste der Thyssen-Krupp-Konzern im Falle einer Insolvenz von Thyssen-Krupp Steel noch Geld aus dem Konzernvermögen zuschießen. Danach nicht mehr.

Der Börsengang von TK Marine Systems ist bereits seit Februar geplant. Auch der Stahlhandel soll mit seinen 16.000 Beschäftigten an die Börse gebracht werden. In der Automobilzulieferersparte werden für den Bereich Federn und Stabilisatoren Verkaufsverhandlungen geführt. Der Karosseriebau wird »neu aufgestellt«, das Hagener Federnwerk bis 2027 geschlossen. (sk)

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