Rententopf für Zocker
Von Gerrit Hoekman
Die Aktienmärkte sind durch die wütende Zollpolitik von Donald Trump weltweit ins Schlingern geraten. In den Niederlanden fragen sich viele Beobachter, was das für ihre Altersversorgung bedeutet. Die wird nämlich bei unseren westlichen Nachbarn zu einem großen Teil über die Gewinne aus privaten Rentenfonds finanziert. Das neue Rentensystem, das bis spätestens 2028 eingeführt sein soll, reagiert nach Expertenmeinung noch schneller auf Kursschwankungen an der Börse. Natürlich auch nach unten.
Die Niederlande stehen vor der größten Rentenreform ihrer Geschichte. In Zukunft soll nicht mehr der Rentenanspruch im Mittelpunkt stehen, sondern der Beitrag. Jede und jeder einzelne erhält einen eigenen Rententopf, in den sie und die Unternehmer einen bestimmten Betrag einzahlen. Das Geld wird angelegt. Die Werktätigen können nach eigenem Gutdünken bestimmen, welches Risiko sie bei ihrer Anlange eingehen wollen. Laut der Europäischen Kommission bieten rund 90 Prozent der niederländischen Unternehmer eine Betriebsrente an. In Deutschland sind es demnach nur etwa 54 Prozent.
»Im alten Rentensystem zahlte jeder Geld in einen großen gemeinsamen Topf der Rentenkasse ein. Dieses wurde nach einem komplizierten Regelgeflecht unter den (ehemaligen) Mitarbeitern verteilt. Ihr Beitrag hing von ihrem Alter ab, und die Höhe ihres Beitrags war grundsätzlich festgelegt«, erklärte der Sender AVROTROS das bisherige System am Montag auf seiner Website. Die Regeln wurden in den Tarifverträgen mit den Gewerkschaften festgelegt. Selbständige und Beschäftigte in Berufen ohne Tarifvertrag gucken sowieso in die Röhre. Das Rentenalter wurde vergangenes Jahr ohne großen Protest von der Straße auf 67 angehoben.
Es stellt sich ernsthaft die Frage, warum die Niederlande ihr Rentensystem überhaupt so massiv ummodeln wollen. Im Global Pension Index, den die US-Unternehmensberatung Mercer jedes Jahr zusammen mit dem gemeinnützigen CFA Institute erstellt, besaßen die Niederlande 2024 erneut das beste Rentensystem der Welt. Zum Vergleich: Deutschland landet in dem Ranking nur auf Platz 20.
Das bisherige System funktioniert nach einem Modell, das in den Niederlanden »Cappuccino« genannt wird. Wie der Kaffee besteht es aus drei Schichten: Die Basis ist eine Grundrente für alle, die im Land leben oder arbeiten – unabhängig vom Einkommen, das im Arbeitsleben erzielt wurde. Sie wird von den Sozialabgaben der Arbeitenden und aus Steuergeld bezahlt. Die Unternehmer sind daran nicht beteiligt. Alleinstehende haben Anspruch auf eine Grundrente, die 70 Prozent des allgemeinen Nettomindestlohns beträgt. 2021 waren das 1.218 Euro im Monat, Paare erhielten 1.665,72 Euro – beides ohne Abzüge. Deutlich mehr als Seniorinnen und Senioren in Deutschland an Grundsicherung zusteht.
Die zweite Schicht des Cappuccino ist die Betriebsrente, und die dritte, der Milchschaum obendrauf, sind die etwa 290 privaten Rentenfonds. »Rentenfonds sind langfristige Anleger und verfügen normalerweise über einen ausreichenden Anlagehorizont, um Schwankungen aufzufangen«, erklärte Frank Driessen, Vorstandschef von AON Hewitt Nederland, vergangene Woche auf der Website des Versicherungsmaklers aus Rotterdam. »Nun kommt es zu der merkwürdigen Situation, dass Pensionsfonds gerade durch die Umstellung plötzlich zu sehr kurzfristigen Anlegern werden.« Der durchschnittliche Deckungsgrad der niederländischen Pensionsfonds sei im April bereits um rund vier Prozent auf 116 Prozent gesunken. »Da die Rentenfonds derzeit mit der Umstellung beschäftigt sind, sind derartige Schwankungen des Deckungsgrads eine unwillkommene Überraschung.« Sinkt der Deckungsgrad unter 100, wird es heikel: Dann besitzt der Rentenfonds weniger Geld, als er auszahlen müsste.
»Wer an den Finanzmärkten investiert, unterliegt schlicht den Gesetzen der Finanzmärkte«, sieht Bas Werker, Hochschullehrer für Ökonometrie an der Universität in Tilburg, am Dienstag gegenüber der Tageszeitung De Volkskrant achselzuckend die schnöden Grundmechanismen des Kapitalismus am Werk. Börsenschocks kämen immer wieder vor. »Das ist in der Vergangenheit passiert, und das wird auch in Zukunft wieder passieren.«
Siehe auch
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Florian Boillot01.02.2025
Neoliberal, unsozial, scheißegal
- Borut Zivulovic/Reuters28.03.2020
Jeder stirbt für sich allein
- jW23.11.2019
Ringen um die Deutschland-Rente
Regio:
Mehr aus: Kapital & Arbeit
-
Deflationsgefahr in der Schweiz
vom 08.05.2025