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Aus: Ausgabe vom 27.05.2025, Seite 12 / Thema
Marxismus

Lehrstück Bauernkrieg

Vor 175 Jahren verfasste Friedrich Engels die Studie »Der deutsche Bauernkrieg«. Ursprung und Verlauf dieser Erhebung werden darin auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Deutschlands zurückgeführt
Von Jürgen Pelzer
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»Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtenbau der Gesellschaft.« Der »Ständebaum«, Holzschnitt von 1532

Auf den deutschen Bauernkrieg von 1525 ist Friedrich Engels immer wieder zurückgekommen. Er war für ihn – wie etwa auch für Bertolt Brecht oder Ernst Bloch – ein Schlüsselereignis der deutschen Geschichte. Im Vorwort zur Ausgabe von 1870 hat Engels von den Entstehungsbedingungen seiner Studie berichtet, die 1850 »noch unter dem unmittelbaren Eindruck der eben vollendeten Konterrevolution« (MEW 7, 531) in London verfasst worden war. Engels, der sich zunächst noch in der Schweiz und in Oberitalien aufgehalten hatte, traf Ende November in der englischen Metropole ein; Karl Marx war bereits im August 1849 dorthin übergesiedelt. Zu den Projekten, an denen beide in den nächsten Monaten arbeiteten, gehörte die Fortführung der Neuen Rheinischen Zeitung. Politisch-ökonomische Revue, in deren 5. und 6. Heft »Der deutsche Bauernkrieg« erschien. Der Rückgriff auf die Geschichte sollte demonstrieren, dass es auch in Deutschland revolutionäre Traditionen gab, an die sich zu erinnern lohne. Engels wollte auf diese Weise der befürchteten »unglücklichen Erschlaffung« nach dem Scheitern der Revolution von 1848/1849 entgegenwirken. Zudem ließen sich am Bauernkrieg bestimmte Klassenkonstellationen studieren, die denen der 1840er Jahre durchaus ähnlich waren. Obwohl mehr als dreihundert Jahre verflossen waren und sich in dieser Zeit vieles fundamental geändert hatte, stehe der Bauernkrieg »unseren heutigen Kämpfen so überaus fern nicht, und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben« (MEW 7, 329), hieß es in der Vorbemerkung.

Was die Darstellung des Bauernkriegs betrifft oder besser: die nicht abreißende Serie von oftmals spontanen Erhebungen, die sich über ein weites geographisches Gebiet erstreckten, so konnte Engels, der in London nicht über Originalquellen verfügte, auf die mehrbändige, höchst detaillierte Darstellung des Theologen, Geschichtsforschers und Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung Wilhelm Zimmermann zurückgreifen. Dieser fehle allerdings, wie Engels 1870 feststellte, der »innere Zusammenhang«. Sie beschränkte sich auf die Erfassung der Ereignisse, lieferte aber, da sie schematisch Unterdrücker und Unterdrückte, Gute und Böse gegenüberstellte, keine wirkliche »Einsicht in die gesellschaftlichen Zustände«, ohne die sich weder Ausbruch noch Verlauf der Erhebung verstehen ließen. Um Ursprung und Dynamik des Bauernkriegs zu erfassen, wollte Engels deshalb auf die Lebensbedingungen der gesellschaftlichen Schichten und deren Wechselwirkung, die politischen Rahmenbedingungen des damaligen deutschen Reichsverbandes, den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung sowie auf die Theorien und ideologischen Konzepte der Parteien eingehen. Nur eine solcherart verfahrende historisch-materialistische Geschichtsanalyse versprach Aufschluss über die Entwicklungen von 1525, die Historikern wie Leopold von Ranke noch als »Naturereignis« erschienen war, das sich rational nicht erklären lasse. Marx hatte auf ähnliche Weise wie Engels die Französische Revolution von 1848/1849 und den Aufstieg Napoleons III. analysiert. Die Artikel von Marx waren ebenfalls in der Neuen Rheinischen Zeitung erschienen.

Die »exploitierte Masse«

Engels beginnt seine Analyse mit der ökonomischen Lage und dem sozialen Schichtenbau innerhalb der deutschen Territorien zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Der Aufschwung, der bereits im 14. und 15. Jahrhundert einsetzte, wirkte sich insofern auf die Gesellschaftsformation aus, als an die Stelle der feudalen, ländlichen Lokalindustrie der zünftige Gewerbebetrieb der Städte trat, der auch für entlegenere Märkte produzierte. Dies trifft etwa für die Produktion und den Vertrieb von Woll- und Leinengewebe zu. Städte wie Augsburg entwickelten sich zu wichtigen Zentren. Auch andere Handwerkszweige erlebten einen Aufschwung. Die Hanse hatte dank ihres Seemonopols, das allerdings im Niedergang begriffen war, positiv auf die Entwicklung in Norddeutschland gewirkt. Der Bergbau und die Gewinnung von Rohstoffen nahmen einen Aufschwung. Dass die deutschen Territorien dennoch hinter der Entwicklung anderer europäischer Länder, wie etwa Holland, England oder Italien zurückfielen, lag vor allem daran, dass das Land zersplittert war, die Verkehrswege zwischen den Städten unterentwickelt waren und kein wirkliches Zentrum existierte. Anders als in Frankreich oder England kam es im deutschen Reichsverband nicht zu einer politischen Zentralisation, sondern »nur zur Gruppierung der Interessen nach Provinzen«, was letztlich auch zum Ausschluss Deutschlands aus dem Welthandel führte. Da die feudale Reichsgewalt zerfiel, verstärkte sich die Macht der Fürsten, die einst aus dem hohen Adel hervorgegangen waren und nun die meisten Hoheitsrechte besaßen. Die starke Position der Fürsten hatte vor allem intern negative Auswirkungen, da sie willkürlich Steuern erhoben, um ihre eigenen Heere zu unterhalten und ihre steigenden Hofhaltungskosten zu finanzieren.

Während die Städte sich einigermaßen vor der ständig zunehmenden Abgaben- und Steuerinflation schützen konnten, konnte dies die Masse der Bauern, der weitaus größten Schicht, nicht, egal ob sie Hörige, Leibeigene, Tagelöhner oder Zinsbauern waren. Andre Schichten, wie etwa der niedere Adel, namentlich die »Ritterschaft«, gingen dem Verfall entgegen, wobei das schwer zu befriedigende Geldbedürfnis sowie das prekäre Verhältnis zu den anderen Ständen eine Rolle spielte. Die ökonomischen Veränderungen wirkten sich auch auf die Geistlichkeit aus, die aus zwei Fraktionen bestand: der geistlichen Feudalhierarchie, deren Vertreter – Engels spricht meist von »Prälaten« – ihre Untergebenen so rücksichtslos ausbeuteten wie der Adel und die Fürsten, sowie der plebejischen Fraktion, den Predigern auf dem Land und in den Städten. An der Spitze des katholischen Klerus stand der in Rom residierende Papst, für den die Kirchensteuer eingetrieben wurde, um vor allem das Luxusbedürfnis des Vatikans zu befriedigen. In den Städten gab es zudem das als »Ehrbarkeit« titulierte Patriziat, das sich zunehmend einer zahlenmäßig noch geringen Opposition gegenübersah. Engels unterscheidet zwischen einer bürgerlichen Opposition, einer »gemäßigten« Fraktion, die er mit den zeitgenössischen Liberalen vergleicht, und einer plebejischen Opposition, die sich aus den bürgerlichen Randschichten rekrutierte, die auch diejenigen einschlossen, die später als »Lumpenproletariat« bezeichnet werden. Beide Fraktionen werden im Verlauf des Bauernkriegs eine wichtige Rolle spielen. In den thüringischen Städten war es vor allem das Lumpenproletariat, das die soziale Basis für die Revolutionsbestrebungen Thomas Müntzers bildete.

Die Bauern waren die große »exploitierte Masse der Nation«: »Auf dem Bauer lastete der ganze Schichtenbau der Gesellschaft: Fürsten, Beamte, Adel, Pfaffen, Patrizier und Bürger (…). Er wurde überall wie eine Sache, wie ein Lasttier behandelt und schlimmer« (MEW 7, 339). Der Bauer musste eine Unzahl von Abgaben und meist oft auch noch Frondienste leisten. Zudem waren die Bauern der Willkür ihrer »Herren« ausgeliefert, die sich nicht scheuten, bei irgendwelchen Delikten brutalste Maßnahmen zu ergreifen. Lange Zeit kam es dennoch zu keinerlei geschlossenem Widerstand. Die Bauernschaft war zersplittert und durch »die lange Gewohnheit der von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzten Unterdrückung« geprägt. Sie hätte sich nur dank einer Allianz mit anderen Ständen wehren können, aber »wie sollte sie sich mit anderen Ständen verbinden, da sie von allen Ständen gleichmäßig ausgebeutet wurden?« (MEW 7, 340).

Unter der religiösen Decke

Wenn es nun doch innerhalb einer relativ kurzen Zeit zu einer geographisch weit ausgreifenden, fast den gesamten süd- und mitteldeutschen Raum umfassenden Erhebung der Bauern kam, an der viele Zehntausende teilnehmen, so hatte dies damit zu tun, dass sich große oppositionelle, vornehmlich religiös ausgerichtete Gruppierungen bildeten, die über die engen regionalen Grenzen hinausgingen. Den Anfang machte der reformorientierte Martin Luther; es folgte der weitaus radikalere Thomas Müntzer. Was oft als rein theologische Fehde oder Konfrontation gesehen wird, hatte dabei stets materielle, soziologisch bestimmbare Gründe. Die Konfrontationen der zwanziger Jahre hatten dabei ihre Vorläufer in den sogenannten Ketzerbewegungen der früheren Jahrzehnte. Unter der »religiösen Decke« ging es stets um politische oder soziale Streitfragen. Die Religion oder der Religion verbundene Konzepte waren der Kommunikationsrahmen, innerhalb dessen die eigenen Interessen, Forderungen oder Bedürfnisse verhandelt wurden.

Die »Ketzereien der Städte« verweisen dabei immer wieder auf das notorische Spannungsverhältnis zur Kirche und deren Institutionen, denen die Städte schon früh eine einfache Kirchenverfassung entgegensetzten. Noch weiter gingen die »Ketzereien« der bäurisch-plebejischen Opposition, die die bürgerliche Kritik an der Kirche teilten, darüber hinaus aber ein urchristliches Gleichheitsverhältnis forderten, was revolutionäre Implikationen hatte und oftmals in chiliastische Mystizismen mündete, die eine apokalyptische Endzeit und ein Tausendjähriges Reich ausriefen. Es ist diese Tradition, die bei Thomas Müntzer wirksam wird.

Der Ausbruch des Bauernkriegs lässt sich in der Engelsschen Analyse unter anderem darauf zurückführen, dass sich in den Jahren von 1517 bis 1525 über die territorialen Begrenzungen hinaus drei gesellschaftlich repräsentative Lager herausbildeten: neben dem konservativ-katholischen Lager, das sich auf die geistlichen Fürsten, einen Teil der weltlichen Fürsten, den reicheren Adel, die Prälaten und das städtische Patriziat stützte, sammelten sich die »besitzenden Elemente der Opposition«, die Masse des niederen Adels, die Bürgerschaft und sogar ein Teil der weltlichen Fürsten unter dem Banner der bürgerlich-gemäßigten lutherischen Reform; Bauern und Plebejer schlossen sich zur »revolutionären Partei« zusammen, deren Forderungen am schärfsten durch Thomas Müntzer ausgesprochen wurden.

An die Fürsten verraten

Luther und Müntzer sind also beim Ausbruch des Bauernkrieges die zentralen Repräsentanten ihrer jeweiligen Parteien. Luther durchlief in den Jahren von 1517 bis 1525 eine Entwicklung, die Engels mit derjenigen der deutschen liberalen »Konstitutionellen« vergleicht, die nach 1846 für eine Verfassung eintraten und insofern eine Führungsrolle einnahmen, sehr bald aber von radikaleren Fraktionen überholt wurden. Luther hatte zunächst die städtische Opposition gegenüber der katholischen Kirche auf breiter Front vertreten und in seinem Kampf gegen »das ganze Geschwärm der römischen Sodoma« durchaus martialische Töne angeschlagen. Zwar dauerte dieser »erste revolutionäre Feuereifer« nicht lange, aber der »Blitz schlug ein, den Luther geschleudert hatte«: »Das ganze deutsche Volk geriet in Bewegung« (MEW 7, 348). In der Folge bildeten sich die zwei Hauptlager heraus, jenes »gemäßigte«, das die Macht Roms und des eigenen Klerus brechen wollte, und jenes, das Luthers Appelle als Signal des Kampfes gegen jede Form der Unterdrückung verstand.

Luther musste eine Entscheidung treffen und trat schließlich – etwa in seiner Schrift »An den Adel teutscher Nation« von 1520 – für eine friedliche Entwicklung und den passiven Widerstand ein. Er war damit der erklärte Repräsentant der bürgerlichen Reform, deren Erfolgsaussichten auf nationaler Basis groß waren. Als die ersten Erhebungen der Bauern begannen, und zwar in jenen Gebieten, die überwiegend katholisch waren, versuchte Luther zunächst noch zu vermitteln und machte etwa die jeweiligen Regierungen für die »Bedrückungen« verantwortlich, doch er verurteilte auch jede Form des Aufstands als »ungöttlich«. Als sich trotz solch wohlmeinender Vermittlungsvorschläge die Erhebungen weiter ausdehnten und auch auf jene Gegenden übergriffen, die von lutherischen Fürsten oder Städten beherrscht wurden, änderte sich Luthers Kurs: Die Angriffe auf Rom verstummten und Luther zog nun gegen »mörderischen und räuberischen Rotten der Bauern« zu Felde, die man »zerschmeißen, würgen und stechen« müsse, »wie man einen tollen Hund totschlagen muss«. Barmherzigkeit habe hier keinen Platz. »Bitten wollen wir für sie, dass sie gehorchen; wo nicht, so gilt’s hier nicht viel Erbarmens« (MEW 7, 350). Hatte Luthers Bibelübersetzung den Bauern als Werkzeug gegen die kirchliche und weltliche Feudalhierarchie gedient, so suchte nun Luther die Bibel zur Sanktionierung von Obrigkeit und Leibeigenschaft zu nutzen. Die Reformation war damit, wie Engels konstatiert, »an die Fürsten verraten«.

Das Ideal im Diesseits

Luthers Gegenspieler wird der plebejische Revolutionär Thomas Müntzer, dessen Geburtsjahr Engels mit 1498 angibt, während man heute meist von 1489 ausgeht. Müntzer hielt am martialischen Ton gegenüber der katholischen Feudalhierarchie fest, den Luther in seiner Frühphase angeschlagen hatte, ja, beeinflusst durch die Schriften mittelalterlicher Mystiker und chiliastischer Schriften, die ein Strafgericht gegen die entartete Kirche prophezeien, verstärkte er diese Tendenz noch. Müntzer, der jahrelang als Prediger in verschiedenen Städten tätig war, begann damit, den Kultus zu reformieren, etwa indem er die lateinische Sprache im Gottesdienst abschaffte und die Bibel möglichst komplett auf deutsch verlesen ließ. Er stieß dabei auf breite Akzeptanz. Statt auf ruhige Debatte oder friedlichen Fortschritt abzuzielen, setzte Müntzer die gewaltandrohenden Reden des frühen Luther fort und rief etwa die sächsischen Fürsten zum bewaffneten Einschreiten gegen den römischen Klerus auf. Man müsse »das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes« und die »Altäre der Abgöttischen zerbrechen«; ihre Bilder seien zu »zerschmeißen« und zu verbrennen (MEW 7, 352).

Müntzer trat sehr bald als politischer Agitator auf, der nicht nur den Katholizismus, sondern auch das Christentum angriff oder neu definierte, etwa indem er die Offenbarung der Bibel in Zweifel zog und statt dessen in der Vernunft die wahre Offenbarung, den Ausdruck des Heiligen Geistes, sah. Durch einen so verstandenen Glauben werde der Mensch vergöttlicht und selig. Der Himmel sei nichts Jenseitiges, sondern ein Idealzustand, der im Diesseits zu suchen sei. Christus sei ein Mensch gewesen wie wir alle; das religiöse Abendmahl komme als Gedächtnismahl ohne jede Mystik aus. Erzketzerische Grundgedanken dieser Art wurden allerdings immer noch in der theologischen Sprache vorgebracht, an die sein Publikum gewöhnt war.

Der religiösen Konzeption entsprach schließlich auch die politische: Das Reich Gottes sei herzustellen, indem die Kirche auf ihren Ursprung zurückgeführt würde. Unter Reich Gottes verstand Müntzer dabei einen auf Gleichheit bestehenden Gesellschaftszustand. Dazu sei ein Bund zu stiften, der eine solche Gleichheit garantiere und notfalls mit Waffengewalt durchsetze. Müntzer selbst konzentrierte sich dabei auf seine Gemeinde in Allstedt, doch verschickte er zugleich zahlreiche Sendschreiben und knüpfte Kontakte über ganz Deutschland. Die »Gewalt des Schwerts« bezeichnete er dabei als Notwehr in einer Gesellschaft, die Dieberei und Räuberei sanktioniere, die »alle Kreaturen zum Eigentum« nehme und gleichzeitig den Armen Verzicht und Enthaltung gebiete.

Der Bruch mit Luthers Reform war hier längst vollzogen. Zu einer Disputation der beiden kam es nicht. Von Müntzer als »sanft lebendes Fleisch zu Wittenberg« verspottet, trat Luther 1524 offen als Gegner Müntzers und dessen »aufrührerischen Geist« auf, ja, er dämonisierte ihn als »Satan«. Müntzer selbst, aus Thüringen vertrieben, dehnte seine Wirksamkeit auf andere Gebiete, nach Nürnberg, Franken und bis ins Elsass aus, wobei sich sein Einfluss auf die in den dortigen Gebieten 1525 ausbrechenden Aufstände bemerkbar macht. Engels selbst kehrt erst im letzten Kapitel seiner Studie zu Müntzer zurück.

Dass »Der deutsche Bauernkrieg« die Konfrontation zwischen Luther und Müntzer voranstellt, hat seinen guten Grund. Engels verdeutlicht so die ideologischen Fronten dieser Jahre, die ihrerseits ihren Grund in den sozialen, politischen und klerikalen Missständen haben, namentlich in der enormen Belastung der Bauern, die sich als »Lasttiere« der Gesellschaft kaum Gehör verschaffen konnten, und zum anderen in der rechtfertigenden Rolle, die das Christentum einnahm. Die sehr bald ins Grundsätzliche ausgreifende Kontroverse zwischen Luther und Müntzer macht auch deutlich, mit welchem sich steigernden Einsatz um die Zukunft der Gesellschaft und des Christentums gekämpft wurde. Da es um ideologische Positionen ging, steigerten sich auch die Emotionen. Zudem waren erstmals, dank der rasch publizierten Flugschriften sowie der persönlichen Kontakte der Kontrahenten, fast alle Schichten der Bevölkerung in die Debatten einbezogen. Dass es bereits vor 1525 Aufstandsversuche in religiös verbrämter Form gegeben hat, zeigt das zweite Kapitel des »Bauernkriegs«. Auch Teile des Adels waren im Rahmen des Bauernkriegs involviert, da sie die Chance nutzen wollten, sich gegenüber den Fürsten zu behaupten, doch sie verzichteten, wie Engels betont, auf eine mögliche Allianz mit den rebellierenden Bauern, denen sie ihre Privilegien hätten opfern müssen.

Den eigentlich kriegerischen Auseinandersetzungen des Jahres 1525 widmet Engels, gestützt auf Wilhelm Zimmermanns dreibändige Darstellung, zwei Kapitel, die sich den Kämpfen im Schwäbischen und im Allgäu sowie dem Showdown im Thüringischen widmen. Im Schwäbischen trat der ideologisch-aufgeheizte Ton gelegentlich zurück: Hier waren die Bauern, die sich zu vielen Tausenden zusammenschlossen und auch überregionale Verbindungen eingingen, oftmals um Verhandlungen um konkrete Erleichterungen mit den Vertretern der weltlichen wie der geistlichen Feudalhierarchie bemüht, erlebten aber immer wieder, dass man nur zum Schein auf ihre Forderungen, die zumeist die Rücknahme von Steuerlasten oder anderen repressiven Maßnahmen hinausliefen, einging, um die Bauern später bei nächster Gelegenheit militärisch auszuschalten. Die terroristische Grausamkeit, mit der dabei verfahren wurde, sollte abschreckend wirken.

Lang wirkende Niederlage

Das sechste Kapitel des »Bauernkriegs« ist wieder Müntzer gewidmet, der sich ab Ende Februar oder Anfang März in der freien Reichsstadt Mühlhausen, einem Zentrum der Bewegung, aufhielt, um von dort aus auf Norddeutschland einzuwirken. Hier kam es – noch vor den Erhebungen in Süddeutschland – zum Sturz des alten patrizischen Rats und zur Installierung eines neuen »Ewigen Rats«, dessen Präsident Müntzer wurde. Doch Engels betont sogleich das Prekäre und Problematische, ja Tragische einer solchen Machtübernahme. »Es ist das Schlimmste, was dem Führer einer extremen Partei widerfahren kann, wenn er gezwungen wird, die Regierung zu übernehmen, wo die Bewegung noch nicht reif ist für die Herrschaft der Klasse, die er vertritt.« Trotz seiner beträchtlichen Breitenwirkung, konnte sich Müntzer nur auf bestimmte Schichten stützen, die zudem stets in der Minderheit waren. Dies schränkt seinen Handlungsspielraum entscheidend ein: »Was er tun kann, hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von der Höhe, auf die der Gegensatz der verschiedenen Klassen getrieben ist. Was er tun soll, was seine eigene Partei von ihm verlangt, hängt wiederum nicht von ihm ab (…) er ist gebunden an die Doktrinen und Forderungen, die sich aus der größeren oder geringeren Einsicht in die allgemeinen Resultate der gesellschaftlichen und politischen Bewegung ergeben« (MEW 7, 400).

Müntzer konnte sich in dieser Phase nur auf jene städtischen Randschichten oder Plebejer stützen, die weit davon entfernt waren, eine Umbildung der ganzen Gesellschaft bewirken zu können. Ohne eine breite Allianz ist Müntzer auch militärisch machtlos. Als sich im Mai 1525 die Fürsten in Thüringen zusammenschlossen, um gegen Mühlhausen vorzugehen, blieb Müntzer nur ein verzweifeltes Verteidigungsmanöver gegen die mit Kanonen anrückenden und den vereinbarten Waffenstillstand skrupellos brechenden Truppen. Müntzer wurde gefangen genommen, gefoltert und enthauptet, Mühlhausen wurde eingenommen und verlor seinen reichsfreien Status.

Nach dem Abebben auch der letzten Aufstandsversuche endete der deutsche Bauernkrieg mit einer noch lange nachwirkenden Niederlage, der Bestrafung der Bauern und einer verschärften Belegung mit Steuern. Die nachfolgenden Religionskriege und der Dreißigjährige Krieg sollten noch weitere katastrophale Folgen haben. Die Gewinner waren in allen Fällen die Fürsten, die ihre Machtpositionen ausbauten und für eine weitere Zersplitterung des Landes sorgten. Doch genau diese Zersplitterung oder Isolierung, so die von Engels auf die Gegenwart von 1850 gemünzte Lehre, gelte es durch die Bildung von Allianzen zu überwinden, um so die für eine Umgestaltung der Gesellschaft erforderlichen Mehrheitsverhältnisse zu schaffen.

Jürgen Pelzer schrieb an dieser Stelle zuletzt am 13. November 2023 über Peter Hacks’ Komödien »Die Vögel« und »Rosie träumt«: Kritik der falschen Utopie.

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