Kultur der Angst
Von Ingar Solty
Als die Nazis am 30. Januar 1933 von Reichspräsident Paul von Hindenburg die Macht übertragen bekommen hatten, nutzte Hitler das Ermächtigungsgesetz unter anderem zur Durchsetzung des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April. Mit der Rechtsfigur der »Beamten, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten«, schufen die Faschisten ein Instrumentarium, um systematisch ihre politischen Gegner – Kommunisten, Sozialdemokraten und liberale Antifaschisten – aus dem öffentlichen Dienst zu drängen. Mit Paragraph 3 des Gesetzes (»Arierparagraph«) wurden auch Juden systematisch entlassen. Insgesamt verloren so an den Universitäten 20 Prozent der festangestellt Lehrenden und mehr als ein Drittel aller Privatdozenten ihre Arbeitsplätze. Nachdem die Nazis so ihre Gegner aus öffentlichen Funktionen gedrängt und ihnen die Lebensgrundlagen entzogen hatten, ermöglichte das »Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit« vom 14. Juli auch die systematische Vertreibung der Nazigegner ins Ausland.
Wenn der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke heute sagt, dass er im Rahmen der »Rückeroberung« des Landes von »fremden Völkerschaften« den Islam mit »wohltemperierter Grausamkeit« »bis zum Bosporus zurückdrängen« will und es hierbei auch zu einem »Aderlass« unter denjenigen »Volksteilen« kommen werde, »die zu schwach oder nicht willens« seien, »sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen«, dann hat der Geschichtslehrer diese alte Praxis vor Augen. Die Größe des Vorhabens spiegelt sich in der Aussage, dass man mit »20 bis 30 Prozent weniger in Deutschland leben« werde können. Das sind 16,7 bis 25,1 Millionen Menschen. Wenn einmal »die Wendezeit gekommen« sei, so Höcke, »dann machen wir Deutschen keine halben Sachen«. Der »Verwesung nahes Leben« könne »nur durch das gewaltsamste Verfahren reorganisiert werden«.
Das erklärte Ziel von Rechten und Faschisten ist es, »linksgrünversiffte Elemente« aus der medialen Öffentlichkeit und der Wissenschaft zu entfernen. Die mit Opfermythos vorgetragenen, offenen Säuberungsphantasien gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ÖRR) und Universitäten wirken schon heute: Sie führen zu vorauseilendem Gehorsam. Die frühere stellvertretende Präsidentin der Akademie der Künste Kathrin Röggla beschrieb jüngst im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wie der Aufstieg der Rechten längst auf die Programmgestaltung des ÖRR wirkt: Es herrsche dort mittlerweile »eine Kultur der Angst, abgeschafft zu werden, sich ständig legitimieren zu müssen«.
Trumps Kampf
Was rechtsautoritäre Kräfte machen, wenn sie erst einmal Macht haben, kann man in den USA studieren – anhand des Krieges, den die Trump-Regierung seit ihrem Amtsantritt gegen den angeblichen inneren Feind in Staatsbürokratie, Medienöffentlichkeit und Bildungswesen sowie gegen Migranten führt.
Die Deportationen von nichtweißen Einwanderern, die von der Regierung mit viel Härte öffentlich inszeniert werden, um die extrem rechte MAGA-Bewegung (»Make America Great Again«) zu befriedigen, sind beunruhigend. Sie sind nicht nur Ausdruck rassistischer Menschenverachtung, sondern vollziehen sich zudem im offenen Bruch mit Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtsprinzipien: Migranten, mit oder ohne Aufenthaltsgenehmigung und sogar manche mit Staatsbürgerschaft, werden von vermummten Einsatzkräften systematisch und nach rassistischen Kriterien verhaftet, verschleppt und in von privaten Konzernen betriebenen Gefängnissen der Abschiebebehörde ICE festgehalten – ohne Anklage, ohne Gerichtsurteil und auf unbegrenzte Zeit. Trump hat zudem ausländische Regierungen von Kolumbien bis El Salvador gezwungen, unter dem Vorwand der Bekämpfung von Gang-Kriminalität die willkürlich festgenommenen Menschen aufzunehmen und in eigens hierfür errichteten Gefängnissen mit – man kann es nicht anders sagen – Lagercharakter zu konzentrieren. Über »versehentlich« deportierte Menschen mit legalem Aufenthaltsstatus oder mit US-Staatsbürgerschaft heißt es aus Regierungskreisen, dass auch sie nicht wieder zurückkehren dürfen.
Währenddessen ist der Prozess der systematischen Ausschaltung und Einschüchterung der politischen Gegner im vollen Gange. Unter dem Namen »Schedule F« hat Trump Säuberungen schon im Wahlkampf angekündigt. Linke und liberale Kräfte in der Verwaltung sollten durch Trump-loyale Rechte ersetzt werden. In den Plänen für die Machtübernahme hieß das: »Restoring the president’s authority to fire rogue bureaucrats«, die Wiederherstellung der Befugnis des Präsidenten, »abtrünnige« Bürokraten zu feuern.
Die Säuberungen betreffen alle Ministerien. Gerechtfertigt werden sie mit Verweis auf eine ominöse »marxistische Machtübernahme« während der Biden-Regierung. Die USA befänden sich im inneren (Bürger-)Kriegszustand, vergleichbar mit 1776 und 1860, so betonte es etwa Trumps Kulturkrieger Russell Vought, der wesentlich am Regierungsplan »Project 2025« mitarbeitete und heute Leiter der Haushaltsbehörde ist. Dadurch rechtfertigen die Rechten Maßnahmen, die rechtsstaatliche Prinzipien verletzen. Die Neueinstufung von Mitarbeitern, deren Einstellung als »politisch motiviert« dargestellt wird, soll es ermöglichen, Beschäftigte mit Kündigungsschutz zu entlassen und sie durch Trumpisten zu ersetzen.
Besonders ins Visier geraten ist das Bildungsministerium. Während in der ersten Trump-Regierung die damalige Ministerin Betsy DeVos im Interesse sowohl profitorientierter Schulbetreiber als auch christlicher Fundamentalisten vor allem die Privatisierung von öffentlichen Schulen und die Förderung der Heimbeschulung betrieb, wird unter der neuen Ministerin Linda McMahon nicht nur diese klassische konservative Politik vorangetrieben. Im Rahmen der von Elon Musk forcierten Massenentlassungen im öffentlichen Dienst ist sogar die Abschaffung des Ministeriums als Ganzes angedacht. Das Ministerium sei, so wetterte Trump, von »Extremisten, Fanatikern und Marxisten« gekapert worden. Das »einst hervorragende Bildungssystem« müsse, so der Präsident, »der radikalen Linken entrissen« und diese durch »Patrioten« ersetzt werden.
Ein Gefühl von Todesangst
Der an den Haaren herbeigezogene Vorwurf, die Universitäten und Schulen würden – noch dazu systematisch – linksradikale, sogar marxistische Inhalte lehren und andere Meinungen unterdrücken, erscheint als Ausdruck des Wahnsinns. Mittlerweile heißt es aus Trumps Sender Fox News sogar, dass der Kollaps der Börsenkurse in Folge der US-Zollpolitik auf die kommunistische Unterwanderung der Wallstreet zurückzuführen sei. Aber der neue »paranoide Stil in der amerikanischen Politik«, wie dies in den 1950er Jahren der US-Historiker Richard Hofstadter nannte, ist instrumentell. Er bildet die passende Ideologie zur Rechtfertigung der Säuberungen.
Interessant ist, dass gerade die Gegner der »Diversität« hierfür ebendiese anrufen: Es gehe darum jenseits der »linken Indoktrination« die »Diversität« der Meinungen wiederherzustellen. Studenten sind aufgefordert, Dozenten und Professoren zu denunzieren, die ihrer Meinung nach Studieninhalte »einseitig« darstellten. Aber denunziert man jetzt den VWL-Fachbereich, weil er nur die Neoklassik lehrt und heterodoxe Ansätze unterdrückt? Führt das nun dazu, dass, weil an der Mehrzahl der politikwissenschaftlichen und soziologischen Institute fast nur noch Positivismus gelehrt wird, auch die kritische Theorie wieder Eingang in die Lehrinhalte findet? Natürlich ist dies von den Rechten nicht gemeint, wenn sie von Diversität sprechen. Ihnen geht es um Antidiversität unter dem Deckmantel der Diversität, es geht um rechten Kulturkampf und die systematische Ausmerzung aller der Rechten nicht genehmen Lehrinhalte, die als »woke« oder »kulturmarxistisch« bekämpft werden.
Durch den Zugriff der Trump-Regierung auf die Ministerien fiel es der neuen Regierung leicht, Massenentlassungen vorzunehmen, die sowohl ideologisch als auch austeritätspolitisch motiviert sind. Allein in den ersten zwei Monaten des Jahres verloren unter der Regie der extra für Elon Musk geschaffenen Behörde »Department of Government Efficiency« (DOGE) 62.530 Staatsangestellte ihre Jobs. Im Februar, dem Monat nach der Regierungsübernahme, stieg nach Berichten von Newsweek die Zahl der Entlassungen um 245 Prozent. Bis Ende März hatte DOGE nach Angaben der New York Post sogar insgesamt 280.000 Bundesbeschäftigte aus ihren Jobs gedrängt.
Zentraler Hebel für diese Säuberungen sind einerseits die Ideologie von der »rassenbasierten Diskriminierung unter dem Deckmantel der Gleichheit« und andererseits die nationale Sicherheit sowie die behauptete Bekämpfung von Antisemitismus. Mit der Behauptung, »unter dem Deckmantel der Gleichheit« würden Weiße diskriminiert, will die Trump-Regierung linksliberale Antidiskriminierungsprogramme wie »Affirmative Action«, die Schwarzen und anderen benachteiligten Gruppen den Zugang zur Hochschulbildung erleichtert haben, abschaffen. Mit der erpresserischen Androhung, die Universitäten finanziell auszutrocknen, sollen diese dazu gebracht werden, ihre eigenen Gleichstellungs- und Inklusionsprogramme im Rahmen von »Diversity, Equity, Inclusion« einzustellen und selbst Trump-Gegner zu entlassen, linke Studentinnen und Studenten zu exmatrikulieren und nicht genehme Studiengänge einzustellen. Auf diese Weise will die Trump-Regierung unter dem Vorwand der Bekämpfung der »Gender Indoctrination« kritische Bildungsinhalte und Intellektuelle zurückdrängen. Auch staatliche Schulen, die »Critical Race Theory« und »Genderideologie« lehren, sollen ihre Finanzierung verlieren. Das Ziel sei es, so der extrem rechte Aktivist Christopher Rufo unverblümt gegenüber der New York Times am 7. April 2025, an den Universitäten ein Gefühl von »Todesangst« (Existential terror) auszulösen.
Disziplinierung der Universitäten
Dieser Kulturkampf erlebt aktuell seinen Höhepunkt in den Attacken der Regierung auf die Eliteuniversität Harvard in Cambridge, Massachusetts. Am 11. April schickte sie einen Brief mit Forderungen an deren Präsidenten Alan M. Garber. Diese beinhalten Eingriffe in die Verfassung der Universität. Unter anderem soll die studentische Selbstverwaltung abgeschafft und die Macht zentralisiert werden, um so die Abschaffung von Studiengängen zu Ungleichheit, Diskriminierung usw. sowie die Entlassung, Drangsalierung und Einschüchterung von kritischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besser umsetzen zu können. Letzteres versteckt sich hinter der Forderung, dass die Universität »die Macht von Professoren (mit oder ohne Beamenstatus) (…) verringern« solle, die »sich mehr um Aktivismus als um Forschung« kümmern. Außerdem zielen die Forderungen auf die Kontrolle der Lehrpläne und der Zulassungsverfahren von Studierenden ab.
Harvard ist eine exklusive Universität, an der sozialistisch-linke Inhalte marginalisiert sind und in der sich die bürgerliche Elite reproduziert – nicht zuletzt durch die Aufnahmepraxis, dass die Nachfahren von ehemaligen Absolventen ungeachtet ihrer Abschlüsse in Harvard studieren dürfen. Diese Universität soll nun auch noch von den wenigen verbliebenen kritischen Stimmen gesäubert werden. Nichtakademiker und Linke finden sich damit in einer verqueren Welt wieder, was durch das US-Satiremagazin The Onion treffend auf den Punkt gebracht wurde: »Die Nation kann es nicht fassen: Sie steht auf der Seite von Harvard!«
Neben Harvard sind auch die Johns Hopkins University in Baltimore und 58 weitere Hochschulen »under investigation«. Erinnerungen werden wach an die Kommunistenverfolgungen im Rahmen der »Second Red Scare« der 1950er Jahre. Damals lautete die Parole: »Die Freiheit der Wissenschaft« sei »keine Lizenz für den Kommunismus«. Auch heute nutzt die Trump-Regierung antikommunistische Rhetorik, um bürgerlich-liberale und konservative Eliten dazu zu bringen, Linke auszuliefern und die ohnehin meist nur geduldete kritische Wissenschaft einzuschränken, um sich und ihre Institutionen aus der Schusslinie zu bekommen. Dabei müssten liberale Wissenschaftler inmitten dieses »Red Scare« ohne »Reds« eigentlich die Freiheit der Wissenschaft verteidigen und sich auf den Standpunkt stellen, dass eine offene Universität, die frei von staatlichem Zwang und Kontrolle ist, an sich ein wertvolles öffentliches Gut ist und dem Gemeinwohl dient.
Befreundete Wissenschaftler aus den USA haben dem Autor erzählt, wie sie von ihren verängstigten und durch Trump eingeschüchterten Universitätspräsidenten, Dekanen oder Fachbereichsleitungen herbeizitiert wurden und man ihnen offen drohte, dass sie ihre Stellen verlieren könnten. Andere Professorinnen und Professoren, wie Eman Abdelhadi, werden von Vorträgen wieder ausgeladen, mit der Begründung, man könne nicht für ihre Sicherheit sorgen. Die sich ausbreitende Angst wirkt disziplinierend; ab sofort ist es für viele Hochschullehrende eine ständige Abwägung zwischen moralisch-politischem Pflichtgefühl einerseits und der Sorge um den eigenen Job, ob man sich beispielsweise auf Demonstrationen blicken lässt, die gegen Trump mobilisieren oder auf denen die Kriegsverbrechen der israelischen Regierung kritisiert werden.
Bedroht und verschleppt
Besonders vulnerabel sind Studierende und Hochschullehrer, die Studentenvisa oder unbegrenzten Aufenthaltsstatus genießen, aber keine US-Staatsbürger sind. Gegen sie greift die Trump-Regierung auf den »McCarran-Walter Immigration and Nationality Act« zurück, der 1952 im Rahmen der als McCarthyismus bekannt gewordenen antikommunistischen »Hexenjagden« erlassen wurde. Die Forderungen des Heimatschutzministeriums an die Universitäten zielen darauf ab, linke Studierende und Hochschullehrer aus dem Ausland abschieben zu können. Ministerin Kristi Noem verlangte von Harvard etwa, bis Ende April detaillierte Nachweise über »illegale und gewalttätige Aktivitäten ausländischer Inhaber von Studentenvisa« vorzulegen. Als illegal und gewalttätig gilt dabei bereits die Organisation eines Protestcamps gegen den Krieg in Gaza. Andernfalls würde die Uni die Erlaubnis verlieren, ausländische Studenten zuzulassen.
Die Leitung der Columbia University hat bereits vor der Macht kapituliert und einen ihrer Studenten, Mahmoud Khalil, ausgeliefert, der an der berühmten New Yorker Hochschule das friedliche Protestcamp »Revolt for Rafah« gegründet hatte, mit dem die Studenten Kritik an der US-Unterstützung von Israels Krieg gegen Gaza übten. Khalil, ein »Green Card«-Inhaber, wurde unter der dubiosen und vermutlich verfassungswidrigen Behauptung, er verkörpere ein »außenpolitisches Risiko«, verhaftet und mehrere tausend Meilen von seiner Wohnung entfernt in ein Abschiebegefängnis in Louisiana verschleppt. US-Außenminister Marco Rubio rechtfertigte die Deportation mit Khalils »Beteiligung und Rolle bei antisemitischen Protesten und störenden Aktivitäten, die für jüdische Studenten eine feindliche Umgebung« schüfen.
Rümeysa Öztürk, Promovendin an der Tufts University, wurde ebenfalls am helllichten Tag von maskierten Männern, die sich nicht auswiesen, verschleppt. Auslöser waren Denunziationen durch die prozionistische Organisation »Canary Mission« in Bezug auf einen Meinungsartikel, den Öztürk zwölf Monate zuvor für die Campuszeitung geschrieben hatte. Darin hatten sie und drei andere Studenten die Uni-Verwaltung aufgefordert, eine vom studentischen Senat beschlossene Resolution umzusetzen, den Krieg Israels in Palästina als »Genozid« einzustufen und wirtschaftliche Verbindungen mit israelischen Unternehmen einzustellen. Ihre Anwälte verloren den Kontakt zu ihrer Mandantin, was Erinnerungen an die Verschwundenen unter der argentinischen Juntadiktatur weckte. Später tauchte Öztürk dann als Häftling im South Louisiana Processing Center, einem Abschiebegefängnis in Basile, Louisiana, wieder auf – mehr als 1.400 Meilen von Somerville, Massachusetts entfernt, wo man sie von der Straße weg verhaftet hatte.
Alle Verschleppungsfälle sind in einem Bericht der traditionsreichen Bürger- und Menschenrechtsvereinigung ACLU dokumentiert: »Inside the Black Hole: Systemic Human Rights Abuses against Immigrants Detained & Disappeared in Louisiana«. Dies ist durchaus nicht selbstverständlich, da während der Kommunistenverfolgungen in den 1950er Jahren auch die ACLU von Kommunisten gesäubert wurde.
Auch regionale Gesetzesverschärfungen ermöglichen systematische Entlassungen von bereits verbeamteten Professoren. Ein Beispiel hierfür ist das Gesetz SEA 202 im Bundesstaat Indiana. Im Namen der »intellektuellen Diversität« können Studierende anonym ihre Dozenten denunzieren, wenn ihnen deren Lehrpläne missfallen und sie sie zum Schweigen bringen wollen. Das Gesetz verpflichtet die Universitätsleitung dazu, »politisch einseitige« Professoren – was immer bedeutet: links gerichtete – zu entlassen. Derlei Denunziationen führten bereits in einigen Fällen zu Entlassungen von unbefristet eingestellten Professoren, darunter Ben Robinson von der Indiana University, der sich mit einem lokalen Protestcamp gegen die US-Unterstützung des Gazakriegs solidarisiert hatte.
Harvard sagt Nein
Der Fall Harvard sorgte vor allem deswegen für Aufsehen, da die Universität dem Druck der Regierung nicht nachgab. Die Universität kann sich den Widerstand leisten. Sie wurde 1636 gegründet, hat acht Präsidenten ausgebildet und fußt auf einem Kapitalstock, der mit 53 Milliarden US-Dollar größer ist als das Bruttoinlandsprodukt von annähernd 100 Ländern der Welt. Über die »Ivy League«-Eliteuniversitäten, zu denen Harvard zählt, witzelt man darum auch, sie seien Hedgefonds mit angedockten Hörsälen.
Harvard-Präsident Garber lehnt Trumps Forderungskatalog aus Prinzip ab: »Keine Regierung – ganz gleich, welche Partei gerade an der Macht ist – darf einer privaten Universität diktieren, was sie lehren darf, wen sie studieren lässt, wen sie einstellt und welche Forschungsgebiete und Recherchen sie verfolgen.« Die Universität werde »ihre Unabhängigkeit und ihre Verfassungsrechte nicht aufgeben. Weder Harvard noch irgendeine andere private Universität« dürfe es zu lassen, dass »die Bundesregierung sie übernimmt«.
Die Regierung fror daraufhin 2,2 Milliarden US-Dollar an Subventionen und 60 Millionen US-Dollar an Regierungsaufträgen ein und drohte zusätzlich an, eine Milliarde US-Dollar an Steuermitteln für Gesundheitsforschung zu streichen. Trump erklärte öffentlich, er »halte Harvard für eine Schande« und drohte zugleich, der Universität das Recht zu entziehen, internationale Studenten aufzunehmen. Außerdem wies er die Steuerbehörde an, Harvard den Status der Steuerbefreiung zu entziehen und sie als »politische Entität« zu besteuern. Er begründete dies in dem eigens von ihm gegründeten sozialen Netzwerk »Truth Social« damit, dass in Harvard »fast ausschließlich Woke, Linksradikale und Idioten« lehren würden. Die Eliteuniversität, die 162 Nobelpreisträger hervorgebracht hat, sei »ein Witz«, befand Trump, dort lehre man »Hass und Dummheit, sie decke Antisemitismus, und darum sollte Harvard auch keine staatlichen Subventionen mehr erhalten«.
Unterstützung erhielt Trump neben den republikanischen Harvard-Alumni im Repräsentantenhaus von den üblichen Verdächtigen, von Fox News und rechten Aktivisten. Der frühere Harvard-Präsident und ehemalige Wirtschaftsminister Larry Summers bezeichnete die Einfrierung der Fördermittel dagegen als »krass gesetzeswidrig« und »keine isolierte Angelegenheit«, sondern als »Teil eines breitangelegten Versuches, Institutionen zu unterdrücken, die die Regierung kritisieren«.
Die Steuerbehörde hat auf Trumps Ansinnen noch nicht reagiert. Einen juristischen Präzedenzfall gibt es in Gestalt der Bob Jones University in South Carolina, der 1983 nach mehreren Gerichtsverfahren vom Obersten Gerichtshof der Status der Steuerbefreiung entzogen wurde. Würde Trump mit dieser Vorlage durchkommen, dann würde dies »Harvard einen sehr, sehr großen Schaden zufügen«, sagte Michael Graetz, Professor für Steuerrecht an der Yale University, gegenüber dem ebenfalls von Trump angegriffenen öffentlichen Nachrichtensender NPR. Experten schätzen die Wahrscheinlichkeit, dass die Steuerbehörde im Sinne Trumps entscheidet, als nicht sonderlich hoch ein. Womöglich ist auch die Verlautbarung seitens der Regierung, der Brief mit den Forderungen sei »aus Versehen« verschickt worden, ein Fingerzeig in diese Richtung. Was indes bleibt, sind die Verfolgungen und das Klima der Angst.
Die Boston Review wiederveröffentlichte in dieser Situation jüngst eine von Alan Wald geschriebene Rezension des Buches »No Ivory Tower«, einer Fallstudie über den McCarthyismus in der höheren Bildung. Das einzige Mittel, dass das »House of Un-American Activities« damals zu Fall brachte – so die Schlussfolgerung des Buches – war die strikte und prinzipielle Weigerung, auszusagen, Namen von Linken zu nennen, um sich selbst zu schützen, auch wenn das bedeuten konnte, selbst seinen Job zu verlieren oder ins Gefängnis zu gehen. Es war Albert Einstein, der die diesbezügliche Pflicht in einem öffentlichen Brief an die New York Times 1953 wie folgt beschrieb: Er sehe nur den »revolutionären Weg der Nichtkooperation im Sinne Ghandis. Jeder Intellektuelle, der zu einem dieser Komitees bestellt wird, sollte die Aussage verweigern, sollte sich darauf vorbereiten, ins Gefängnis oder den wirtschaftlichen Ruin zu gehen (…), im Interesse der kulturellen Wohlfahrt des Landes.«
Tatsächlich regt sich Widerstand. Dabei offenbart sich der tiefe Riss zwischen liberalen und Sanders-Democrats. Während die liberale Öffentlichkeit und das Demokraten-Establishment als Opposition weitgehend ausfallen, wird der Widerstand von den Linken getragen. Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez von den Democratic Socialists of America (DSA) füllen auf ihrer »Fight Oligarchy«-Tour durch das ganze Land Stadien und öffentliche Plätze mit oft mehr als 30.000 Teilnehmern. Manche Intellektuelle erwarten darum, dass der Widerstand zum Katalysator einer neuen linken Massenbewegung werden wird. Als ich Ende März mit Ashik Siddique, dem Kovorsitzenden der DSA, und Bhaskar Sunkara, dem Chefredakteur von Jacobin, zusammentraf, sagten sie, dass die Mitgliederzahlen der DSA sprunghaft angestiegen seien. Man gehe davon aus, dass man in Kürze die 100.000-Marke durchbrechen werde. »In einem parlamentarischen System wie dem deutschen«, so Bhaskar jüngst im Interview im Freitag »könnte die US-Linke 20 bis 25 Prozent der Stimmen erhalten«.
Ingar Solty schrieb an dieser Stelle zuletzt am 11. April 2025 über Ferdinand Lassalle: »Säulenheiliger des Reformismus«.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- IMAGO/Pacific Press Agency09.04.2025
Universitäten unter Druck
- Jeffrey Schaeffer/AP/dpa27.04.2024
Maulkorb für Studis
- David J. Phillip/AP Photo19.01.2017
McCarthy lässt grüßen