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Aus: Ausgabe vom 12.05.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Gaza

Ein Gefühl der Ohnmacht

Zwei Autoren aus Gaza berichten über den Überlebenskampf in der Heimat und im Exil
Von Dieter Reinisch
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Das Flüchtlingslager Bureidsch im Gazastreifen (8.5.2025)

Sie sind zwei Brüder aus Gaza; heute leben sie in Deutschland und Österreich. In einem schmalen Band verarbeiten sie die jüngsten Entwicklungen in und um Gaza unter dem Pseudonym »Wahad«. Auf Arabisch bedeutet »Ai wahad« etwa »einer« oder »jeder«. Ihre Erfahrungen seien die eines jeden Palästinensers, schreiben sie. »Wahad« schreiben über ihre Familie in Gaza und ihr Leben im Ausland, geprägt von Ausgrenzung und Rassismus: Außenseiter, fremd in der neuen Heimat seien sie.

Die Berichte über das vom Krieg heimgesuchte Gaza vermengen sich mit den Erinnerungen an die früheren Besuche im Küstenstreifen und dem Kampf ums Überleben im Exil. Jenseits von lautstarken Protesten gegen den Krieg in Gaza erzählen »Wahad« eine andere Geschichte: eine vom einsamen Kampf, mit dem Leiden der Familien und Freunde fertigzuwerden. Durch die Kapitel ziehen sich Gefühle von Ohnmacht und Paralyse.

Früher hatten die Autoren den Gazastreifen jeweils in den Sommermonaten besucht; heute sei der einzige Kontakt zu den Verwandten die Nachforschung, ob sie noch am Leben sind. Und es sind viele, die nicht mehr antworten können. Ihnen fehlt oft das Geld, um einen Liter Wasser für umgerechnet zwei Euro zu kaufen, doch der Tankwagen kommt sowieso nur selten vorbei. Wenn er kommt, müssen sie schnell sein, denn das Gedränge ist stark. Die Gefahr lauert überall: Ein Großcousin starb, weil er beim Wasserholen beschossen wurde.

Die Palästinenser leben und kämpfen nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere, schreiben »Wahad«. Doch »fast niemand lebt noch für sie, kämpft noch für sie«. Was solle sie noch am Leben halten, wenn lebendige Erinnerungen keine Hoffnung, sondern Verzweiflung verursachen, fragen sie. Das Büchlein ist ein bedrückendes und authentisches Zeugnis des Kampfes von Palästinensern. Es zeugt auch davon, wie sie in Deutschland und Österreich versuchen, mit dem Mord an ihren Verwandten klarzukommen. Gegen die Erniedrigungen und Entmenschlichungen helfe nur eines: »Sich selbst zu erinnern: Ich bin ein Mensch!«

Wahad: Gaza, lebendig halten. Geschichten gegen die Auslöschung. Aphorisma, Berlin 2025, 90 Seiten, 12,50 Euro

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