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Aus: Ausgabe vom 02.05.2025, Seite 16 / Sport
Tennis

Als wäre nix gewesen

Pustekuchen: Wie die Weltantidopingagentur bei Tennisprofi Jannik Sinner die Aufklärung hintertrieb und Privatdeals Tür und Tor öffnet
Von Andreas Müller
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It’s a Sinner

Am 4. Mai läuft für Tennisprofi Jannik Sinner eine dreimonatige Sperre ab, die von seinen juristischen Beratern mit der Weltantidopingagentur (WADA) in einer Art Privatdeal ausgekungelt wurde. Ursprünglich hatte nach gleich zwei Positivtests des Südtirolers im März vorigen Jahres eine Sperre von bis zu zwei Jahren im Raum gestanden. Davon blieb nach seinem »Deal« mit der WADA nur mehr ein Bruchteil übrig. Pünktlich zum Turnier in Rom ab dem 7. Mai – als traditionelle Generalprobe der Weltelite auf Sandplatz für die French Open in Paris ab dem 25. Mai – darf Sinner wieder auf dem Center Court das Racket schwingen – als wäre nichts gewesen.

Dank der Privatvereinbarung entfiel die ursprünglich auf den 16. und 17. April vor dem Internationalen Sportgerichtshof (CAS) terminierte Anhörung. Ein ordentliches Verfahren wurde mit dieser außergerichtlichen Einigung verhindert. Womit die weltweit angeblich wichtigste Antidopinginstitution dem internationalen Bemühen um einen sauberen Sport einen Bärendienst erwies. Allen, die dem Doping als einem der größten Übel im Weltsport den Kampf angesagt haben und im Sinne von Fair play nach Sündern und »schwarzen Schafen« fahnden und für Übeltäter gerechte Bestrafungen einfordern, wurden mit diesem Vergleich gewissermaßen vor aller Augen am Nasenring durch die Manege gezogen. Denn es handelt sich bei dieser im Kuhhandelmodus ausgemachten Dreimonatssperre um weitaus mehr als um eine ungewöhnliche wie fragwürdige Vereinbarung zugunsten eines prominenten Akteurs, der im Vorjahr beim Turnier in Indian Wells in den USA am 10. März und noch einmal acht Tage später positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet wurde.

Nicht nur, dass dieser Deal juristisch die bisher geltenden Grenzen zwischen einem Freispruch bei erwiesener Unschuld einer Athletin oder eines Athleten sowie mindestens zweijähriger Sperre im Schuldfall glatt aufhebt. Schlimmer noch. Sinner wurde ein willkürliches Strafmaß irgendwo dazwischen zugestanden, was für sich genommen bereits ein Unding ist. Zugleich nahm die WADA mit diesem Zugeständnis und hinfälliger CAS-Verhandlung billigend in Kauf bzw. zielte vielleicht sogar vorsätzlich darauf ab, dass entscheidende Fakten nun im dunklen bleiben, eine nachträgliche Aufklärung unmöglich gemacht wird und sämtliche Ungereimtheiten auf Nimmerwiedersehen im Orkus verschwinden.

Auf genau diesen gefährlichen Umstand verwies Lars Mortsiefer als Vorstandsvorsitzender der Nationalen Antidopingagentur (NADA) in der FAZ mit seiner zwar diplomatisch vorgetragenen, aber inhaltlichen deutlichen Äußerung, er habe sich im Fall Sinner »eine klare und transparente CAS-Entscheidung gewünscht«. Diese Verhandlung der CAS-Richter in Lausanne, selbst unter Ausschluss der Öffentlichkeit, hat nicht stattgefunden. Den Blick hinter die Kulissen in einem Verfahren, das vom A bis Z von der International Tennis Integrity Agency (ITIA) unter der Hand und ohne Kenntnis selbst der italienischen Antidopingagentur vonstattenging, kam nicht zustande. Was heißt: Vorsätzlich hat die WADA dazu beigetragen bzw. zugelassen, dass wichtige Fragen in dieser Sache auf ewig unbeantwortet bleiben. Fragen, auf die etwa Fritz Sörgel, Chef des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, im vorigen Herbst gegenüber junge Welt hingewiesen hat.

Demnach spiele das Labor, in dem Sinners Proben untersucht wurden, »eine Schlüsselrolle«, mit der »sehr zentrale Fragen« verknüpft seien. Welches Labor beauftragt war, ist bis heute nicht bekannt. War es überhaupt ein von der WADA akkreditiertes? Wurden Sinners Proben dort eingefroren, damit sie für ein Verfahren beim CAS zur Verfügung stehen und später verwendet werden können? Oder wurden sie vorsorglich vernichtet, bevor unangenehme Überraschungen drohen? Seltsames ist dem Experten schon damals aufgefallen: »Die Analyseergebnisse aus diesem Labor müssen in allerkürzester Zeit vorgelegen haben. Wie das bei anonymisierten Proben so schnell gehen konnte, ist für mich ein Phänomen. Das ist eine der großen Ungereimtheiten, die nach dem Einspruch der WADA nun hoffentlich aufgeklärt werden.«

Pustekuchen – nichts davon wird geklärt oder soll geklärt werden. Der CAS und seine Richter sind von der WADA glatt überspielt worden. Damit wurden die Rekonstruktion und seriöse wasserdichte juristische Bewertung dieses Falles praktisch unmöglich gemacht. Warum? Weil nicht nur Jannik Sinner mit seinen Positivproben zur Bewertung vor Gericht gestanden hätte, sondern der gesamte Tennissport mit seinem aktuellen Antidopingsystem, in dem dieser prominente Fall bis hin zum Verfahrensmanagement und dem abschließenden Freispruch durch eine eher private Agentur namens »Sport Resolution« vollkommen außerhalb der offiziellen WADA-Regularien abgewickelt wurde. »Damit hat sich der Tennissport in eine Sonderstellung gebracht, die unerträglich ist«, übte Fritz Sörgel heftige Kritik an diesem Alleingang. »So kann es nicht weitergehen. Diese Sonderrolle muss ein Ende haben. Die WADA und ihr System müssen auch im internationalen Tennissport Herr des Verfahrens sein und dies zwingend einfordern.«

Genau das wird offenbar von seiten der WADA nicht angestrebt. Dies ist die vermutlich wichtigste und bitterste Erkenntnis aus ihrem Privatvergleich mit Sinner und den auf diese Weise ausgebooteten CAS-Richtern. Hinzu kommt der Eindruck, dass positiv getesteten Sportlern – je nach Prominenz, Geldbeutel und juristischem Geschick – so Tür und Tor geöffnet wird, Sanktionen nach Belieben individuell auszuhandeln, nach dem Motto: Anfang Mai darf ich wieder einsteigen? In Rom und Paris darf ich wieder aufschlagen? Prima, einverstanden! Sörgel prophezeit schon jetzt »verheerende Folgen« solcher Individualregelungen. Die Maschen im Netz würden eher größer denn enger. Was der langjährige Kämpfer gegen die »Seuche Doping« gegenüber dem Sport-Informations-Dienst als persönliches Fazit des »Falles Sinner« äußerte, klang denn auch nach völliger Desillusion, nach Frust und Verbitterung: »Man muss es so hart sagen. Was die WADA da gemacht hat, bedeutet das Ende des Antidopingsystems in seiner bisherigen Form.«

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