Platz auf den Leibchen
Von André Dahlmeyer
Einen wunderschönen guten Morgen! Seit Jahren predige ich, dass die argentinische Primera División die ausgeglichenste, umkämpfteste und also spannendste erste Liga überhaupt ist. Fast jeder kann jeden schlagen. Wer nicht hundert Prozent Leistung abruft, kann gegen einen vermeintlich kleinen Klub schnell mal Probleme bekommen, wenn der gut aufgelegt ist. Auch wenn sich die großen Vereine nach der schweren Wirtschaftskrise 2001/02 mehr und mehr konsolidiert haben, die letzten 16 Meisterschaften (inklusive der aktuellen) gingen immerhin an acht verschiedene Klubs! In den großen Ligen Europas ein No-go, dort herrscht im Titelkampf überwiegend Langeweile, mehr als einen netten Zweikampf bekommt man selten geboten.
In Argentinien ist es für die Großen nicht leichter geworden. Nach einer Gruppenphase geht es mit den Achtelfinals in die K.-o.-Phase. Nur ein Match, 90 Minuten, keine Verlängerung. Ein Sonntagsschuss und du bist draußen, wenn sich der Gegner anschließend mit der Machete zwischen der Kauleiste auf Teufel bleib weg verteidigt. Hinzu kommt, dass im silberländischen Balltretgeschäft ohnehin kein Zentimeter Rasen kampflos abgegeben wird. In Europa wird kaum noch verteidigt, jedenfalls nicht klassisch. Rührselige Betonmischmaschinen in den Steppenregionen des Mittelfeldes sieht man dort selten. Dafür Tore am Fließband. Das gefällt vor allem jenen, die von Taktik, Strategie und dem guten alten Regelwerk eher wenig halten. Es sind die typischen Halbschuhtouristen, die man bei den Weltmeisterschaften sieht, Eventesel mit Bierfahne.
Das Finale am Sonntag, das in Santiago del Estero in der nördlichen Mitte des Landes ausgetragen wird, wo die Peronisten vor einigen Jahren ein Vorzeigestadion hingestellt haben, ist ein sehr besonderes, denn beide qualifizierten Klubs haben noch viel Platz für Sterne auf ihren Leibchen. Als erstes Team qualifizierte sich der Club Atlético Huracán aus dem Stadtviertel Parque Patricios von Buenos Aires. Einst kickten für den Verein Weltstars wie Alfredo Di Stéfano, Guillermo Stábile, Osvaldo Ardiles, Jorge Carrascosa, René Houseman … Seit 2015 ist der Globo (Heißluftballon) wieder erstklassig, im selben Jahr schaffte er es bis in die Finals der Copa Sudamericana. (Im Jahr zuvor hatte Huracán als Zweitligist den argentinischen Pokal gewonnen.) Meister wurde der CA Huracán bislang erst einmal: 1973. Trainer war niemand geringeres als César Luis Menotti. Im aktuellen Campeonato hat der Globo erst dreimal verloren: bei den Boca Juniors und in den beiden Matches vor den Achtelfinals, bei Newell’s Old Boys und gegen Barracas Central. In der K.-o.-Phase gewann Huracán u. a. bei Rosario Central und im Halbfinale bei Independiente. Letzteres Spiel ging 0:0 aus und wurde vom Punkt entschieden.
Gegner im Finale ist der CA Platense aus dem nördlichen Conurbano der Hauptstadt. Beim Calamar (Tintenfisch) wurde David Trezeguet ausgebildet. Der Verein war auch eine der ersten Trainerstationen von Tata Martino. Seit Anfang 2021 ist der Calamar nach 22 Jahren wieder erstklassig. Eine Kurve im Stadion ist nach dem Tangosänger Roberto Polaco Goyeneche benannt, dem bekanntesten Fan des Klubs. 2023 wurde der Calamar sensationell argentinischer Vizemeister. Titel hat er noch keine gewonnen. In der Gruppenphase hatte Platense fünfmal verloren, viermal davon auswärts. Jetzt traten sie nur noch auswärts an und eliminierten nacheinander die Riesen Racing Club (Campeón der Copa Sudamericana), River Plate (Rekordmeister) und San Lorenzo (15facher Meister) vor deren Publikum. Bringen sie den verdammten Job am Sonntag zu Ende?
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