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Aus: Ausgabe vom 22.05.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Union Busting Monitor

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Speditionen: Von kriminellen Arbeitszeiten und aggressivem Vorgehen gegen kritische Fahrer
Von Jessica Reisner und Elmar Wigand
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Das fahrende Volk kann nur müde lächeln über eine Erhöhung der täglichen Arbeitszeiten von acht auf zehn Stunden, die CDU und Unternehmerverbände mit Beihilfe der SPD derzeit legalisieren und per »Tagesschau« und anderen »Leitmedien« kampagnenartig propagieren. (Zur vermeintlichen Rettung der deutschen Wirtschaft fällt ihnen nichts Besseres ein als: Arsch zusammenkneifen und durchhalten.)

Am 9. Mai stoppte die Polizei laut Westfalenpost auf der A 45 bei Siegen einen Lkw-Fahrer, dessen Fahrerkarte auf dem Armaturenbrett lag und nicht wie vorgeschrieben im Lesegerät. Die Beamten stellten einen Verstoß gegen die erlaubten Lenkzeiten fest und untersagten die Weiterfahrt. Die Spedition schickte Ersatz, aber auch dieser Kollege durfte den Truck nicht ans Ziel bringen, weil er ebenfalls zu lang auf dem Bock war. Wie lange das genau war, unterschlägt die Westfalenpost leider ebenso wie den Namen der Spedition, den wir uns gerne merken würden. Deren kriminelle Arbeitszeitroutine auf Kosten der Verkehrssicherheit bereicherte das Staatssäckel um 31.650 Euro an Strafzahlungen.

Dem steht das »Team Wilking« wenig nach. Die Waltroper Spedition feuerte den Fahrer Marcel am 14. März fristlos. Im Dezember 2024 soll er die Gründung eines Betriebsrats vorgeschlagen haben, um eklatante Missstände zu beseitigen. Genau diese sollen ihm jetzt selbst zum Verhängnis (gemacht) werden, berichtet er auf Youtube. Im März habe die Autobahnpolizei die mangelhafte Sicherung der Ladung festgestellt. Bei einer dreistündigen Überprüfung hätten die Beamten außerdem erhebliche Mängel am Fahrzeug entdeckt – rätselhafterweise, obwohl das Fahrzeug nach Angaben des Truckers eine nagelneue HU-Plakette hatte. Die Autobahnpolizei untersagte die Weiterfahrt. Eine Stunde später war der Chef selbst vor Ort, sicherte die Ladung laut Videobeitrag mit Spanngurten nach und verlangte von Marcel, die Fahrt fortzusetzen. Schon nach kurzer Zeit stoppte ihn die Autobahnpolizei erneut und brachte eine Radkralle an.

Als Marcel bei einer anderen Fahrt feststellte, dass er ohne Ausnahmegenehmigung mit überbreiter Ladung unterwegs war, verweigerte er die Weiterfahrt. Damit endete seine Karriere im »Team Wilking«. Marcel reichte eine Kündigungsschutzklage ein. Einen Fahrer, der mit Marcel befreundet war, stellte die Firma frei. Andere Fahrer sprachen handfeste Drohungen aus. Gegen einen Aggressor konnte Marcel per einstweiliger Verfügung ein Abstandsgebot durchsetzen. Mittlerweile gibt es ein zweites Video, in dem Firmenchef Henrik Wilking zu Wort kommt. Bezüglich der eigentlichen Vorwürfe substanzlos und teils widersprüchlich, scheint es lediglich darauf ausgelegt, Marcel zu diskreditieren. Die Verhandlung vor dem Arbeitsgericht Herne findet am 23. Juli statt.

Aufhorchen ließ auch der Reinoldus-Rettungsdienst aus Unna: Auf der Wache Unna-Königsborn wurde laut Lokalpresse eine sogenannte Todesliste geführt. Rettungsfahrer hielten fest, mit wie vielen Todesfällen sie im Dienst konfrontiert waren. Wer die meisten hatte, bekam einen Wanderpokal. Laut Recherchen des Hellweger Anzeigers kümmert das den Geschäftsführer und Gesellschafter Peter Schroeter eher weniger. Lieber will er zwei Betriebsratsmitglieder feuern.

Hintergrund scheinen interne Machtstreitigkeiten zu sein. Die beiden sollen dem ehemaligen Geschäftsführer nahegestanden haben, der im Unfrieden aus dem Unternehmen ausgeschieden war. Das Arbeitsgericht Hamm gilt als unternehmerfreundlich, aber ob angeblicher »Vertrauensverlust« hier als Kündigungsgrund ausreicht, darf bezweifelt werden. Vermutlich geriet der Chef in Panik, weil der Betriebsrat im Januar 2025 einen Wirtschaftsausschuss gegründet hatte, um Einblick in die Firmenbilanzen zu erlangen. Es soll Liquiditätsprobleme geben.

Unsere Autoren gehören zur »Aktion gegen Arbeitsunrecht« und moderieren den Podcast Arbeitsunrecht FM

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