Sie leben!
Von René Hamann
Am Mittwoch morgen wäre es fast so weit gewesen. Die Finger lagen auf der Tastatur, das Thema war klar: Das deutsche Tischtennis befindet sich in der größten Krise seit den, äh, mittleren 80ern. Patrick Franziska lag in der dritten Runde der Tischtennis-WM in Doha gegen den Koreaner Cho Dae Song mit 0:3-Sätzen zurück und schien sich in VAR-Challenges zu verlieren. Mit 0:2-Sätzen zurück lag gleichzeitig das Doppel der Damen Sabine Winter/Yuan Wan. Winter und Ying Han, im Einzel der Damen noch vertreten, standen vor eher unlösbaren Aufgaben – mit Odo Satsuki und Wang Chuqin warteten zwei Hochkaräterinnen auf sie. Es sah düster aus: Mittwoch abend würde es vorbei sein für den DTTB.
Und der Fokus würde zu den deutschen Männern wandern, denn besonders die enttäuschten auf ganzer Linie. Dang Qiu spielte wie so oft viel zu vorsichtig. Benedikt Duda hatte der Power des Nigerianers Quadri Aruna im entscheidenden Moment nichts mehr entgegenzusetzen. Und Franziska hatte einen weiteren schlechten Tag. Bundestrainer Jörg Roßkopf, einst einer der Erneuerer des deutschen Männertischtennis, würde eine Menge zu erklären haben: Warum er lieber gediente als frische Kräfte aufstellt. Warum mit Dmitri Owtscharow wieder einmal ein angeschlagener Spieler mitgenommen wurde. Warum Franzosen und Schweden in Kreativität und Ausdauer investieren, die Deutschen aber nur in Ausdauer.
Sicher, besonders bei den Damen tut sich so einiges. Ying Han findet zu alter Form zurück. Annett Kaufmann fehlt noch die Routine, die Power für höhere Sphären hat sie. Und Winter hat mit dem neuen Antibelag auf der Rückhand eine Wunderwaffe gefunden, mit der sie sich bislang hervorragend durchs Turnier schlägt. Da wird mit was zu rechnen sein – bei einem der nächsten Großturniere.
Die Männerabteilung jedoch – oje. Wollte man eben schon schreiben, da schlug Franziska ein letztes Mal zurück. Cho bekam keine Rückhand mehr auf den Tisch. Mental hatte der Deutsche noch einmal zugelegt – die in den Pausen verzehrten Bananen trugen das ihrige dazu bei, dass Franziska am Ende nach 0:3 noch mit 4:3-Sätzen (und die letzten gewann er in aller Deutlichkeit) obsiegte. Chapeau!
Und auch Winter/Wan schafften das Comeback und drehten das Spiel. Mittwoch abend war noch gar nichts zu Ende, die Deutschen leben noch. Mal sehen, wie lange, denn die weiteren Aufgaben im Turnier werden nicht leichter.
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